Jüdisches Leben
in Bayern

Wucher? Bankiers und Hoffaktoren

Die ersten namentlich bekannten Juden in Bayern waren zwei Kaufleute namens Isaak und Salomon, die in der Raffelstetter Zollordnung um 903 als Zeugen erwähnt werden und im bayerischen Ostland (dem Donauraum zwischen Passau und Bratislava) mit Salz sowie anderen Gütern handelten. Entlang der großen Handelsstraßen dominierten damals jüdische Kaufleute den Fernhandel, denn sie waren durch eine gemeinsame Sprache und Religion, nicht selten auch durch familiäre Bindungen gut vernetzt.

Seit dem Ersten Kreuzzug 1095/99 verschlechterte sich jedoch die Situation. Antijüdische Ressentiments gipfelten während der folgenden Jahrhunderte immer wieder in großen Verfolgungswellen. Zunehmend wurde der Status der Juden als königliche "Kammerknechte" mit einer echten Knechtschaft gleichgesetzt; das bedeutete, sie waren nun wie unfreie Leibeigene an den Ort ihres verbrieften Schutzes gebunden. Skrupellos drängte man sie überall aus dem Fernhandel heraus.

In den aufblühenden Städten schlossen sich nach und nach fast alle Handwerksberufe in straff organisierten Vereinigungen zusammen, die man heute "Zünfte" nennt. Obwohl wirtschaftliche Interessen im Vordergrund standen, spielte die christliche Religion eine entscheidende Rolle. Daher blieben Juden von der Aufnahme in eine Zunft strengstens ausgeschlossen. Jüdische Handwerker mussten als geschmähte "Pfuscher" ohne Meistertitel in den Dörfern eine Arbeit finden. In Franken wurde auch das zuweilen von regionalen Landzünften verhindert.

Versuche der Obrigkeit, den ansässigen Schutzjuden die Schranken des Handwerks zu öffnen, wie sie der Nürnberger Rat 1490 unternommen hat, blieben Einzelfälle und scheiterten auch nach kurzer Zeit am Widerstand der Zünfte. Einzig das Metzgerhandwerk war zur Versorgung der Gemeinde mit koscherem Fleisch gestattet.

Weil es Juden in der Regel auch nicht erlaubt war, Land für den Ackerbau zu besitzen oder zu pachten, blieben nur wenige Möglichkeiten des Broterwerbs übrig. Begabte Jungen konnten studieren und auf ein Auskommen als Gelehrter hoffen; realistischer war der Handel mit Vieh oder dessen Vermittlung (sog. Schmusen), später auch mit Gütern, die keinen regulativen Einschränkungen unterlagen. Viele Juden widmeten sich jedoch notgedrungen dem Geldhandel, der damals ganz allgemein als "Wucher" bezeichnet wurde. 

Entgegen landläufigen Vorstellungen war es gemäß dem kanonischen (kirchlichen) Recht nur dem Klerus verboten, Geld auf Zins zu verleihen, ansonsten aber durchaus üblich. Jüdische Bankiers vergaben auch kurzfristige Kredite, zum Beispiel an Bauern um Saatgut zu kaufen, mussten aber dann hohe Zinsen und Sicherheiten verlangen. Notfalls stand der Weg zur Schuldpfändung offen, oder die eingesetzten Bürgen wurden haftbar gemacht.

Die Zahlungsgarantien konnten gerichtlich eingeklagt werden, sei es vor den bischöflichen Gerichten (in Franken und dem nördlichen Schwaben), oder direkt am Reichskammergericht. Das königliche "Marktschutzrecht" ermöglichte jüdischen Pfandleihern die Annahme jedes unverdächtigen Gutes. Falls es sich nachträglich als Diebesgut herausstellte, brauchten sie den Erwerb nicht nachweisen und mussten nur den Ankaufspreis erstatten.

Streng verboten waren der Kauf und die Beleihung von kirchlichen Ritualien. Im Schwabenspiegel um 1270 heißt es: "Nimmt ein Jude einen Kelch oder ein Buch oder etwas, was zur Messe gehört, das gestohlenes oder geraubtes Gut ist, und man kommt ihm dahinter, muss er es umsonst herausgeben. Hört er, dass danach gesucht wird [...] und man findet es danach in seiner Gewalt, soll man ihn wie einen Dieb henken".

Das Zinsgeschäft machte Juden zum Sündenbock für soziale Missstände, die sie selbst überhaupt nicht beeinflussen konnten. Der haltlose Vorwurf, dass sich jüdische Bankiers unrechtmäßig bereicherten, wurde auch durch katholische und reformierte Geistliche verbreitet. Daher galten Juden im Deutschen Bauernkrieg 1524/25 gemeinhin als Verbündete der verhassten Grundherren.

Auf dem Reichstag von Augsburg 1530 hielten führende Vertreter der Reichsjudenschaft unter dem Vorsitz des Elsässer Landesrabbiners Josel von Rosheim (ca. 1478–1554) eine Synode ab. Sie stellten den versammelten Reichsfürsten zehn Artikel vor, mit denen sie in erster Linie die Vorwürfe des Wucherhandels entkräften wollten. Die Bestimmungen wurden jedoch oft als Bestrafung interpretiert und entsprechend judenfeindlich ausgelegt. 

Im Jahr 1551 lies Herzog Albrecht V. (reg. 15501579) alle Juden aus Bayern ausweisen und verbot jeden weiteren Aufenthalt, es sei denn zur Durchreise. Hauptgrund für diese drastische Maßnahme war der angebliche Schaden, den jüdische Bankiers durch ihr Geschäft am Volk anrichteten: "Nachdem etliche Juden ... in Unserem Fürstentum gewohnt / und viele Unserer Landsassen und Untertanen / durch derselben Juden geschickt ausgeübten, wucherhaften Handel hoch beschwert und ihrer Güter verlustig geworden sind...".

Nach jahrelanger Vorbereitung verabschiedeten die Landstände zu München im Jahr 1616 den "Codex Maximilianeus", mit dem erstmals eine Rechtseinheit im Herzogtum Bayern hergestellt wurde. Das 5. Buch "Von den Juden" übernimmt in weiten Teilen den Wortlaut der bestehenden Landordnung. Auffällig ist, dass es die Einschränkungen deutlich verschärfte: Nun stand jegliche Art von Geschäftstätigkeit mit bayerischen Staatsangehörigen im Ausland unter Strafe, damit "kein Jude zu handeln Ursache habe oder gewänne".

Im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts gab es Ausnahmeregelungen für sogenannte Hoffaktoren. Diese versorgten den (Hof-) Staat mit Krediten oder Luxuswaren. Die Mehrheit der Hoffaktoren war jüdisch, daher auch der zeitgenössische Begriff "Hofjude". Sie hatten besondere Privilegien, wurden aber oft zum Ziel bösartiger Verleumdungen und blieben oft auch nur so lange in Stellung, wie sie die Wünsche ihrer Herren erfüllen konnten.

Zwischen 1751 und 1756 wurden im Kurfürstentum Bayern drei neue Gesetzbücher eingeführt, die eine in sich geschlossene Einheit bildeten. Auch in diesem reformierten Werk blieben die bestehenden Verordnungen gegen "wucherischen" Kredithandel in Kraft. Die Bestimmungen wurden sogar noch verschärft: Geschlossene Verträge zwischen Christen und Juden hatten innerhalb der Landesgrenzen keine Gültigkeit, ganz egal um was es sich handelte. Rechtskräftige Ausnahmen gab es nur für privilegierte Hoffaktoren oder reichsunmittelbare Territorien.

Erst mit dem Bayerischen Judenedikt von 1813 veränderte sich die Situation grundlegend. Die jüdischen Bevölkerung bekam endlich grundlegende Bürgerrechte zugestanden. Durch die Abschaffung des längst verknöcherten Zunftwesens standen den jüdischen Staatsbürgern nun auch "normale" Berufe offen, was der Staat ausdrücklich fördern wollte. Das Finanzgeschäft verlagerte sich endgültig in öffentlich-rechtliche Banken, Genossenschafts- und Privatbanken.

Wie schon im Mittelalter konnten sich viele junge Juden während ihrer Ausbildungszeit auch weiterhin auf ein familiäres bzw. religiöses Netzwerk verlassen. Es war nicht unüblich, nach der Berufsschule oder dem Studium an mehreren Orten im In- und Ausland praktische Erfahrungen zu sammeln, und erst danach eine feste Stelle anzutreten. Einige jüdische Bankiers haben die Entwicklung Bayerns maßgeblich mitgestaltet und erhielten für ihre Verdienste den Adelstitel: Die Freiherrn von Hirsch zu Gereuth, die Seligmann von Eichthal und die Pappenheimer von Kerstorf. Auch kleinere Firmen wie Wassermann in Bamberg oder Aufhäuser in München sind fester Bestandteil der Lokalgeschichte.

(Patrick Charell)


Quellen

um 1270: Juden im Schwabenspiegel

1276: Juden im Stadtrecht von Augsburg

1312: Judenordnung aus Weißenburg

1340: Juden in der Münchner Fleischordnung

1338: Huldbrief für das Deggendorfer Pogrom

1450: Vertreibung der Juden aus Landshut

1530: Takkanot des Josel von Rosheim

1540: Mandat des Deutschen Ordens

1553: Bayerische Landordnung

1616: "Codex Maximilianeus"

1729: Illegales Laubhüttenfest in München

1756: "Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis"

1813: Bayerisches Judenedikt

Glossar

Antijudaismus

Emanzipation (jüd.)

Gulden (bay.)

Judenregal syn. Judenschutz

Takkanot des Josel von Rosheim

Takkanot syn. Tekanot

Vertreibung (jüd.)

Gemeinden und Orte

Aschaffenburg

Augsburg

Bamberg

Harburg

Monheim

München

Würzburg

Personen

Jakob Lippmann Hechinger, Hoffaktor und Bankier in Harburg

Alois Joseph Dessauer, Bankier, Fabrikant und Verleger in Aschaffenburg

Elkan Fränkel, Händler, Hoffaktor und Barnos in Ansbach

Veit Kaulla, Hoffaktor, Agent und Bankier in Augsburg-Kriegshaber

Löb Kent, Bankier und Stifter aus Niederwerrn

Abraham Elias Model, Hoffaktor und Bankier in Monheim

Wolf Simon Wertheimer, Hoffaktor und Bankier

Samuel Benjamin Mosche Wolf, Hoffaktor und Barnos

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Jakob von Hirsch, Hoffaktor, Bankier und Brauereibesitzer

Julius von Hirsch, Bankier in München

Moritz von Hirsch, Bankier und Unternehmer

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Aron Elias Seligmann von Eichthal, Hoffaktor und Bankier

Bernhard Aron Seligmann von Eichthal, Bankier, Staatsbeamter und Unternehmer

Simon Leonhard Seligmann von Eichthal, Hoffaktor und Mitbegründer der Bayerischen Hypothekenbank.

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Angelo von Wassermann, Bankier

Oskar Wassermann, Bankier

Max von Wassermann, Bankier und Industrieller

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Heinrich Hirsch Aufhäuser, Bankier und Gemeindevorstand in München