Münchner Stadtrechtsbuch, sog. Neue Folge, Dritte Gruppe: Carnifices (dt. Über die Metzger). Umgang mit Juden gemäß der Nürnberger Fleischordnung. Aus: Denkmäler des Münchner Stadtrechts, Bd. 1: 1158-1403. Bearb. v. Pius Dirr, Hg. v. d. Kommission für Bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München 1934 (= Bayerische Rechtsquellen 1), S. 434-436.
Vorbemerkung
Wohl im Jahr 1281 wurde in der Burg zu München ein Herzogssohn namens Ludwig geboren. Später stieg dieser Wittelsbacher als "Ludovicus Bavarus", Ludwig IV. der Bayer (reg. 1314-1347), zum römisch-deutschen König und Kaiser auf. Er bewahrte sich zeitlebens eine Vorliebe für seinen Geburtsort, ließ die Hofhaltung ausbauen und dort die Reichsinsignien aufbewahren. München wurde erstmals ein wichtiger kultureller wie diplomatischer Knotenpunkt. Kurz nach seiner Krönung zum König verlieh er der Stadt ein Judenrecht nach Augsburger Vorbild. Aus einer weiteren mächtigen Reichsstadt, nämlich Nürnberg, übernahm Ludwig IV. eine umfangreiche neue "Fleischordnung". Diese beschäftigte sich auch im Detail mit jüdischem Fleisch und jüdischen Metzgern.
Gemäß den jüdischen Speisegesetzen (Kaschrut) wird das Schlachtvieh von einem ausgebildeten Fachmann (Schochet) mit einem speziellen Messer (Chalef) durch einen großen Schnitt quer durch die Halsunterseite getötet, in dessen Folge die großen Blutgefäße sowie Luft- und Speiseröhre durchtrennt werden (schächten). Nur Fleisch von Wiederkäuern mit gespaltenen Hufen ist rituell rein (koscher), etwa Rinder, Ziegen oder Schafe. Fisch mit Schuppen und Zuchtgeflügel ist immer koscher. Jüdische Schlachter bzw. Metzger waren für eine funktionierende Kultusgemeinde (Kehillah) unumgänglich, sorgten jedoch in den aufstrebenden Städten des Mittelalters für Probleme: Sie wurden von den organisierten Zünften als illegitime Konkurrenz betrachtet, hinzu kam eine religiös motivierte Antipathie. Andererseits war es für gläubige Juden unmöglich, Fleisch zu kaufen oder zu verzehren, das mit unreinem (hebr. trefe) Fleisch in Berührung gekommen war. Daher suchten viele städtische Magistrate nach einem Ausgleich, wobei das judenfeindliche Element überwog.
Zwischen dem Petersbergl und dem Heilig-Geist-Spital befanden sich bereits 1284 sogenannte Fleischbänke, das waren Fleischereien und zentrale Verkaufsstätten für Fleischwaren. Ludwig IV. verlegte aus Hygienegründen die städtische Fleischbank vom Marktplatz (Marienplatz) an zwei neue Standorte: Die Obere Fleischbank am Färbergraben und die Untere Fleischbank am Roßschwemmbach. Letztere wurde "sammt dem anstoßenden Schlachthause" 1427 und noch einmal 1733 von der Stadt neu erbaut. Ein Teil der Straße hieß daher einst "Metzgerstraße" oder auch "An der unteren Fleischbänke". Im Jahr 1870 zog die städtische Fleischbank in das sog. Weiberhaus des Spitals um, welches dann 1885 abgerissen wurde. Das barocke Gebäude der Fleischbank hatte bereits 1879 weichen müssen. Bis heute erinnert die Metzgerzeile am Petersbergl mit seinen alteingesessenen Fleischfachgeschäften an die Geschichte dieses Ortes.
Quellentext
Uenser genaediger herr kayser Ludweig von Rom hat üns sein genade getan, daz wir hie ze München gen den juden an dem flaesch die gesetzt behalten, diu man ze Newrnberch und in andern steten hat und behalt gen den juden in den selben steten, und als hernach geschriben stet:
Unser gnädiger Herr Kaiser Ludwig von Rom hat uns seine Gnade erwiesen, dass wir hier zu München gegenüber den Juden, was das Fleisch angeht, dieselben Gesetze erhalten, wie man sie zu Nürnberg und in anderen Städten gegenüber den Juden anwendet, und nachfolgend geschrieben stehen:
Daz ist des ersten, daz man mayster hat gesetzet, die bewaren süllen, daz chain jud chain fläsch slahen und töten sol under der christen panch. Und wenn si vich chauffent, so süllen sie ez haim treiben und süllen ez in iren häwsern oder under den juden pencken slahen und töten und süllen ez auch under iren penck verchauffen und nicht under der christen panch, waz si dez verchauffen wellent.
Das zum ersten, dass man Meister [der Metzger-Zunft] eingesetzt hält, die bewahren sollen, dass kein Jude auf der christlichen Fleischbank sein Fleisch zerteilt oder schlachtet. Und wenn sie [d.h. die Juden] Vieh kaufen, so sollen sie es Heim treiben und in ihren Häusern oder auf der jüdischen Fleischbank zerteilen oder schlachten, und sollen es auch bei ihrer Fleischbank verkaufen und nicht auf der christlichen Fleischbank, wenn sie das denn verkaufen wollen.
Und swelich flaeschman anders den juden fläsch geit ze chauffen oder daz flaesch, daz die juden slahen, under der christen panch verchauffent offenlichen, der gibt von dem rind 60 dn und von dem kalb 30 dn und von dem schaff und von der gaiss 30 dn.
Und jeder Fleischer, der sein Fleisch an Juden verkauft, oder das Fleisch, welches die Juden zerlegt haben, auf der christlichen Fleischbank öffentlich anbietet, der zahlt für das Rind 60 Pfennige [dn. = Denarius = Pfennig] und für das Kalb 40 Pfennige und für das Schaf und die Ziege 30 Pfennige Bußgeld.
Swelich flaeschman wider ditz gepot flaesch geit ze chauffen den juden haimleich oder offenlichen daz flaesch verchaufft, daz die juden habent geslagen, und daz ein saltz oder under ander flaesch myschet oder hawt haimleich, wirt er darumb gerüget von den maystern, die darüber sint gesetzet, so geit er diu vorgeschriben püzz und müz darumb ein iar von der stat sein.
Jeder Fleischer, der diesem Gebot zuwider handelt und den Juden heimlich Fleisch verkauft, oder öffentlich das Fleisch verkauft, dass die Juden zerlegt haben, und das einpökelt oder mit anderem Fleisch vermischt oder heimlich getan hat, wird er dafür von den eingesetzten Zunftmeistern gerügt, anschließend zahlt er das vorgeschriebene Bußgeld und wird für ein Jahr aus der Stadt verbannt.
Und swelher gast her zů der stat vert und fläsch in diu stat fürt, daz die juden geslagen habent, der sol daz verchauffen under der juden panch und anders nindert. Und swer daz pricht, der geit diu vorgenanten püzz.
Und jeder Gast [d.h. Fremde] von außerhalb, der Fleisch in die Stadt einführt, das die Juden zerlegt haben, der soll es auf der Judenbank verkaufen und nirgendwo sonst. Und wer dieses Gebot bricht, der bezahlt das vorgenannte Bußgeld.
Ez soll auch chain jud chain vich töten an der strazze und sol auch [chain] plüt giezzen in diu strazz. Und wer daz pricht, der geit ie als oft 30 dn.
Es soll auch kein Jude kein Vieh auf der Straße schlachten und auch kein Blut auf der Straße vergießen. Und wer dieses Gebot bricht, bezahlt jedes Mal 30 Pfennige.
Ez ist auch gesetzet, daz chain jud vich kauffen sol weder in der stat noch davor noch anderswo dann auf dem rechten vichmargt der stat. Wer daz überfür und ez anderswo chauffent, der müz geben von dem rind 60 dn und von dem kalb oder von dem schaff 1lb dn haller und von dem schaff 60 dn.
Es ist auch festgesetzt, dass kein Jude weder in der Stadt, noch davor, noch anderswo Vieh kaufen soll denn auf dem rechtmäßigen Viehmarkt der Stadt. Wer sich darüber hinwegsetzt und es anderswo kauft, der muss 60 Pfennige zahlen für ein Rind, jeweils 1 Pfund Hallerschen Pfennige für ein Kalb oder Lamm und 60 Pfennige für ein Schaf.
Swaz die juden töttent chlains vichs, ez sein schaff oder lember oder motzen oder kelber, daz sol der flaeschhaeckel daz hinder stuck gantz behalten und verchauffen, und soll den christen sagen, daz ez ein jud getöttt hab, oder er geit dem richter 60 dn, der stat als vil. Und der richter sol die flaeschhaeckel all moneit darumb ansprechen, und sol der jud dem flaeschhaeckel geben von einem schaff 3dn, von dem rind 4 dn.
Wenn die Juden Kleinvieh schlachten, es seien Schafe oder Lämmer oder Hammel oder Kälber, dann soll der Fleischhauer (= Metzger) das hintere Stück ganz behalten und verkaufen, und soll den Christen sagen, dass es ein Jude geschlachtet habe, ansonsten zahlt er dem Richter 60 Pfennige, und genauso viel der Stadt. Und der Richter soll die Fleischhauer jeden Monat darauf ansprechen, und der Jude soll dem Fleischhauer für ein Schaf 3 Pfennige geben und für ein Rind 4 Pfennige.
Swaz flaesch die juden tötten, und swelherlay vich daz sey, ez werd treffant oder nicht, daz süllen die flaeschhaeckel verchauffen auf der hindern panck gen dem steg und auf chainer andern panck, und alles pfindiges flaesch süllen si auch auf der selben panck verchauffen; oder er geit dem richter 60 dn, der stat ½ 1 lb dn. Der richter sol den pflegern all moneit darumb züsprechen.
Wenn die Juden schlachten, und welcherlei Vieh das sei, ob es unrein wird oder nicht, das sollen die Fleischhauer auf der hinteren Bank am Steg verkaufen und auf keiner anderen Bank, und alles "pfindige" (?) Fleisch sollen sie auch auf derselben Fleischbank verkaufen; oder er [der Schuldige] gibt dem Richter 60 Pfennige, der Stadt ein halbes Pfund Pfennige. Der Richter soll jeden Monat die Pfleger [d.h. die eingesetzten Zunftmeister] darauf ansprechen.
[Die übrigen Paragraphen der Fleischordnung behandeln nur allgemeine Vorschriften und Regeln].
(Transkription nach Pius Dirr | Vorbemerkung und Edition von Patrick Charell)