"Der Friedhof speichert die Erinnerung an den Menschen, er ist die Bibliothek des Lebens" (Christoph Daxlmüller). Innerhalb der Grenzen des Freistaats Bayern sind aus über tausend Jahren jüdischer Geschichte insgesamt 206 Begräbnisstätten bekannt, die Denkmalliste des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege umfasst heute 124 Friedhöfe.
Eine eigene Begräbnisstätte gehört zu jenen Einrichtungen, um die sich eine jüdische Gemeinde stets sehr früh bemüht, denn er ist Sehnsuchts- und Heimatort. Die hebräischen Namen "Haus der Ewigkeit" bzw. "Guter Ort" (Bet Olam) oder "Haus des Lebens" (Bet Hachajim) verweisen darauf, dass nach dem Tode das eigentliche Leben in Gott beginnt.
Im religiösen Verständnis warten die Seelen der Verstorbenen auf die Ankunft des Messias. Daher ist die Totenruhe im Judentum generell auf alle Zeiten unantastbar. Anders als im Christentum gibt es keine Befristung der Liegezeit. Jüdische Gräber werden auch niemals aus freien Stücken eingeebnet.
Die Lage der Begräbnisstätten variierte im Lauf der Zeit. Entweder erwarb ein Vorstand oder Rabbiner das Grundstück, oder es wurde von einem Gemeindemitglied gestiftet. Für die Anlage eines Friedhofs gibt es nur wenige Vorgaben, die Form bleibt zumeist örtlichen Gegebenheiten geschuldet. Das Gelände muss durch eine Abgrenzung geschützt sein, sei es durch eine Hecke, einer Mauer oder einen Friedhofswärter (zumeist der Totengräber), der von seiner Gemeinde bezahlt wird.
Wichtig war und ist, dass der Friedhof von einem Trauerzug an einem Tag erreicht werden kann, denn ein Leichnam wird gemäß den Religionsgesetzen binnen 24 Stunden beerdigt. Am Schabbat und Feiertagen finden keine Beerdigungen statt, Ausnahmen werden auch bei Obduktionen gemacht. Auf oder nahe dem Friedhof muss es ein Taharahaus geben.
Abgeleitet vom hebräischen Wort für "Reinigung" (Adj. tahor = gereinigt, um den Tempel Gottes zu betreten), dient dieses Gebäude der Waschung des Leichnams, bevor die Totenkleidung angelegt wird. Die Trauergemeinschaft reinigt sich hier symbolisch vor dem Verlassen des Friedhofs.
Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit lagen jüdische Friedhöfe stets außerhalb, aber doch nahe an Ortschaften. Mit dem Entstehen des Landjudentums ab Ende des 15. Jahrhunderts wurden sog. Verbands- oder Verbundfriedhöfe üblich: Wenn einzelne Gemeinden (Kehillot) die Kosten nicht tragen konnten, schlossen sich mehrere als Friedhofssprengel zusammen.
Ländliche Begräbnisstätten waren zuweilen sehr abgelegen und verlangten den Trauergästen stundenlange Fußmärsche ab. Das lag vor allem daran, dass die christliche Mehrheitgesellschaft keine anderen Grundstücke zur Verfügung stellen wollte. Viele jüdische Gemeinden besaßen einen eigenen eigenen Leichenwagen, ansonsten wurde ein entsprechendes Gefährt von einem Gemeindemitglied ausgeliehen.
Der Einzugsbereich dieser Verbandsfriedhöfe entwickelte sich organisch, unabhängig von Rabbinatsgrenzen und erst Recht von den politischen Grenzen der christlichen Obrigkeit. Dies war der weitgehenden jüdischen Selbstverwaltung geschuldet, die ein altes Königsrecht war und bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches gültig blieb.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden neue Friedhöfe (meistens für die wachsenden urbanen Gemeinden) wieder näher an den Ortschaften angelegt, sie unterstanden auch einer staatlichen Observanz. Opfer der Shoah 1942-1945 fanden nach dem Sturz der NS-Diktatur entweder in Sammelgräbern auf christlichen und jüdischen Friedhöfen ihre letzte Ruhe, oder wurden in eigens angelegte "KZ-Friedhöfe" umgebettet.
Traditionell kümmert sich eine "Heilige Gemeinschaft" (Chewra Kaddischa) die Waschung und Einkleidung des Leichnams, sofern dies nicht Familienmitglieder übernehmen. Getrennt nach Geschlechtern bereiten diese "Bruderschaften" und "Schwesternschaften" die Beerdigung vor und unterstützen die Totenwache. Aus einem Stiftungsfonds erfüllten sie früher auch wichtige karitative Aufgaben in ihren Kultusgemeinden.
Dem Leichnam wird ein weißes Baumwoll- oder Leinengewand angelegt. Männliche Tote tragen zudem ihren Gebetsschal (Tallit). Allerdings werden die Schaufäden (Zizit) gekappt, weil sie an religiöse Pflichten erinnern, die der Träger nun nicht mehr ausüben kann. Die Totenkleidung soll symbolisieren, dass alle Verstorbenen vor dem Schöpfer gleich sind.
Ein Leichnam muss vollständig begraben werden, daher besteht traditionell ein Verbot der Feuerbestattung. Er wird in das Leichentuch gehüllt, bei Sargpflicht in einen schlichten Holzsarg, um eine rasche Zersetzung sicherzustellen ("Denn Staub bist Du und zum Staube zurück kehrst Du", Gen 3,19).
Anstelle von Blumen werden kleine Steinchen auf Gräber gelegt. Der Brauch stammt vermutlich daher, dass früher schwere Steine aasfressende Tiere abhalten sollten. Steine stehen auch als Symbol für die unvergängliche Seele, sie repräsentieren die ewige Erinnerung und das Vermächtnis eines geliebten Menschen.
Ein Jahr nach der Beerdigung wird der Grabstein (Mazewa, Pl. Mazzewot) gesetzt. Im Gegensatz zu christlichen Gräbern werden die Steine nicht weiter gepflegt, man lässt sie einsinken, um die Totenruhe nicht zu stören. Für gewöhnlich hatten jüdische Grabsteine seit dem Spätmittelalter einen dreigliedrigen Aufbau:
Im Kopf befinden sich häufig reliefartig herausgearbeitete Bildelemente, die auch regionalen Traditionen folgten. Ein Magen David oder Menora sind Symbole des Glaubens. Blumen und Tiere weisen auf den sprechenden Namen eines Verstorbenen hin. Bedeutende Hoffaktoren ließen sich das Familienwappen auf den Grabstein setzen. Eine "Krone des guten Namens" ehrt die herausragend Frommen und Angesehenen.
Segnend ausgebreiteten Hände verweisen auf einen Nachkommen der Priesterkaste (Kohanim, Familienname Kohen/Kohn). Eine Kanne symbolisiert den Stamm Levi (Leviten), dessen Angehörige den Priestern im Tempel das Wasser für Waschungen reichten. Die Gesetzestafeln bedeuten Frömmigkeit, eine Spendenkiste besondere Nächstenliebe. Das Schofar steht symbolisch für Lehrer und Vorbeter, Beschneidungswerkzeuge für einen Mohel.
Darunter beginnt die eigentliche Grabinschrift mit den (abgekürzten) Formeln "hier ist begraben" (po nitman / po nitmena) oder "hier ist geborgen" (po tamum / po tmuna). Es folgt eine Eulogie, das ist eine weihevoll ausgestaltete Lebensbeschreibung mit Angaben zu den Lebensdaten, dem Beruf und Charakter des oder der Verstorbenen. Am Ende findet sich mit fünf Buchstaben abgekürzt die Formel "Möge seine/ihre Seele eingebunden sein in den Bund des Lebens" (Tehi nafscho/ nafscha zrura bizror hachajim, 1. Sam 25,29).
Mazzewot wurde traditionell von christlichen Steinmetzen hergestellt, die mit Schablonen und Vorlagen arbeiteten. Auch mit der neuen Gewerbefreiheit ab 1813 ist im süddeutschen Raum kaum etwas von jüdischen Werkstätten bekannt. Es gab dafür auch keine zwingende Notwendigkeit, weil sich die Grabgestaltung mit zunehmender Assimillation der Juden als bayerische bzw. deutsche Staatsbürger änderte:
Die Inschriften wurden im europäischen Stil auf das Wesentliche verknappt und zunächst zweisprachig, zuletzt sogar nur noch auf Deutsch formuliert. Hebräische Jahreszahlen standen neben der christlichen Zeitrechnung und wurden später auch ganz vom Gregorianischen Kalender ersetzt. Vermehrt traten säkulare Symbole wie gebrochene Säulen oder Urnen auf. Eichenlaub, Helme und Waffen schmückten die Gräber von Kriegsteilnehmern.
Einer der wenigen bekannten jüdischen Hersteller von Grabsteinen war Max Koppel (1840-1917), der in Nördlingen eine große Werkstätte mit bis zu 40 Mitarbeitern aufbaute. Seine Spezialität waren aufwendige Grabsteine aus schwarzem italienischen Marmor mit goldenen Lettern, die er bis nach Frankfurt a. M. und Stuttgart lieferte.
Jüdische Friedhöfe wurden immer wieder das Ziel von Gewalt und Schändung. Während der großen Pogrome des Mittelalters, und nach den Verteibungen des ausgehenden 15. sowie frühen 16. Jahrhunderts ließen christliche Machthaber die Begräbnisplätze gezielt abtragen und meistens auch neu bebauen. In Augsburg etwa wurde auf dem Areal die "Judenbastei" errichtet, in Rothenburg der Schrannenplatz, in Würzburg das Juliusspital.
Als weitere gezielte Demütigung – und wegen ihres hohen Materialwerts – wurden Grabsteine aus den zerstörten Friedhöfen wiederverwertet: Als Mauersteine, Treppenstufen, für christliche Epitaphe und sogar Abort-Sitz. Man brachte sie auch als religiöses Triumphzeichen öffentlich sichtbar an Fassaden an. Beispiele hierfür finden sich in Attenhofen, Augsburg, Landshut, Regensburg oder Kelheim.
Im frühen 20. Jahrhundert mehrten sich erneut antisemitische Schändungen. Nach der NS-Machtübernahme 1933 wurde die "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" durch die Zwangseingliederung aller Kultusgemeinden formal Eigentümerin der Friedhöfe; 1942 ordnete das Reichssicherheitshauptamt, sie den Kommunen zum Kauf anzubieten.
Zum Teil wurden nun Friedhöfe eingeebnet, um Übungsplätze oder Heimgärten (!) anzulegen. Grabsteine wurden ihres Metallschmucks beraubt ("Metallspende"), beschädigt, eingelagert oder als Baumaterial missbraucht. Ironischerweise gebot das NS-Regime selbst der Zerstörung Einhalt, weil das "Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands" die jüdischen Grabstätten als zukünftige Forschungsobjekte erhalten wollte.
Nach Kriegsende ordnete die US-Militärregierung eine erste Restaurierung an. Bund und Länder haben 1957 vereinbart, die Pflege aller verwaisten jüdischen Friedhöfe zu gleichen Teilen zu übernehmen. Die Trägerschaft übernimmt der Landesverband Israelitischer Kultusgemeinden in Bayern und wird dabei von den Kommunen unterstützt.
Die 13 bestehenden Kultusgemeinden in Bayern betreuen ihre aktiv genutzten Friedhöfe selbst. Aber auch in der Gegenwart bleiben jüdische Begräbnisplätze von antisemitischen Schändungen bedroht. In der Regel ist daher kein öffentlicher Zugang möglich, weil ihr Schutz nicht rund um die Uhr gewährleistet werden kann.
Der Zahn der Zeit nagt an den historischen Mazzewot. Eine strenge Auslegung der Totenruhe erlaubt auch keine konservatorischen Maßnahmen. Daher laufen groß angelegte Projekte des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege, der Universität Bamberg sowie weiterer regionaler Initiativen, um das fast tausendjährige Erbe jüdischen Lebens mit neuester Technik zu erfassen, bevor es durch die natürliche Verwitterung unwiderbringlich verloren geht.
(Patrick Charell)
Quellen
1298: Bau des "Judenwalls" in Augsburg
1867: Jüdische Wohlfahrt in Fürth
Zeitzeugen
Adolf Höxter, 1939 kurzzeitig als Friedhofsgärtner der IKG Augsburg angestellt.
Rosa Steiner Wertheimer, über die emotionale Bedeutung des Friedhofs bei ihrem ersten Besuch in Regensburg nach der Imigration.
Glossar
Grundherrschaft, syn. Ortsherrschaft
"Reichsvereinigung der Juden in Deutschland"
Gemeinden und Friedhöfe (Auswahl)
Personen
Theodor Harburger, Kunsthistoriker
Max Koppel, Steinmetz