Das "Lantrehtbuch" (Stadtrecht) von Augsburg, Handschrift wohl 1276/77 mit späteren Ergänzungen. Artikel XIX: "Welh reht die iuden han suln die hier zer stat sitzend", Artikel 1-14. Staatsarchiv Augsburg, Reichsstadt Augsburg MüB 32 Oppitz Nr. 1114 (Dauerleihgabe im Stadtarchiv Augsburg).
Vorbemerkung
Mit einer urkundlichen Genehmigung des römisch-deutschen Königs Rudolf von Habsburg (reg. 1273-1291) vom 9. März 1276 wurden die bereits bestehenden Gesetze sowie die Privilegien der Reichsstadt Augsburg niedergeschrieben und damit auch bestätigt. Das sog. Stadtbuch orientiert sich sehr eng am kurz zuvor verfassten Schwabenspiegel, dem schriftlichen fixierten Recht im Südwesten des Heiligen Römischen Reichs.
Die Vorarbeiten dürften – wie die zum Schwabenspiegel – unter dem Einfluss des Bettelordens (Mendikanten) der Franziskaner entstanden sein.Das Judenrecht im Augsburger Stadtbuch ("Welh reht die iuden han suln die hier zer stat sitzend") diente in der Folge anderen Städten als Vorbild, zum Beispiel wurde es 1315 von Kaiser Ludwig IV. dem Bayern (reg. 1314-1347) in München eingeführt. Es besteht aus vier Gruppen von Rechtsgebieten: Prozeß-, Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht.
Größerer Raum war dem Kredithandel und Pfandrecht gewidmet. Als Höchstzinssatz wurden 86 2/3 Prozent festgesetzt. Dies erscheint enorm hoch, allerdings wurden Kredite meistens nur in eingeschränkter Höhe und eher kurzfristig vergeben. Die Annahme von Kirchengut als Pfand blieb wie schon im Schwabenspiegel streng verboten.
Die strafrechtlichen Bestimmungen enthielten ein ausdrückliches Verbot des sexuellen Verkehrs zwischen Juden und Christen (eine Heirat war sowieso ausgeschlossen). Körperliche Vergehen von Juden gegen Christen oder umgekehrt bzw. von Juden untereinander fielen in den Zuständigkeitsbereich des Vogtes, der jeweils nach christlichem oder jüdischem Recht über den Schuldigen richten sollte. Da Juden nicht mit Christen zusammen baden sollten (was auch in ihrem eigenen religiösen Interesse lag), wurde 1290 ein Jüdisches Badehaus in Augsburg errichtet.
Gemäß dem Laterankonzil von 1215 mussten Augsburger Juden in der Öffentlichkeit einen spitzen Judenhut tragen, wobei nur der jüdische Fleischhändler bzw. Schlachter (hebr. Schochet) im Text erwähnt wird. Auf Geheiß des Hochstifts Augsburg wurde sein Verkauf eingeschränkt, um den christlichen Metzgern keine Konkurrenz zu machen.
Quellentext
Welches Recht die Juden haben sollen die hier in der Stadt ansässig sind
[Gericht in der Synagoge – Zeugenschaft – Judeneid]
Hat ein Christ zu Klagen gegen einen Juden, dann soll der Vogt richten auf ihrer Schule [der Synagoge] mit Bürgern und mit Juden. Und wenn sie mit Fürsprachen gegeneinander stehen, so soll der Vogt einen Christen fragen und ihr Richter [der Vorstand des innerjüdischen Gerichts] einen Juden, und soll man die Urteilssprüche dann zusammentun [und] nach der Mehrheit folgen. Und dem Fall, dass der Jude seinen Eid schwören soll ["Unde ist daz daz ez dem iuden an sinen wirt erteilt"], so soll er um den Eid vierzehn Nächte Frist haben, und soll den dann tun vor dem Vogte auf der Schule nach jüdischem Recht [die Eidformel ist für das Jahr 1285 überliefert und mit jener im Schwabenspiegel fast identisch]. Wird aber dem Christen ein Zeugnis erteilt gegen den Juden, den mag er nicht bezeugen wann er selbst Dritter ist, und soll der einer ein Jude sein.
[Klage eines Juden gegen einen Christen]
Klagt ein Jude gegen irgendeinen Christen, welche Sache es auch ist, es sei des Stadtvogtes Gericht oder des Burggrafen, da soll er den Eid des Christen annehmen. Will er aber gegen ihn zeugen, soll er das tun zu dritt, mit demselben und mit zwei Christen ["Wil er in aber beziugen, daz sol er tun selbe dritte mit im selben unde mit zwain cristen"].
[Pfandrecht 1]
Wird einem Juden ein beschlossenes Pfand gesetzt ohne Bürgen, das soll er behalten auf Jahr und Tag, ist es der Pfennige Wert [Angemessener Gegenwert der Kreditsumme]. Ist es ihrer nicht Wert, so mag er dem Burggrafen [Anm: der ordentliche Richter in Augsburg für Kreditprozesse] klagen, dass man ihm mehr des Pfandes gebe, oder dass er es mit Recht verkaufe[n kann].
[Pfandrecht 2]
Wird einem Juden ein Pfand gesetzt und werden der Christ und der Jude miteinander zu Kriege, entweder dass das Pfand so viel stand oder so lange, hat der Jude das Pfand in seinem Gewahrsam ["in seiner gewer"], dann legt der Jude die Summe fest, für die der Christ es auslösen soll ["swaz er danne bereit uf dem phande darumbe sol ez der cristen loesen"]. [Nachtrag] Und soll das tun um an den anderen tag zu Mittag. Es soll auch noch ["enmag"] kein Jude auf sein Pfand nicht mehr berechnen ["behaben"] Hauptguts und Schadens [Zins] denn das Pfand wert ist.
[Pfandrecht 3 – Beleihung eines Pferdes]
Leiht ein Jude seine Pfennige auf ein Ross das soll er zum Fütterer einstellen und soll Bürgschaft darauf nehmen [wohl, um einen Betrug etwa durch heimliches Vertauschen des Tieres zu verhindern]. Geschieht dem Pferd etwas durch das Verschulden des Juden, ["von des iuden schulden den schaden"] soll der Jude den Schaden haben. Geschieht aber dem Ross ohne Verschulden des Juden ein Schaden, sollen der Selbstschuldner ["selpschol"] oder seine Bürgen den Schaden tragen. [Nachtrag Und was er ohne Bürgen leiht, dass hat er verloren.
[Marktschutzrecht – Hehlerei]
Findet ein Christ sein Gut in eines Juden Gewalt dass ihm gestohlen oder geraubt worden ist, dass soll ihm der Jude wieder geben um das Hauptgut [Ankaufspreis]. Dünkt dem Christen aber der Auslösung zu viel, soll ihm der Jude es beweisen nach jüdischem Recht. Es soll auch kein Jude kein beschlossenes Pfand entgelten ["verwiedern"], das man ihm setztet, dass des Drittel Teils zu teuer sei. [Nachtrag] Und soll der Jude einen nennen, der ihm das Pfand gesetzt habe, oder er soll nach jüdischem Recht bereden, dass er ihn nicht erkenne noch seinen Namen nicht wisse, und dass er auch des Gutes nicht mehr innehabe, noch davon mehr wisse und dass er von keinem Makel daran wusste ["daz er chaine fraise dran weste"].
[Pfandrecht 4 – Kirchengut]
Es soll kein Jude leihen auf kein Messgewand noch auf keinen Kelch noch auf nichts, dass mit Gewissheit zur Kirche gehört [nihtiu des daz zu der kirchen hoeret wan mit gewisheit"].
[Pfandrecht 5 – Zinsfuß]
Es soll auch kein Jude von einem halben Pfund Pfennige mehr zum Zins nehmen denn zur Woche 2 Pfennige und von 60 je einen. [Pfund = 240 Pfennige, daraus ergibt sich ein Zinsfuß von 86 1/3 Prozent].
[Pfandrecht 6 – Verlust eines Pfandes]
Fließt ein Jude einem Christen sein Pfand, mag er des Pfandes nicht wieder gewinnen, so soll es der Jude dem Christen gelten nach seinem Eide.
[Kapitalverbrechen]
Schlägt ein Christ einen Juden zu Tode oder ein Jude einen Christen oder verwundet einer den anderen, oder wenn ein Christ einen Juden oder ein Jude einen Christ zur Gewalt anstiftet oder die Juden untereinander, sei es mit Totschlag oder dass einer den anderen verwundet, soll man einem Vogt büßen, wie es in seinem [christlichen oder jüdischen] Recht geschrieben steht.
[Verbot des sexuellen Verkehrs]
Liegt ein Jude bei einer Christin, findet man sie beieinander in flagranti ["an der hantgetat"], so soll man beide verbrennen. Ist es aber, dass der Vogt inne wird, dass sie voneinander kommen, lädt ihn der Vogt vor Gericht deswegen, so soll er seine Gunst gewinnen nach seinen Gnaden, ob man ihm bringt, was Recht ist. [Später wurde diese Strafe auf Rutenschläge und Ausweisung aus der Stadt "abgemildert"]
[Diebstahl]
Begeht ein Jude einen Diebstahl an einem Juden oder Christen ["Tuͤt ein iude ein diupstal eime iuden oder eime cristen"] und wird er in flagranti ["an der hantgetat"] gefunden, so soll man sofort über ihn richten, was Recht ist. Kommt er aber davon und wird darum vor Gericht geladen, so soll man ihm bezeugen was Recht ist oder man soll sein Recht darum nehmen.
[Fleischordnung]
Wenn ein Jude Fleisch schlachtet, es sei Rind, Schaf oder Kalb, das soll er selber töten; und wenn er das nicht will, dann sollen die Juden eine besondere [Fleisch-]Bank haben, und ein Jude soll darüber stehen und das verkaufen und kein Christ, und derselbe Jude soll einen Judenhut aufhaben. [Nachtrag] Es verbietet der Stadtvogt und auch die Bürgerschaft um der Juden Fleisch, als unser Herr der Bischof und unsere Chorherrn [vom Dom] uns verschrieben haben mit ihrer Handfeste [eine zur Sicherung eines Rechts ausgefertigte Urkunde]: Wenn Juden das Fleisch verkaufen, welches sie nicht selbst verbrauchen, dass soll niemand erwerben um es dann weiterzuverkaufen; will er es selber essen in seinem Hause, so mag er es wohl kaufen ohne Schaden, und soll auch von den Juden niemand [woanders] kaufen denn auf ihrer Fleischbank, als die Handfeste sagt. Wer dagegen verstößt ["Swer daz daruͤber braeche"], den soll man dem melden der rechtlich zuständig ist, ist es ein Metzger ["Flaichsmanger"], der ist dem Burggrafen eine Entschädigung ["galtnusse"] schuldig und dazu dem Vogte und der Stadt einen Pfund Pfennige; ist es ein anderer Mann, der nicht in das Burggrafenrecht gehört, der ist dem Vogte und der Stadt einen Pfund schuldig. Wenn er aber die Strafe gar nicht bezahlen kann, so soll er ein Jahr aus der Stadt [verbannt] sein.
[Badeordnung]
Es sollen auch die Juden gesondert baden und mit keinem Christen.
(Vorbemerkung nach Peter Kreutz: Stadtbuch von Augsburg (Historisches Lexikon Bayerns); Transkription nach Christian Mayer: Das Stadtbuch von Augsburg, insbesondere das Stadtrecht vom Jahre 1276 [...]. Augsburg 1872, S. 52-58.)