Herzog Heinrich XIV. von Bayern verzeiht seinen Bürgern in Deggendorf den Mord an den herzoglichen Schutzjuden, erlaubt ihnen, alles geraubte Gut zu behalten, und erklärt alle bestehenden Kreditverhältnisse für getilgt. Landshut, 14. Oktober 1338. Abschrift aus dem Privilegienbuch der Stadt Deggendorf von 1607. Stadtarchiv Deggendorf, B 2, fol. 22v-23v.
Vorbemerkung
Urheber und Aussteller dieser Urkunde war Herzog Heinrich XIV. von Bayern (reg. 1310-1339; als Herzog von Niederbayern Heinrich II.). Mit fünf Jahren wurde Heinrich nominell die Regierung übertragen, musste sie jedoch mit seinem jüngeren Bruder Otto IV., seinem Onkel und nach dessen Tod mit Vetter Heinrich XV. teilen. Wegen seiner ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen und einer aufwendigen Hofhaltung hatte Herzog Heinrich zeitlebens Geldsorgen. So musste er etwa 1335 die Schutzgelder der Juden von Straubing und Landshut an das Kloster Niederaltaich verpfänden.
Im Jahr 1338 war Deggendorf eine aufstrebende Kleinstadt mit wohl etwa 1500 Einwohnern, die jedoch unter den langen Kriegen und den Folgen einer Feuersbrunst litten. Dem in doppelter Funktion als Stadt- und herzoglichen Landrichter amtierenden Konrad Freyberger, dem städtischen Rat und der "Gemein" (der in Zünften organisierten Bürgerschaft) wird mit der vorliegenden Urkunde verziehen, dass sie die Juden in der Stadt zu Tode gebracht hatten.
Durch das Possessivpronomen "unsere" bringt der Herzog zum Ausdruck, dass er der Herr über jene Juden war und sie als Kammerknechte unter seinem Schutz standen. Das bedeutete zwangsläufig, dass die Deggendorfer durch ihre Tat ein Vergehen gegen den Herzog selbst begangen und in Ungnade gefallen waren. In diesem Fall gewährt Heinrich XIV. jedoch ohne weiteres erneut und im vollen Maße seine Huld. Aus dem Wortlaut des Dokuments ist zu schließen, dass gleichermaßen Ober- und Unterschicht, Patrizier und Handwerker der Stadt wenigstens billigend am Judenmord beteiligt waren und dass die Tat zumindest mit Wissen, wahrscheinlicher noch mit maßgeblicher Beteiligung oder Führung des Stadtrichters (eines herzoglichen Beamten!) begangen wurde.
Quellentext
Wir Heinrich, von Gottes Gnaden Pfalzgraf zu Rhein und Herzog in Bayern etc., erklären öffentlich durch diesen Brief und tun allen kund, die ihn sehend oder hörend lesen [= die ihn selber lesen oder denen er vorgelesen wird], dass Wir Konrad dem Freyberger, Unserem Richter, dem Rat und der Gemeinde – Armen und Reichen – Unserer Stadt zu Deggendorf Unsere und Unseres Landes Huld ganz und gar gegeben haben; [dies war] darum [nötig, weil] sie unsere Juden zu Deggendorf verbrannt und getötet haben. Außerdem wollen Wir, dass sie das, was sie diesen Juden an habe genommen haben oder was von ihnen heimlich oder öffentlich in ihre Gewalt gekommen ist, alles behalten sollen, auch das, was sie denselben zurückzahlen sollten. Darum sollen die Bürgschaften, Pfandbriefen und andere Urkunden, welche die Juden von ihnen innehatten, oder was sie ihnen sonst zurückzahlen sollten, völlig getilgt sein, und sie sollen daher dieser drei Sachen gegenüber Uns und allen Leuten gänzlich ledig sein; auf Ewig sollen sie an Leib und Gut ohne Bußleistung gegenüber Uns, Unseren Erben und Nachkommen und gegenüber allen Unseren Amtsleuten bleiben und sollen auch deswegen auf ewig von Uns, Unseren Erben und von all Unseren Beamten unangesprochen und unbehelligt bleiben. Dass ihnen dies alles stets ganz und unverletzt verbleibe, geben wir ihnen als Urkunde diesen Brief, besiegelt mit unserem Siegel. Gegeben zu Landshut, als seit Christi Geburt dreizehnhundert Jahre [vergangen] waren und danach im achtunddreißigsten Jahr, am Mittwoch vor dem Sankt Gallus Tag [14. Oktober 1338].
(Vorbemerkung und Edition nach Manfred Eder aus: Ders.: Vom Judenmord zur Hostienwallfahrt. Die schriftlichen und gegenständlichen Quellen der "Deggendorfer Gnad" und die Ablässe der Grabkirche. Deggendorf 2022 (= Kataloge der Museen der Stadt Deggendorf 41 / Deggendorf - Archäologie und Stadtgeschichte 21), S. 12f.)