Jüdisches Leben
in Bayern

Glossar

(hebr. Gemeinde Israels): Name einer ultra-orthodoxen Austrittsgemeinde, die 1869 von Esriel Hildesheimer zur Erhaltung der vom Religionsgesetz gebotenen Einrichtungen in Berlin begründet wurde. Den "Gesetzestreuen" gingen schon geringste Reformbestrebungen innerhalb der jüdischen Kultusgemeinden zu weit.

Quelle: Bernward Deneke u.a.: Vorinformationen zum Judentum. In: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg / Bernward Deneke u.a. (Hg.): Siehe der Stein schreit aus der Mauer. Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Nürnberg 1988, S. 511.

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(Von ahdt. adal, edeli; Adj. adelig): Erblich bevorrechtete Gesellschaftsschicht, die in Familienverbänden (Dynastien syn. Geschlecht) organisiert ist. Ursprünglich gründete sich der Adel auf kriegerische Tüchtigkeit und dem Gedanken der Blutheiligkeit (Geblütsadel) sowie dem Anspruch auf göttlichen Erwählung. Nach der Lex Baiuvariorum gab es im frühen Mittelalter nur fünf uradelige Adelsgeschlechter im bayerischen Stammesherzogtum; seit dem 8. Jahrhundert entwickelte sich eine breitere Adelsschicht in Bayern, der sich zunehmend auf Grundbesitz stützte. In der fränkischen Zeit entwickelte sich aus ursprünglich unfreien Gefolgsleuten der Dienstadel (Ministerialen), der seinen Besitz als Lehen, eben "verliehen" bekam - zunächst nur auf Lebenszeit, schon bald jedoch als Erbanspruch über die männliche Linie im Familienverband. Im 12. Jahrhundert entsteht das Wappenwesen mit der Heraldik als höfischer Wissenschaft, die bis heute zum Alltag in Europa gehört. Im Hochmittelalter vereinigte das Ideal des Rittertums die Fürsten, Hochadel, einfache Ritter (abgeleitet von "Reiter") und die Ministerialen in einem gemeinsamen Wertekanon.

Mit dem Ende der Naturalwirtschaft, dem Aufstieg des städtischen Bürgertums und des Frühkapitalismus beginnt eine Krise und Umschichtung des Adels. Im Spätmittelalter zerfallen Ritterstand und ritterliche Ideale, auch durch moderne Kriegstechniken (Infanterie, Feuerwaffen). Hochadel und Niederadel beginnen sich ständisch zu organisieren und abzuschotten. Größere Fürsten (Markgrafen, Herzöge, Kurfürsten, Fürstbischöfe) bauen ihre Territorien zu Territorialstaaten innerhalb des Heiligen Römischen Reiches aus. Der "Raubritter" ist ein degeneriertes Abbild dieser Zeit des Umbruchs: Die freien Reichsritter (Immediat) pochen auf alte mittelalterliche Rechte, um sich mit Waffengewalt persönlich zu bereichern. Der Gang der Reformation und katholischen Gegenreformation im 16/17. Jahrhundert wurde von Adelscliquen bestimmt, die gegen den Landesherrn aufbegehren.

Der Adel stellte noch immer das militärische Führungspersonal, musste für seinen Unterhalt jedoch zunehmend administrative oder diplomatische Aufgaben im Dienst der Territorialfürsten übernehmen. Im Absolutismus setzten sich zentral organisierte Territorialstaaten größtenteils gegen das veraltete Adelssystem durch und brachen seine Macht. Unterschieden wird nun zwischen dem alteingesessenen Adel (Schwertadel) und dem neuen Verdienstadel, der seine Titel aufgrund seiner Arbeit und Treue für den Landesherrn erhielt (Briefadel). Durch die Französische Revolution (1789), der Säkularisation und Mediatisierung im Heiligen Römischen Reich (1803 bis 1806) wurde der Adel politisch weiter zurückgedrängt. In Bayern jedoch verlor er erst 1848 seine letzten Vorrechte. Mit der Revolution von 1918 wurde das monarchische Prinzip mitsamt dem Adel abgeschafft. Adelstitel sind heute nurmehr Bestandteil des Familiennamens, ohne tatsächlichen Machtanspruch. Je nach den Besitzverhältnissen oder der lokalen Verwurzelung üben einige Familienverbände noch immer gesellschaftlichen Einfluss aus; größtenteils ist die Funktion der "Elite" jedoch auf andere Kräfte übergegangen. Die vom Adel geprägten Leitbilder (Heros, Rittertum, Treue, die Idee des Gentleman) sind weitgehend verblasst.

Quelle: Konrad Fuchs / Heribert Raab (Hg.): Wörterbuch der Geschichte, Bd. 1. 5. durchgesh. Aufl. München 1983, S. 48f.

1914 gegründete nichtstaatliche jüdische Wohlfahrtseinrichtung mit Sitz in den USA. Während der NS-Zeit half das Joint deutschen Juden bei der Emigration, nach 1945 stellte es umfangreiche Mittel zur Unterstützung der "Displaced Persons" zur Verfügung.

Quelle: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1659.

Synonym Gemeindeland (bay. Gmain): Gemeinschaftlich genutzte Liegenschaft (Weiden, Ödland, Rebland o. Wald) im Eigentum von Gemeinden oder gemeindeähnlichen Körperschaften.

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Ursprünglich aus dem Arabischen stammende Bezeichnung für die Bima, den erhöhten Platz in der Synagoge zum Verlesen der Tora.

Quelle: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1658f.

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A) Südöstlicher Teil des modernen Freistaats Bayern, der auf den frühmittelalterlichen Siedlungsraum des bajuwarischen Stammesherzogtums zurückgeht: Oberbayern, Niederbayern, die Oberpfalz sowie kleinere angrenzende Randgebiete in Oberfranken und Schwaben. B) Im allgemeinen Sprachgebrauch eine kulturell-geographische Bezeichnung für das Herzogtum bzw. Kurfürstentum Bayern (Baiern) vor der Säkularisation und der Mediatisierung.

Quelle: Haus der Bayerischen Geschichte / Manfred Treml (Hg.): Politische Geschichte Bayerns. München 1989 (= Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur 9/89), S. 17-32. // Dieter J. Weiß: Bayern (Raum), publiziert am 16.12.2021. In: Historisches Lexikon Bayerns (https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayern_(Raum) [12.12.2022].

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Moderne Bezeichnung für eine Feindseligkeit gegenüber Menschen jüdischen Glaubens im Mittelalter und Neuzeit, die sich hauptsächlich aus religiösen Motiven speiste ("Gottesmörder", "Wucherer"). Die Herkunft oder ethnische Abstammung der Jüdinnen und Juden spielte dabei noch lange keine wesentliche Rolle. Diese Art des Judenhasses wurde zur Mitte des 19. Jahrhunderts von einem rassistisch definierten Antisemitismus größtenteils abgelöst, wobei Elemente des historischen Antijudaismus bis heute immer wieder auftauchen.

Quelle: Micha Brumlik: Antisemitismus. Ditzingen 2020, S. 9-45.

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Bereits Martin Luther gilt als "Protoantisemit", weil er neben der Religion auch ökonomische und gesellschaftliche Motive gegen Juden anführte. In seinen Augen waren Juden keine Untertanen des Heiligen Römischen Reiches, sondern ein schädlicher Fremdkörper. Dieses Element spielte im Lauf der Zeit eine immer wichtigere Rolle, während das religiös-christliche Motiv in den Hintergrund rückte. Der moderne Judenhass entstand vor dem Hintergrund der langen Napoleonischen Kriege im frühen 19. Jahrhundert. Es handelte sich dabei um einen Rassismus, der eine paranoide Verarbeitung jener tiefen gesellschaftlichen Krisen darstellte, die mit dem Aufkommen des Nationalgedankens und der Durchsetzung des industriellen Kapitalismus entstanden. Weil die Juden seit vielen Jahrhunderten ohne ein eigenes Land verstreut lebten, galten sie den Antisemiten als "Weltbürger" im negativen Sinne. Die Hetzer unterstellten ihnen, dass sie keine richtige Heimat kannten und Loyalität nur untereinander hielten. In der politischen Linken prägte bereits Karl Marx (1818-1883) einen Antisemitismus, der vorgeblich kapitalismuskritisch und anti-kolonialistisch ist, jedoch die Geldwirtschaft mit dem Judentum gleichsetzt.

Vollständig erfundene Propagandawerke wie "Die Protokolle der Weisen von Zion" (wohl 1898) schürten die Angst vor einem subversiven "Weltjudentum", das nach der absoluten Macht strebte. Dieses Ziel würde es insgeheim auf mehreren Wegen verfolgen: Durch die Beherrschung des internationalen Kapitalmarktes (Kapitalismus), die Erschütterung traditioneller Säulen der Gesellschaft durch Revolutionen und neue Ideologien, mit der Zersetzung der Gesellschaft durch Amoral und Hedonismus, und zuletzt durch die Auslöschung des Individuums in politischen Kollektiven (Marxismus, Kommunismus). Dadurch entstand der völlig paradoxe Vorwurf, dass "die Juden" gleichzeitig "den Kapitalismus" und "den Kommunismus" sowie alle möglichen Geheimgesellschaften wie etwa die Freimaurer beherrschten.

Öffentlich agierende Judenfeinde wie Wilhelm Marr (1819-1904) und Otto Glagau (1834-1892) organisierten sich vereinsförmig als "Anti-Semiten". Sie beanspruchten eine vermeintlich wissenschaftliche Grundhaltung, weil sie Juden nicht mehr nur als Menschen jüdischen Glaubens, sondern als Angehörige einer außereuropäischen und schädlichen "Rasse" bestimmten. Der Antisemitismus wurde dadurch als generelle Abneigung gegenüber "biologischen Tatsachen" verbrämt. Die logische Konsequenz daraus war die Entfernung der Juden aus dem jeweiligen Volkskörper im Sinne der damals (weltweit) verbreiteten These der "Rassenhygiene".

Um die Wende zum 20. Jahrhundert wurde München eine Hochburg dieses "völkischen" Antisemitismus. Aus ihm ging die Ideologie der Nationalsozialisten hervor. Auch die Nationalsozialisten zeichneten das Bild "des Juden" (ein herabwürdigender Pauschal-Singular) als Vertreter eines moralischen Kapitalismus sei, der die althergebrachten Gesellschaftstrukturen und Werte (Mittel-)Europas untergraben wolle. Dies wurde unter anderem im antisemitischen Propagandafilm "Jud Süß" (1940, Regie Veit Harlan) deutlich, der alleine im Deutschland von über 20 Millionen Menschen gesehen wurde. Der NS-Rassebegriff schwankte angestrengt zwischen einer vorgeblich naturwissenschaftlicher Haltung, neo-paganer Germanenesoterik und einer willkürlichen politischen Definition des Begriffs "Rasse" an sich. Dieser Wahn führte zur Diskriminierung und Ausgrenzung der Jüdinnen und Juden in Deutschland sowie den später besetzten Ländern und mündete im bis heute unvorstellbaren Grauen der Shoah, dem größten Kulturbruch der Menschheitsgeschichte.

Antisemitismus sowohl von Rechts wie auch von Links ist bis heute in der Welt präsent und eine alltägliche Bedrohung. Er äußert sich auch in der Leugnung der Shoah (Holocaust), die als jüdische Propaganda abgetan wird. Eine für Deutschland relativ neue Variante ist der gewaltbereite islamische Antisemitismus, der antijüdische mit antisemitischen Elementen vereint. Er speist sich aus dem Hass auf den Staat Israel sowie der Ablehnung laizistisch-westlicher Gesellschaftsformen.

Quelle: Micha Brumlik: Antisemitismus. Ditzingen 2020, S. 45-81. // Herbert A. Strauss. Anfänge und Folgen des Antisemitismus. In: In: Haus der Bayerischen Geschichte / Manfred Treml / Josef Kirmaier / Evamaria Brockhoff (Hg.): Geschichte und Kultur der Juden in Bayern – Aufsätze. München 1988 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 17), S. 443-454.

(Offizieller Sprachgebrauch des NS-Regimes): Überführung jüdischen Besitzes, insbesondere von Immobilien, in die Hände nichtjüdischer deutscher Privatleute, Firmen, Kommunen oder des Staates, häufig durch erpressten Kauf.

Quelle: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1659.

Eine von Franken ausgehende Aufstandsbewegung bäuerlicher und städtischer Unterschichten, die von 1336 bis 1338 für eine Reihe von Massakern an jüdischen Gemeinden im südwestdeutschen Raum und im Elsass verantwortlich war. Als Anführer und vielleicht auch Initiator gilt der verarmte Ritter Arnold III. von Uissigheim ("Rex Armleder", wohl wegen seiner billigen, rudimentären Rüstung). Bei Ochsenfurt gelang es, unter Mithilfe der Würzburger Stadtbevölkerung ihren Vernichtungszug aufzuhalten. Ritter Arnold wurde festgenommen und am 14. November 1336 in Kitzingen mit dem eigenen Schwert hingerichtet. Ein Jahr später flammte der Aufstand erneut auf und wurde erst in Lothringen vor den Toren Colmars durch ein kaiserliches Aufgebot zerschlagen. Die vorher eher passiven Fürsten des Reiches hatten erkannt, dass der anarchische Mob aus verelendeten Bauern und überschuldetem Kleinadel auch für ihre Macht eine Bedrohung darstellte.

Quelle: Klaus Arnold: Die Armledererhebung in Franken 1336. In: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst Jg. 26 (1974), S. 35-62. // Jörg R. Müller: Armleder-Verfolgungen 1336-1338, publiziert am 17.10.2016; in: Historisches Lexikon Bayerns (https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Armleder-Verfolgungen_1336-1338) [12.12.2022].

Behältnis, in dem in der Synagoge die Torarollen aufbewahrt werden. Im Mittelalter meist eine Nische in der Ostwand, später ein hölzerner Schrank, umgeben von einer Rahmenarchitektur. Im Deutschen auch Toraschrein.

Quelle: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1658f.

Aschkenas, pl. Aschkenasim, Adj. aschkenasisch: In der Bibel (Buch Genesis 10,3) war Aschkenas einer der Söhne von Gomer und Noahs Enkel. Von ihm sollen nach der großen Flut die Völker Zentraleuropas abstammen. In der rabbinischen Literatur des Mittelalters wurde der Begriff als geographische Bezeichnung für die deutschsprachigen Gebiete des Heiligen Römischen Reichs gebraucht. Deshalb wird der Begriff "aschkenasisch" zuweilen auch mit "deutsch" übersetzt, was jedoch zu kurz gegriffen ist. Nach der Emigration von Juden aus dem Reichsgebiet ab dem 13./14. Jahrhundert weitete sich die Bezeichnung auf alle Juden in Nordfrankreich, England und Norditalien sowie später auch Osteuropa aus, die sich mit regionalen Abwandlungen eine gemeinsame Kultur teilten. Die aschkenasischen Juden unterscheiden sich beispielsweise von Juden aus dem muslimischen Mittelmeerraum ("Sefarden") unter anderem in der Liturgie des Gottesdienstes, aber auch in der Aussprache des Hebräischen und Aramäischen.

Quelle: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1659.

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(lat. assimilatio = Ähnlichmachung): Umfassende Anpassung an die Kultur der Mehrheitsgesellschaft bei gleichzeitiger Aufgabe der eigenen traditionellen Werte. Im Gegensatz zu einer gelungenen Integration wird heute die meist genötigte Assimilation als Verlust der kulturellen Vielfalt tendenziell negativ bewertet.

Quelle: www.duden.de // Vgl. Christoph Daxelmüller: Jüdisches Alltagsleben im 19. und 20. Jahrhundert am Beispiel Unterfrankens. In: Haus der Bayerischen Geschichte / Manfred Treml / Josef Kirmaier / Evamaria Brockhoff (Hg.): Geschichte und Kultur der Juden in Bayern – Aufsätze. München 1988 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 17), S. 287-298.

= Formelle Ausweisung durch eine Anordnung der Obrigkeit. Siehe Vertreibung.

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