Jüdisches Leben
in Bayern

Vom Judenhut zum Gelben Stern

Kurz nach seiner Krönung berief Papst Innozenz III. (reg. 1198-1216) ein Konzil in Rom ein. Nach dem Versammlungsort, der Lateranbasilika südlich des Tibers, wird es das IV. Laterankonzil genannt. Es handelte sich um die größte und bedeutendste Kirchenversammlung des Mittelalters: Man zählte bei der Eröffnungszeremonie am 11. November 1215 über 400 Bischöfe, mehr als 800 Äbte und Prioren, Gesandte der meisten christlichen Könige und vieler Stadtrepubliken. Ein Hauptthema war der Aufruf zum fünften Kreuzzug, um das Heilige Land von den Muslimen zurückzuerobern. Der Papst wollte alles bekämpfen, was der Lehrmeinung der Kirche widersprach, und ließ dabei auch seinem Hass auf Juden freien Lauf.

In dieser aufgeheizten Stimmung beschloss das Konzil neue antijüdische Gesetze (Canon. 67-70): Mischehen sowie der reguläre Handel zwischen Christen und Juden wurden verboten, letztere mussten die Kirche für entgangene Einnahmen entschädigen (taxa stola, dt. Neujahrsgeld), Taufen wurden gefördert, Juden von allen kommunalen Ämtern ausgeschlossen. Zusätzlich ordnete das Konzil die diskriminierende Kennzeichnung durch eine bestimmte Kleidung an, machte aber keine bestimmten Vorgaben.

Der sogenannte Schwabenspiegel, ein um 1270 angelegtes Land- und Lehenrechtsbuch für den Machtbereich des römisch-deutschen Kaisers, übernahm die Bestimmung des Konzils als Reichsrecht und erwähnt erstmals eine Kopfbedeckung: "Die Juden sollen spitze Hüte tragen; damit sind sie bezeichnet vor den Christen, damit man sie als Jude erkennen soll. Die Juden sollen keine Christen bei sich haben, die ihnen dienen und ihr Brot und ihre Speise essen; dieselben [es doch tun] sind in Bann".

Bereits ab dem 11. Jahrhundert hatte die europäische Kunst (sowohl in christlichen wie jüdischen Malereien) eine bestimmte Hutform verwendet, um jüdische Männern als solches zu identifizieren. Bei den Sepharden im islamisch geprägten Mittelmeerraum (Iberische Halbinsel, Levante) war eine bestimmte Kopfbedeckung hingegen nicht üblich, oder erscheint zumindest nicht in Abbildungen. Beispiele des 13. Jahrhunderts aus Frankreich und Burgund zeigen eine Art phrygische Mütze, die wohl ursprünglich zur Tracht aschkenasischer Juden gehörte.

Diese Tracht wurde im Heiligen Römischen Reich zu einem diskriminierenden Schandmal, das jüdische Männer zwangsweise in der Öffentlichkeit tragen mussten. Ungewiss bleibt, wie ein solcher "Judenhut" in Wirklichkeit aussah und aus welchen Materialien er bestand. Er war wohl oft gelb eingefärbt oder bestand aus gelblichem Stroh. Seine Gestaltung unterlag einem zeitlichen Wandel und war offenbar nicht allgemein festgelegt.

Mehrere Varianten existierten nebeneinander. Im späten 13. und 14. Jahrhundert konnte der Hut bei unterschiedlichen Krempenformen hauben- oder flach bis spitzkegelförmig sein. Das wichtigste Merkmal blieb jedoch ein charakteristisches "Horn" (lat. pileus cornutus = gehörnter Hut), ein röhren- oder fingerförmig vom Scheitelpunkt des Hutes nach oben gehender Aufsatz, der zunehmend von einem runden Knauf aus gefülltem Stoff, Flechtwerk oder gar Holz abgeschlossen wurde.

Im Spätmittelalter setzte sich zunehmend eine Kennzeichnungsmethode aus West- und Südeuropa im Reichsgebiet durch: Wohl nach dem Vorbild Frankreichs oder Spaniens hatten europäische Fürsten bereits ab 1217 farbige Aufnäher an der Oberbekleidung eingeführt. Es waren optisch sehr ähnliche Symbole ein (Kreise, Flecken, Wagenräder), mit Ausnahme von England (safrangelbe Gesetzestafeln) und Polen (rotes Tuch).

Der bedeutende humanistische Gelehrte und Bischof Nicolaus von Kues (auch lat. Cusanus) veröffentlichte am 30. April 1451 auf einer Synode in Bamberg das von ihm selbst ausgearbeitete Judendekret "Quoniam ex iniuncto". Es enthielt auch eine überarbeitete Vorschrift zur Kennzeichnung, wobei er eine theologischen Ansatz verfolgte und das 4. Buch Moses (15,38) als Grundlage nahm:

"Rede zu den Kindern Israels und sage ihnen, daß sie sich eine Quaste an die Zipfel ihrer Obergewänder machen, in ihren [künftigen] Geschlechtern, und eine Schnur von blauem Purpur an der Quaste des Zipfels befestigen". Gemeint sind die langen Troddeln (Zizith) am sog. Kleinen Gebetsmantel (Tallit Katan), den fromme Juden unter ihrer Oberkleidung tragen. Während der hebräische Text also eindeutig eine blaue Farbe vorschreibt, kann die griechische Version blau-violett oder gelb bedeuten.

Martin Luther hatte sich in seiner deutschen Bibelübersetzung für gelb entschieden, während Kues beide Farben verwendete: Einen gelben Ring für Männer und zwei blaue Bänder für die Kopftücher oder Schleier der Frauen. Anschließend wurde das Dekret auf die Bistümer Würzburg, Magdeburg, Mainz, Köln sowie weitere Städte ausgedehnt. Die Kleiderordnung für jüdische Frauen scheint sich nicht überall durchgesetzt zu haben, denn historische Abbildungen zeigen sie auch ohne Bänder, oder mit einem Gelben Ring.

Der Gelbe Ring sollte nicht kleiner sein als die Länge eines gewöhnlichen Fingers ("cuius diameter communis hominis digito minor non sit"). Die Farbe Gelb wurde nicht zufällig ausgewählt: In der mittelalterlichen Farbenlehre war ein fahles, fast grünliches Gelb (im Gegensatz zu Gold) das Symbol für das Höllenlicht, stand für Gottesfeindschaft und Sünde, für Wollust, Neid, Ketzerei und Krankheit. Der Spruch "Gelb vor Neid!" ist bis heute in Gebrauch.

In der sog. Neubauer Chronik aus Nürnberg heißt es: "Anno 1451 Jar haben die Juden angefangen, die gelben Ringlein an den Kleidern zu tragen und die Weiber die blaben Stramen auf den Schlaren, das man sie darbey kendt". Die Kennzeichnung wurde spätestens durch ein Mandat Kaiser Ferdinands I. am 1. August 1551 zum Reichsgesetz und blieb bis in das späte 18. Jahrhundert allgemein gültig.

Im Geist der Aufklärung, und aufgrund mangelnder Kontrollen, hörte das Tragen von "Judenzeichen" ab dem späten 17. Jahrhundert nach und nach auf. Auch wenn die soziale Diskriminierung damit noch lange nicht beendet war, konnten sich Jüdinnen und Juden immerhin der wechselnden Mode anpassen und dadurch freier im öffentlichen Raum bewegen. Durch die zunehmende kulturelle Assimilation gab es in der Kleidung zuletzt keine Unterschiede mehr zwischen den Religionen.

Auf eine Initiative von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels wurde am 19. September 1941 ein neues Zwangsabzeichen für Jüdinnen und Juden eingeführt. Ganz bewusst orientierten sich die "Polizeiverordnung" an der Geschichte des Mittelalters und gestalteten einen Magen David aus gelben Stoff mit dem zentral eingefügten Wort "Jude" in pseudo-hebräischen Schriftzeichen. Der Judenstern, umgangssprachlich auch der "Gelbe Stern" war sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstücks fest aufgenäht zu tragen.

Zuvor waren ähnliche Zwangskennzeichen für Juden bereits in den von Deutschland okkupierten Ländern eingeführt worden, so bereits ab Ende Oktober 1939 im besetzten Polen (gelber Winkel bzw. Stern, Armbinde mit blauem Davidstern auf weißem Untergrund). In den besetzten Gebieten wich die Ausführung und Trageweise des Judensterns ab; so konnte beispielsweise der Aufdruck der Landessprache angepasst sein oder auch ganz fehlen.

Jüdische Gefangene in den Konzentrationslagern trugen auf ihren gestreiften Häftlingsuniformen farblich abweichende Abzeichen, wobei das obere Dreieck des Magen David für ihre unterschiedlichen "Verbrechen" anders eingefärbt war: Sozialdemokraten und Kommunisten ein rotes Dreieck über dem gelben, Berufsverbrecher ein grünes, Homosexuelle ein rosafarbenes, "Asoziale" ein schwarzes usw.

Mit der Befreiung der Konzentrationslager und dem endgültigen Sturz der NS-Diktatur wurden die antisemitischen Kennzeichen durch das "Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS-Recht" vom 20. September 1945 abgeschafft. Die Bildsprache der Nationalsozialisten hat aber durch ihre mediale Rezeption weltweit bleibende Spuren hinterlassen. Ein Magen David auf der Kleidung oder einer Kopfbedeckung wird bis heute von Antisemiten verwendet, um jüdische Personen in beleidigenden Karikaturen oder Kunstwerken augenscheinlich zu kennzeichnen.

(Patrick Charell)


Quellen

um 1270: Juden im Schwabenspiegel

um 1450: Juden in der christlichen Kunst

1451: Judendekret des Nikolaus von Kues

um 1485: Der Gelbe Ring in Weihenstephan

1491: Beschluss der Bamberger Synode

1530: Kleiderordnung für Juden im Reich

1808: Denkschrift von Elkan Henle aus Fürth

1933-41: Tagebuch von Elisabeth Block

1935: Nürnberger Rassengesetze

1941: Zwangskennzeichnung der Juden

Zeitzeugen

Lola Sinz (geb. Kronheimer) berichtet davon, wie sie nach dem Inkrafttreten der Verordnung zum Tragen des Judensterns möglichst gar nicht mehr aus dem Haus ging

Glossar

Antijudaismus

Antisemitismus

Diskriminierung

Gelber Ring

Haskala

Judenhut

Judenstern

Neujahrsgeld

Reformjudentum

Personen

Philipp Auerbach, Staatskommissar und "Generalanwalt für Wiedergutmachung"

Elisabeth "Lisi" Block, Schülerin, führte Tagebuch von 1933 bis zur Deportation 1941

Michael Siegel, Jurist