Jüdisches Leben
in Bayern

Die jüdisch-bayerische Bierkultur

Bier ist gemäß den Speisevorschriften in der Tora koscher und kann von gläubigen Jüdinnen und Juden bedenkenlos getrunken werden, solange die Zutaten nicht verunreinigt sind. Dafür sorgt in Bayern das weltberühmte Reinheitsgebot von 1516. Wenn Bier in einem Land vorherrscht, dann legt der Talmud fest, "ist das Bier der Wein dieses Landes" und kann auch für rituelle Zwecke verwendet werden. Dies gilt jedoch nicht für moderne Mischgetränke.

Im Jahr 804 bekam Bischof Hitto von Freising eine ganze Wagenladung Bier aus Oberföhring geliefert: Es war das erste Mal, dass der Gerstensaft in Bayern schriftliche Erwähnung fand. Das Bier des Mittelalters enthielt noch deutlich weniger Alkohol als heute, es galt als Medizin und nahrhaftes Fastengetränk. Vor allem Klöster brauten im größeren Maßstab, um sämtliche Ordensleute und die weltlichen Angestellten zu versorgen.

Ansonsten gehörte es zu den Pflichten der Frauen, neben dem Brot auch das sogenannte "Hausbier" für den alltäglichen Konsum herzustellen. Professionelles Brauen blieb hingegen ein Nebenerwerb, für den ein gebührenpflichtiges Privileg der Obrigkeit benötigt wurde. Erst im 14. Jahrhundert entwickelte sich das Brauen zu einem freien Beruf, den jeder ausüben konnte – dies galt zunächst auch für die jüdische Bevölkerung.

Vielleicht entstand zu dieser Zeit in der Oberpfalz und Franken der "Brauerstern", der auch "Bierzeiger" oder "Zoiglstern" genannt wird. Über seine tatsächliche Beziehung zum Judentum wird bis heute viel spekuliert, aber seine Verbreitung in den Kernregionen des Landjudentums ist bemerkenswert. Ab dem 15. Jahrhundert begannen sich die städtischen Braumeister in Zünften zu organisieren (München: 1405) und schlossen dabei Juden kategorisch aus.

Der erste bekannte bayerische Brauereibesitzer jüdischen Glaubens war der geadelte Hoffaktor und Bankier Joseph von Hirsch. Er nahm die Rechte seiner Grundherrschaft wahr und gründete 1836 auf dem Schlossgut Planegg westlich von München einen hochmodernen Betrieb. Unter verschiedenen Namen bestand die Brauerei bis 1931 und wurde dann von Paulaner übernommen.

Im Laufe des 19. Jahrhundert begannen jüdische Geschäftsleute zunehmend den bayerischen Handel mit Hopfen zu dominieren. Von den großen Märkten in Bamberg und Nürnberg wurde Hopfen in die ganze Welt exportiert. Ab 1861 erschien in Nürnberg auch die Allgemeine bayrische Hopfen-Zeitung, das erste Fachjournal seiner Art.

Erfolgreiche Hopfenhändler stiegen in das Großbürgertum auf. In Nürnberg wurden die Brüder Ludwig und Philipp Wilhelm Gerngros für ihre Leistungen zu Ehrenbürgern der Stadt und vom König geadelt. Berthold Bing wiederum machte durch seine Förderung die Erfindung des Dieselmotors möglich. Emil Hopf stiftete das Mittelfränkische Blindenheim und baute ein Anwesen, in der die heutige "Kunstvilla" untergebracht ist. Hopfenhändler nutzten zuweilen auch ihre Berufserfahrung, um in das Brauereigeschäft einzusteigen.

Durch die Eisenbahn und die Erfindung der Kältemaschine von Prof. Carl Linde begann Ende der 1870er Jahre die große Zeit des Unternehmertums im Biersektor. Rechtlich geschützte Markenzeichen wurden für den Wiedererkennungswert der Biere zunehmend wichtiger. Die aufstrebenden Industriebrauereien benötigten immer mehr Kapital und wurden daher nach und nach in Aktienunternehmen umgewandelt. In der Hoffnung auf hohe Renditen investierten Kapitalgeber in neue Brauereien, die jedoch nicht immer Erfolg hatten.

Die Brauerei Mailaender in Fürth wurde 1862 vom Hopfenhändler Wolf Wilhelm Mailaender gegründet und nahm 1879 an der Weltausstellung in Sidney teil. Nach einem Umzug auf den Nottelberg im Westen der Stadt setzte sich ab 1883 der Name "Bergbräu" durch. Von 1888 bis 1901 war es die viertgrößte Brauerei in Fürth. Mit einer Unterbechung während der NS-Diktatur blieb die Brauerei bis 1974 im Familienbesitz und bestand noch bis ins Jahr 1977.

Im Jahr 1884 zog der jüdische Unternehmer Gustav Lippschütz (zuvor Direktor der Bayerischen Aktien-Bierbrauerei) von Aschaffenburg nach München, wo er die Gärtnerbrauerei übernahm. Doch bereits ein Jahr später musste Lippschütz in Konkurs gehen und floh nach Amerika. Die Brauerei kaufte 1892 ein Moses Erlanger aus Nürnberg. Auf dem Gelände (Reichenbachstraße 9 bzw. 27) wurde 1930 eine Synagoge errichtet.

In München baute der jüdische Hopfenhändler und Bankier Joseph Schülein die Unionsbrauerei auf, übernahm das Münchner Kindl und weitere Betriebe – Sterneggerbräu, Kochelbräu, Bürgerbräu und Schwabingerbräu – um schließlich 1921 mit dem Löwenbräu zu fusionieren. Als er sich zunehmend auf sein Schloss Kaltenberg (natürlich mit Brauerei) zurückzog, war er der ungekrönte Bierkönig von Bayern.

Der Hopfenhändler Simon Lessing gründete 1885 mit seinem Bamberger Frankenbräu den ersten industrialisierten Braubetrieb der Stadt mit einem Jahresausstoß von rund 100.000 Hektolitern. Im Jahr 1901 wurde Lessing zum Hoflieferant ernannt, sein Bamberger Hofbräu produzierte bis 1977. Heute gehören die Namensrechte der Mälzerei Weyermann.

Mit dem zunehmenden Fremdenverkehr stieg ab den 1880er Jahren der Bedarf nach Bierkrügen als Andenken und Sammelobjekt. Ihre "Veredelung", also die Bemalung sowie die Applikation von Zinndeckeln, lag fast ausschließlich in jüdischen Händen. Mit ihren Produkten untermauerten sie das werbewirksame Bild eines bierseligen Bayern.

Bier spielte auch im Alltag der zunehmend assimilierten jüdischen Staatsbürger eine große Rolle. Es wurde ganz selbstverständlich in koscheren Restaurants oder Hotels ausgeschenkt. In den (nichtreligiösen) jüdischen Vereinen war ein ausgiebiger Biergenuss genauso üblich wie in den christlichen und weltanschaulich neutralen Gruppierungen. Vor allem in Studentenverbindungen spielten Paukabende mit Trinkspielen und dem Austausch von "Bierzipfeln" eine große Rolle.

Die historisch gewachsene Verbindung von jüdischen Hopfenhändlern und Brauern zum bayerischen Bier wurde von den Nationalsozialisten gewaltsam zerstört. Sie schmähten "Judenbier", riefen zu Boykotten auf und "arisierten" bis 1938 alle Betriebe. Jüdische Brauereibesitzer, Braumeister und Fachkräfte erhielten Berufsverbot und gingen nach Möglichkeit ins Ausland, wo sie mit ihrem Know-How zum Aufstieg vieler heute international sehr erfolgreicher Marken beitrugen.

(Patrick Charell)


Quellen

1813: Bayerisches Judenedikt

1905: Die "Schützenliesl" in München

1964: "Mutterstadt" von H. Schülein

Glossar

Bamberger Getreideaufstand 1699 (Pogrom)

BC (Burschenbunds-Convent)

Biersteuer

Bierzipfel (stud.)

Magen David (Davidstern)

Gemeinden und Orte

Fürth

Bamberg

München

Nürnberg

Spalt

Personen

Julius von Hirsch auf Gereuth, Gründer der Schlossbrauerei Planegg

Simon Lessing, Gründer des Frankenbräu / Hofbräu in Bamberg

Joseph Schülein, Brauereidirektor, Gründer der Unionsbrauerei

Hermann Schülein (Schuelein), Brauereidirektor

Julius Wolfgang Schülein (Schuelein), Kunstmaler und Grafiker

Gustav Lippschütz, Brauereidirektor und Brauereibesitzer

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Berthold Bing, Hopfenhändler in Nürnberg

Ludwig von Gerngros, Hopfenhändler und Mäzen in Nürnberg

Philipp Wilhelm von Gerngros, Hopfenhändler und Mäzen in Nürnberg

Joachim Fromm, Hopfenhändler in Augsburg und München.

Ludwig Hopf, Physiker, Spross einer Hopfenhändlerfamilie in Nürnberg

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Otto Löwenstein, Bierkrugveredler in München

Josef Mayer Maier, Bierkrugveredler in München

Martin Pauson, Bierkrugveredler in München

Josef Salomon Thannhauser, Bierkrugveredler in München