Jüdisches Leben
in Bayern

1756: "Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis"

Vorbemerkung

Der Codex Maximilianus von 1616 regelte im Kurfürstentum Bayern bereits große Teile des bürgerlichen Rechts. Er blieb jedoch der spätmittelalterlichen Tradition herzoglicher Landordnungen verhaftet und erwies sich im Laufe des 18. Jahrhunderts als nicht mehr zeitgemäß. Im Sinne der Aufklärung, die einen Staat als Gesellschaftsvertrag zwischen Volk und Obrigkeit auf Basis allgemeingültiger Gesetze definierte, wuchs auch das Bedürfnis nach einem in sich geschlossenen Privatrechtssystem.

Kurfürst Maximilian III. Joseph (reg. 1745-1777), der letzte Wittelsbacher Herrscher aus der altbayerischen Linie, gilt als typischer Vertreter des aufgeklärten Absolutismus. Bei seiner Thronbesteigung hatte er ein geschwächtes, durch Krieg und Staatsschulden ausgeblutetes Land übernommen. Er versuchte den Einfluss der Landstände zu begrenzen und die Kirche so weit wie möglich unter den Einfluss des Staates zu stellen. Kurfürst Maximilian III. förderte Kunst und Wissenschaft (Bayerische Akademie der Wissenschaften 1759), außerdem wurde die Schulpflicht für christliche Untertanen eingeführt – jüdische Kinder blieben davon noch ausgenommen. Er reformierte zumindest in Teilen die staatliche Verwaltung und förderte die bayerische Wirtschaft durch merkantilistische Projekte, u.a. durch die Gründung der Nymphenburger Porzellanmanufaktur im Jahr 1761.

Nach dem Vorbild des Königreichs Preußen erarbeitete der kurfürstliche Rechtswissenschaftler Wiguläus Xaverius Aloysius Freiherr von Kreittmayr (1705-1790) drei neue Gesetzbücher, die eine in sich geschlossene Einheit bildeten. Der Codex Iuris Bavarici Criminalis (1751) gab dem überkommenen bayerischen Strafrecht eine neue Form. Aber noch immer galt die Folter als legitimes Mittel zur Wahrheitsfindung, Hexerei und Gotteslästerung blieben schwerwiegende Straftaten. Es folgte der Codex Iuris Bavarici Iudiciarii (1753) mit einer reformierten Zivilprozessordnung. Der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (1756) bildete den Höhepunkt und Abschluss dieser Entwicklung. Er blieb bis zum 1. Januar 1900 in Kraft und wurde erst dann durch das Bürgerliche Gesetzbuch ersetzt.

Juden spielten in der reformierten Zivil- und Strafprozessordnung nur eine untergeordnete Rolle. Weil das Aufenthalts- und Niederlassungsverbot aus dem Codex Maximilianeus von 1616 weiterhin in Kraft blieb, bezogen sich die betreffenden diskriminierenden Paragraphen immer auf "ausländische" Juden:

  • Auf eine "Lästerung" der christlichen (sprich: katholischen) Religion durch "Christen, Juden oder anderen" stand die Ausweisung, Auspeitschung oder im Wiederholungsfall die Hinrichtung.
  • Wenn eine Person jüdischen Glaubens zum Christentum konvertierte, hatte sie einen unmittelbaren Anspruch auf den Erbteil der Eltern, gleichgültig ob dies den finanziellen Ruin der ganzen Familie bedeutete.
  • Jüdischen Männern war es nicht gestattet, eine "peinliche Anklage" gegen Katholiken erheben, bei denen standardmäßig die Folter eingesetzt wurde.
  • Juden wurden außerdem nicht als Zeugen gegen Christen zugelassen, weder direkt noch in einem fremden Verfahren.
  • Geschlossene Verträge zwischen Christen und Juden hatten innerhalb der Landesgrenzen keine Gültigkeit. Rechtskräftige Ausnahmen gab es nur für privilegierte Hoffaktoren oder reichsunmittelbare Territorien innerhalb des Kurfürstentums, und diese mussten der Obrigkeit gemeldet werden.
  • Finanzielle Forderungen waren zudem nicht übertragbar und die bestehenden Verordnungen gegen "wucherischen" Kredithandel blieben in Kraft.

Quellentexte

Codex Iuris Bavarici Criminalis De Anno M.DCC.LI (1751). 2. neu gest. Auflage von Hofdrucker Johann Jakob Vötter mit Privileg des bayerischen Kurfürsten Maximilian III. Joseph. München 1756, S. 39f., 81f. u. 108f. Bayerische Staatsbibliothek, Bavar. 5200 a.

Erster Theil, Siebendes Capitul. Von der Gotteslaͤsterung, Abtruͤnnigkeit, Ketzerey, Zauberey, Hexerey und Aberglauben.

§. 1. […] wird das erstemal willkührlich mit Geld= Gefaͤngnis= offentlicher Schand= und nach beschaffenheit der Laͤsterung […] mit hoͤherer Straff, das zweytemal aber, wo die erste Correction nicht verfangen hat, mit ewiger Landes-Verweisung und dem Staub=Besen [Rutenschläge]; sofort das drittemal […] mit dem Schwerdt am Leben bestrafft, und ist dißfalls einererley, ob die Laͤsterung durch bloße Wort, Schrifften oder Gemaͤhlde, von Christen, Juden, oder andern, mit oder ohne Bedignuß geschehen oder proparlieret [d.h. vorgebracht] worden ist.

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Zweyter Theil, Zweytes Capitul. Von der peinlichen Anklage, Denuntiation, und Inquisition.

§. 1. […] sondern es stehet jedermann frey, gegen einen Uebelthaͤter vor dem behoͤrigen Criminal-Gericht um Sachen, welche an Leib oder Leben gehen, die peinliche Anklage zu stellen.

§.2. Es werden aber hievon alle jene ausgeschlossen: 1mo Welche auch in Buͤrgerlichen Sachen personam standi in Judicio nicht haben [d.h. nicht rechtsfähig sind]. 2do Juden oder Unglaubige gegen Catholische Christen. […] 3io Vasallen und Unterthanen gegen ihre Lehen= und andere Herrschaften. […]

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Zweyter Theil, Fünftes Capitul. Von dem Beweis der Missethat.

§. 9. Untuͤchtige und Exceptions=maͤßige [ausgenommene] Gezeugen seynd: 1mo all jene, welche das zwanzigste Jahr noch nicht erfüllet haben. 2do Denuncianten, welche [nicht vertrauenswürdig sind]. 3do Interessirte, welche Nutzen, Schaden oder anderen Antheil bey der Sache haben; 3io um ihrer Gezeugenschaft willen belohnet, bestochen oder etwann gar durch Drohungen dazu genoͤtiget seynd. 4to Juden und Unglaubige gegen Christen […].

Codex Iuris Bavarici Judiciarii De Anno M.DCC.LIII (1753). Herausgegeben durch Geheimratsvizekanzler Wiguläus Xaver Aloys von Kreittmayr im Auftrag von Kurfürst Maximilian III. Joseph durch Hofdrucker Johann Jakob Vötter. München 1755, S. 86f. Bayerische Staatsbibliothek, Bavar. 561-7.

Zehentes Capitul. Von dem Beweis durch Gezeugschaft.

§. 11. Exceptions=mäßig seynd: 1mo des Producentes Blutsverwandschaft […] 2do Leut von unbekannten Herkommen, Stand, Wesen, unehelicher Geburt ohne Legitimation, schlechter Leumuth, oder verdächtiger Profession, ausgenohmen gegen Leut von gleicher Gattung [sic!]. 3io Alle welche bey der Sach per indirectum interessirt seynd. 4to Arme unvermögliche, wann sie nicht sonderbar guten Rufs und ehrbaren Wandels seynd. 5io Juden und Unglaubige, wann ihre Religions=Genossene mit Christen streiten. […]

Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis. Oder Neu Verbessert- und Ergänzt- Chur-Bayrisches Land-Recht […] In IV. Theilen […], III. Theil. Herausgegeben durch Geheimratsvizekanzler Wiguläus Xaver Aloys von Kreittmayr im Auftrag von Kurfürst Maximilian III. Joseph, durch Hofdrucker Johann Jakob Vötter. München 1756, S. 215 u. 318f. Bayerische Staatsbibliothek, 4 Bibl.Mont. 4487.

Dritter Theil, drittes Capitul. Von Testamenten uͤberhaupt.

§.15. […] 8vo Wird das Vermoͤgen nur geschätzt, wie es sich zur Zeit des Testatoris [lat. Erblassers] Tod befunden hat, Juden und Ketzer ausgenommen, welche ihren convertirenden [zum Christentum übergetretenen] Kindern die Legitimam [hier: gesetzlicher Erbanteil] nach dem Vermoͤgen, wie sich solches Tempore Conversionis [lat. zum Zeitpunkt der Konversion] bezeigt, allsogleich herausgeben muͤssen, es waͤre dann, daß diese den Tod ihrer Elteren selbst gutwillig erwarten, und die Legitiman eheunter nicht praetendiren [beanspruchen] wolten.

Vierter Theil, erstes Capitul. Von der Convention und denen hieraus entspringenden Pflichten (Obligationibus personalibus) uͤberhaupt.

(Von Pactis zwischen Juden und Christen) §. 14. 1mo Gilt Vermoͤg Churfuͤrstlichen Decrets von 1751. wie auch voriger Lands=Ordnung und Freyheit zwischen Juden und Christen überhaupt kein Contract [Vertrag] oder Handlung, sie mag Namen haben, wie sie wolle, ausgenommen, die mit Churfuͤrstlichen Passen und Toleranzen [sic] versehene Juden, oder ausser Land geschlossene Handlungen betrift, doch soll auch 2do bey dergleichen erlaubten Handlungen der Reichs=Abschied von 1551. §. 79. beobachtet, mithin selbe allzeit vor des contrahirenden Christens Obrigkeit, oder wenn die Verschreibung auf offenen freyen Maͤrkten geschiehet, vor der Obrigkeit selbigen Orts sub Poena Nullitatis [lat. "unter Androhung der Nichtigkeit", d.h. Annullierung des Vertrages] entrichtet werden, welches sich jedoch hier zu Land nur von unsiegelmaͤssigen Personen verstehet [Anm.: landsässige oder reichsunmittelbare adelige und kirchliche Grundherren mit eigenen Siegeln blieben von der gesetzlichen Meldepflicht ausgenommen]. Desgleichen hat es 3io wegen Cedir= oder Transportierung [d.h. Nachgeben und Übertragung] solcher Forderungen, welche Juden gegen Christen haben, wie auch deren wucherlicher Contracten halber bey deme, was in denen Reichs=Constitutionibus und respective oben Part. 2. Cap.3.§.8.num.3. verordnet ist ["Juden moͤgen 3io ihre gegen Christen habende Forderungen an einen anderen Christen ohne Nullitaͤt nicht überlassen"], noch ferner sein Bewenden. 

(Edition von Patrick Charell)