Direktive der kurfürstlichen Kanzlei an den Bürgermeister und Stadtrat von München, betreffs der Bestrafung des Weinhändler Hillebrandt wegen der Gestattung des Laubhüttenfestes in seinem Haus, dat. 01. April 1729. Stadtarchiv München, BUR-1282.
Vorbemerkung
Im Auftrag seines Vaters, des kaiserlichen Oberhoffaktors Simon Wertheimer, begab sich Wolf Wertheimer im Jahr 1722 auf eine Mission nach München. In diesem "kurbayerischen Abenteuer" versorgte er Kurfürst Max II. Emanuel von Bayern (reg. 1679-1726) mit dem nötigen Geld, damit dieser die 1,2 Millionen Gulden teure Hochzeit seines Sohnes Karl Albrecht mit Prinzessin Maria Amalia von Österreich finanzieren konnte. Zum Dank erhielt er 1723 das dauerhafte Aufenthaltsrecht in München, das Recht auf Freizügigkeit und den Titel eines Hofjuweliers.
Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1724 übernahm Simon Wolf Wertheimer dessen Hoffaktorentitel, außerdem wurde er 1726 ranggleich kurbayerischer Oberhoffaktor. Wertheimer wohnte mit seiner Familie und einigen Dienstboten im Rückgebäude des Anwesens Plan-Nr. 161 (heute Tal 13). Das Haus gehörte zur Weinwirtschaft "Zum Weiserwirt", die der Witwe Anna Maria Weiser gehörte. Im gleichen Gebäude wohnten später auch die Hoffaktoren Joseph Mändle und Noe Samuel Isaak mitsamt ihren Familien. Im Volksmund setzte sich der Hausname "Zum Judenbranntweiner" durch, der spätestens 1778 in städtischen Unterlagen auftaucht. In seiner um 1800 entstandenen, detaillierten Stadtbeschreibung erwähnt Hofkaplan Johann Stimmelmayer (1747-1826) das "Judenbranntweiners und Weisers Haus, worin schon immer [sic] Juden wohnten".
Jüdisches Leben war in München, dem "Deutschen Rom", noch lange keine Selbstverständlichkeit: Der Gastwirt Franz Xaver Hillebrandt gestattete Wolf Wertheimer, im Innenhof mit "anderen Juden" – den weiteren sieben Hoffaktorenfamilien – das Laubhüttenfest (Sukkot) zu feiern. Das genaue Datum wird nicht genannt, wahrscheinlich ist jedoch das Laubhüttenfest vom 6. bis zum 13. September 1728.
Anscheinend war es zu einem Missverständnis gekommen: Im Vertrauen auf seinen privilegierten Schutzbrief hatte Hoffaktor Wertheimer seinem Quartiergeber versichert, dass er für diese Feier allerhöchste Erlaubnis des Kurfürsten besäße. Allerdings hatte der städtische Magistrat keine Kenntnis von der Veranstaltung und betrachtete das Fest nicht zuletzt aus antijüdischen Motiven als Straftat. Dem Weinwirt Franz Xaver Hillebrandt drohte im Frühjahr 1729 eine öffentliche Prügelstrafe und die Beschlagnahme seines Hauses. Wohl weil er Wertheimer seine Hochzeit verdankte, und damit auch einen Anspruch auf die Habsburger Erblande mitsamt der Kaiserkrone, griff Kurfürst Karl Albrecht (reg. 1726-1746) persönlich in den Prozess ein: Hillebrandt sei gewiss schuldig, doch wegen mildernder Umstände wurde die Strafe – dieses eine Mal und gnadenhalber! – in eine Zahlung von 100 Dukaten umgewandelt, was mehr als 400 bayerischen Gulden entsprach. Allerdings bot Simon Wolf Wertheimer sofort an, die gesamte Summe für seinen Quartiergeber zu übernehmen, und bewahrte ihn damit wohl vor dem Ruin.
Das im Text erwähnte "Büldtnus deß gecreuzigten Christi" war eine Kreuzigungsgruppe mit Christus, Maria und dem Apostel Johannes vor dem 1796 errichteten Armenhaus auf dem Gasteig. Es wurde 1861 durch einen Neubau ersetzt, der wiederum 1974 dem großen städtischen Kulturzentrum weichen musste.
Die Entscheidung des Landesherrn wurde vom "Geheimben Secretarius" Franz Josef von Burgging verfasst (Schematismus 1739). Der Brief wird erst durch das Verschlusssiegel mit dem kurbayerischen Wappen rechtsgültig legitimiert. Diese "Kleinen Siegel" (lat. sigillum minor, s. ad causas oder auch s. communia) ersetzten im bürokratischen Alltag die Unterschrift des Souverän.
Quellentext
[Anschrift] Denen fürsichtig, ersamb vnd weisen, vnsern lieben getreuen, Burgermeister vnd Rath vnserer Haubt- vnd Residenz-Statt München. [Aktennotiz in anderer Handschrift] Praes: den 14. Apr. Ao. 1729. Den Weinwirth Hillebrandt wegen Gestattung der Juden Festivitet betr. / Sign: seye zum lobl. Gt der Publicier- vnd Vollziehung willen zu geben. Concl. et sign. Mandato D. D. Consulen den 15. eiusd:
Den umsichtigen, ehrsamen und weisen, unseren lieben getreuen Bürgermeister und Rat unserer Haupt- und Residenzstadt München. Vorgelegt den 14. April des Jahres 1729. Betreff: Weinwirt Hillebrandt wegen Gestattung der jüdischen Feier. Dem löblichen Gericht zur Vollstreckung und Veröffentlichung zuzustellen. Schlusszeichnung am 15. des Monats.
[Seite 1] Von Gottes Gnaden Carl Albert, in Ober- vnd Nidern Bayrn, auch der Obern Pfalz Herzog, Pfalzgraf beü Rhein, deß heyl. Röm. Reichs Erztruchsess, und Churfürst, Landgraf zu Leichtenberg etc.
Von Gottes Gnaden Karl Albert, in Ober- und Niederbayern, auch der Oberen Pfalz Herzog, Pfalzgraf bei Rhein, des Heiligen Römischen Reiches Erztruchsess, und Kurfürst, Landgraf zu Leuchtenberg etc. [offizieller Titel der bayerischen Kurfürsten von 1714 bis 1803]
Unsern Grues zuuor, fürsichtig, ersamb- vnd weise liebe Getreue. Euch ist ex actis wüssent, waßgestelten Eur verburgerter Weinwürth Hillebrandt nit allein, ohne daß beü Euch schuldigst sich angefragt hete, zuegegeben vnd gestattet, daß der Kayl. vnd königl. Hof-Factor Werthamber [sic] in seiner Behausung das Lauber-Fest, fast wie offentlich halten mögen, sondern auch hierzue sonderbare Zimmer, daß Höfl vnd Tappezereyen hergelichen, vnd mit ihme vnd mehr anderen Juden in der aigens hierzue errichteten Lauber-Hütten gespeiset habe.
Zunächst Unseren Gruß, umsichtige, ehrsame und weise, liebe Getreue. Euch ist [aus den Unterlagen] bekannt, was Euer eingebürgerter Weinwirt Hillebrandt sich herausgenommen hat ohne Euch pflichtschuldig um Erlaubnis zu fragen, nicht nur dass er dem Kaiserlichen und Königlichen Hoffaktor Wertheimer zugab und gestattete, in seiner Behausung das Laubhüttenfest gleichsam öffentlich abzuhalten, sondern er stellte ihm dafür auch den kleinen Innenhof und Tapeten zur Verfügung, und speiste mit ihm und anderen Juden in der eigens hierzu errichteten Laubhütte.
Ob nun schon er Hillebrandt dises Vndernehmen, vnd verhölte Ansagung solch jüdischer Festivitet auf seine Zuredstellung mit deme zu entschuldigen gesuechet, daß bemelter Werthamber ihme dißfahls sicher gemacht, vnd die Verlaub von Vns erhalten zuhaben vorgewendtet. Weilen aber dessen vngehindert sich gebühret, daß er Hillenbrandt sich dißfahls beü Euch oder höcheren Orthen anfragen vnd deß aigentlichen Verhalts wegen erkhundigen sollen, So hetten Wür woll Vrsach, gegen ihne mit [Seite 2] denen in Rechten gesezten scharffen Panen der Confiscation seiner Behausung, vnd Leibsstraff zuuerfahren, was aber einige Vmbständte vnderlauffen, welche ihme noch zu guetten kommen können; Als haben Wür gdist resolviert, daß er hiemit nachzumahlen auß Churfrtl. Gnaden verschonet, vnd ihme zue Straff die alsobaldige Erlegung 100. Dugaten ieden à 4. fl. 10. xr. gerechnet, aufgetragen, auch hierzue er durch Euch obrigkeitlichen allenfahls executive ohne weitters angehalten werde.
Ob nun schon er, Hillebrandt, dieses Unternehmen und die unterlassene Anmeldung einer solchen jüdischer Festivität in seiner Vernehmung damit zu entschuldigen suchte, dass erwähnter Wertheimer ihm diesbezüglich beruhigt habe und vorgab, eine Erlaubnis von Uns erhalten zu haben; weil es sich aber dessen ungeachtet gebührte, dass er Hillebrandt diesbezüglich bei Euch oder höheren Ortes anfragen und sich nach dem eigentlichen Sachverhalt hätte erkundigen sollen, so hätten Wir wohl Grund, ihn mit den gesetzlich festgelegten Höchststrafe der Konfiskation seiner Behausung und Leibstrafe zu belegen, wobei aber einige Umstände unterkommen, welche ihm noch zu Gute kommen können; Daher haben Wir gnädigst entschieden, dass er hiermit noch einmal aus Kurfürstlicher Gnade verschont, und ihm zur Strafe die alsbaldige Zahlung von 100 Dukaten – jeweils im Wert von 4 Gulden 10 Kreuzer gerechnet – auferlegt, und er hierzu wenn nötig durch Eure obrigkeitliche Exekutive unverzüglich angehalten werde.
Solchemnach Ihr mit ihme mit ernstlicher Verweißung seines so frechen Vndernehmens auf berierte Weiß zuuerfahren, diese Straffgelter aber, wie Wür solche ad pias causas, zu Errichtung der Marmorstainen Büldter vnd Stüegen bey der Büldtnus deß gecreuzigten Christi von dem sogenandten Gasta-Berg gegen über gdist bewilliget haben, dem hiesigen Posthalter Prüxen ohnfehlbar erfolgen zlassen.
Nachdem Ihr mit ernstlichem Verweis seines so frechen Unternehmens auf angeführte Weise mit ihm verfahren seid, sollen diese Strafgelder aber, wie Wir es gnädigst [zum frommen Nutzen] zur Errichtung der Marmorbilder und -stiegen beim Bildnis des gekreuzigten Christus gegenüber dem sogenannten Gasteig bewilligt haben, dem hiesigen Postmeister Prüxen vollständig ausgehändigt werden.
[Seite 3] Anbey Wür Euch ebenfahls den, in dieser Religionssach, die Euch eben nit verborgen sein können, bezaigten Saumbsall vnd Nachlässigkeit ernstlich verweisen, vnd zu mehrerer Aufsicht konfftighin gehalten wüssen wollen. Vnd seint Euch übrigens mit Gnaden. München den 1ten April Ao 1729.
Ex Commissione Serenmi Dni Ducis Electoris Fr. Jos. von Bur[g]ging
Anbei erteilen Wir Euch zudem einen ernsten Verweis wegen der erwiesenen Saumseligkeit und Nachlässigkeit in Religionssachen, die Euch eben nicht verborgen sein dürfen, und erwarten in Zukunft größere Aufmerksamkeit. Und sind Euch ansonsten gnädig. München, den 1. April des Jahres 1729.
Im Auftrag des durchlauchtigsten Herrn Herzogs und Kurfürsten, Franz Josef von Bur[g]ging
(Transkription von Maria Hildebrandt | Vorbemerkung und Edition von Patrick Charell)
- Manfred Peter Heimers: Aufenthaltsverbot und eingeschränkte Zulassung (1442-1799). In: Richard Bauer / Michael Brenner (Hg.): Jüdisches München. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München 2006, S. 39-57, hier: S. 45-47.
- Johann Paul Stimmelmayer / Gabriele Dischinger u. Richard Bauer (Hg.): München um 1800. Die Häuser und Gassen der Stadt. München 1980, S. 12.
- Stadtarchiv München: Häuserbuch der Stadt München. Nach den Vorarbeiten von Andreas Burgmaier. Band I: Graggenauer Viertel. München 1958, S. 360f.