Jüdisches Leben
in Bayern

1813: Bayerisches Judenedikt

"Edikt über die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Baiern". München, 10. Juni 1813. In: Königlich-Baierisches Regierungsblatt 1813, XXXIX. Stück, Sp. 921-932. Bayerische Staatsbibliothek, 4 Bav. 693, Beibd. 8.


Vorbemerkung

Das am 10. Juni 1813 durch König König Maximilian I. Joseph (reg. 1806-1825) erlassene "Edikt über die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Baiern" gilt heute als Beginn der Emanzipation der Juden in Bayern. Federführend war hier Graf Maximilian von Montgelas (1759-1838), der große Staatsreformer, Minister und Freimaurer: Der neue säkulare Zentralstaat erhob Anspruch auf das umfassende Gewaltmonopol in allen Aspekten des öffentlichen Lebens, inklusive auch aller religiösen Angelegenheiten (Staatskirchentum). Das überkommene, im Codex Maximilianeus 1616 fixierte Aufenthalts- und Arbeitsverbot wurde aufgehoben. Die jüdische Bevölkerung des Königreichs sollte nun eine gleichberechtigte Rechtssicherheit genießen und in der Religionsausübung frei sein. Erstmals konnten sie die bayerische Staatsangehörigkeit erwerben und sollten dafür deutsche Familiennamen annehmen.

Die bayerische Krone strebte eine "bürgerliche Verbesserung" für Jüdinnen und Juden an, indem er ihnen allgemeine Bürgerrechte sowie die Möglichkeit zum Erwerb von Grundbesitz gewährte. Durch die Abschaffung der alten Berufsverbote konnten Juden nun auch in der Landwirtschaft, dem Handwerk und der Fabrikation arbeiten. Dafür wurde der "Hausier-, Not- und Schacherhandel" behördlich stark eingeschränkt.

Die Schulpflicht wurde auf jüdische Kinder ausgeweitet, die den "gleichen Unterricht" wie die Kinder christlicher Konfessionen und außerdem die Möglichkeit zum Besuch höherer Bildungseinrichtungen erhalten sollten (§ 32). Außer für den Religionsunterricht gingen sie auf die öffentlichen (christlichen) Schulen vor Ort. Jüdische Kultusgemeinden konnten aber auch eigene Elementar- bzw. Volksschulen gründen. Ihre Pädagogen mussten von nun an "königliche Unterthanen" sein und ein staatliches Examen ablegen, bevor ihnen die Regierung eine Lehrerlaubnis erteilte. Die jüdischen Schulen hatten dem staatlichen Lehrplan zu folgen und stellten ein gleichwertiges Abschlusszeugnis aus. Dadurch stand bayerischen Juden der höhere Bildungsweg offen, was ihnen den sozialen Aufstieg in akademischen Berufen und im Staatsdienst ermöglichte.

Neben den zahlreichen Verbesserungen brachte dieses "Judenedikt" auch große Nachteile mit sich. Zu den Schattenseiten gehörte vor allem der "Matrikelparagraph" (§ 12): Nur eine streng festgelegte Anzahl jüdischer Haushalte durfte demnach an einem bestimmten Ort wohnen. Das wurde durch ein zentral verwaltetes Register mit Matrikellisten kontrolliert. Für jeden Ort stand nur eine bestimmte Anzahl an Matrikelnummern zur Verfügung. Dies schränkte die Bewegungsfreiheit und die Erwerbsmöglichkeiten stark ein und führte im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einer großen Auswanderungswelle. Diskriminierend waren auch erhebliche Eingriffe in die Autonomie der jüdischen Gemeinden und das Ende der innerjüdischen Rabbinats-Gerichte. Neue Gemeinden konnten nur mit mindestens 50 jüdischen Familien entstehen, wenn bereits eine Synagoge, ein behördlich geprüfter Rabbiner und eine Begräbnisstätte vorhanden waren.

Das Edikt wurde in einigen Bezirken des Königreichs Bayern (Mainfranken und Teile Schwabens) erst nach den Wirren der Napoleonischen Kriege ab 1817 umgesetzt und 1818 in die Verfassung aufgenommen. Erst im Jahr 1861 wurde es abgeschafft.

Quellentext

Wir Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern.

Um den jüdischen Glaubensgenossen in Unserem Königreiche eine gleichförmige und der Wohlfahrt des Staates angemessene Verfassung zu erteilen, haben Wir nach Vernehmung Unseres geheimen Rats beschlossen, und beschließen hiermit wie folgt:

§. 1. Nur diejenigen jüdischen Glaubensgenossen können die in diesem Edikte ausgesprochenen bürgerlichen Rechte und Vorzüge erwerben, welche das Indigenat [Staatsbürgerschaft] in Unsern Staaten auf gesetzliche Weise erhalten haben.

§. 2. Zum Genuss derselben wird die Eintragung in die bei Unsern Polizei-Behörden anzulegenden Juden-Matrikel vor Allem vorausgesetzt.

§. 3. Zu diesem Ende müssen binnen drei Monaten nach der Kundmachung dieses Ediktes alle in Unserm Reiche befindlichen Juden bei der Polizei-Behörde ihres Wohnorts mit Angebung [Angabe] ihres Standes, Alters, Familienzahl, und Erwerbungsart sich melden, und ihre Schutzbriefe, Konzessionen oder Aufenthalts-Bewilligungen urschriftlich [d.h. im Original] vorlegen.

§. 4. Diese Polizei-Behörde hat die Aufnahme-Urkunden nach Unsern früheren Edikten und Deklarationen vom 31. Dezember 1806 (Regierungsblatt 1807, Seite 199.) vom 19. März 1807 (Reggsbl. Seite 476.) dann 28. Juli 1808 (Reggbl. Seite 1835.) zu prüfen, und wenn sie dieselben gültig findet, von dem Juden die Erklärung abzusondern;

1) ob und welchen bestimmten Familien-Namen derselbe, wenn er nicht schon einen hätte, annehmen wolle, und 2) ob er den durch die Konstitution des Reichs Tit. 1 §. 8. vorgeschriebenen Untertans-Eid ablegen wolle?

§. 5. Den Juden ist nicht erlaubt, hierbei Namen von bekannten Familien, oder solche welche ohnehin schon häufig geführt werden, zu ihrem künftigen Familien-Namen zu wählen. Es bleibt jedoch denjenigen Juden, welche eine Handlungs-Firma unter ihrem vorigen Namen führen, unbenommen, denselben noch ferner neben ihrem neuen Namen beizubehalten.

§. 6. Die Polizei-Behörde hat die in Folge dessen gegebenen Erklärungen dem General-Kommissariate vorzulegen, welches entscheidet: ob der Jude zur Aufnahme in die Matrikel sich eigne, oder nicht.

§. 7. Wenn das General-Kommissariat den Juden zur Aufnahme in die Matrikel geeignet findet, muss derselbe den oben vorgeschriebenen Untertans-Eid auf die Bibel ablegen, worauf dessen Eintragung in die Matrikel geschieht, und ihm zu seiner Legitimation ein Auszug derselben erteilt wird, welche für ihn und seine Nachkommen die Stelle der bisherigen Schutzbriefe vertritt.

§. 8. Die Matrikel muss den alten und den neuen Namen der Juden-Familien enthalten, und bei dem General-Kommissariate hinterlegt werden. Jede untere Polizei-Behörde erhält hievon den betreffenden Auszug.

§. 9. Der Jude ist verbunden, den in der Matrikel eingetragenen neuen Namen in allen seinen Geschäften zu führen.

§. 10. Diejenigen Juden, welche binnen 3 Monaten entweder

1) ihre Aufnahms-Urkunde nicht vorlegen, oder 2) einen Familien-Namen anzunehmen, oder 3) den Untertans-Eid abzulegen sich weigern, sollen künftig lediglich als f r e m d e J u d e n behandelt werden.

§. 11. Jede Einwanderung und Niederlassung fremder Juden im Königreiche ist durchaus verboten.

§. 12. Die Zahl der Juden-Familien an den Orten, wo sie dermal bestehen, darf in der Regel nicht vermehrt werden, sie soll vielmehr nach und nach vermindert werden, wenn sie zu groß ist.

§. 13. Die Ansässigmachung [Niederlassung] über die Zahl an denselben Orten, wo sich bereits Juden befinden, oder die Ansässigmachung in Orten, wo noch keine Juden sind, kann nur von der allerhöchsten Stelle [hier: General-Kommissariat], und wird auch von derselben nur unter den nachstehenden Voraussetzungen bewilligt werden:

1) wegen Errichtung von Fabriken oder großen Handelsunternehmungen;

2) bei Ergreifung eines ordentlichen Handwerks, wenn sie die Ausübung eines Meisterrechts [Meistertitel] erhalten haben;

3) wenn sie so viel an Grund und Boden zur eigenen Bearbeitung erkaufen, worauf eine Familie vom Feldbau ohne darneben Handel zu treiben, sich gut ernähren kann. Es gibt daher der Ankauf eines unbedeutenden Gutes, eines Hauses ohne Feldbau [Tropfhaus], oder ohne [Be-]Treibung eines Handwerks, die Errichtung eines gewöhnlichen Warenlagers oder Bude [Schuppen], und die Treibung eines andern, wiewohl erlaubten Handels den Juden kein Recht, weder in dem Orte ihres Aufenthalts über die dort fest bestimmte Zahl, noch in einem andern Orte sich ansässig zu machen.

§. 14. Auch bei der Fortsetzung rezipierter [d.h. aufgenommener] Familien wird künftig die Erlaubnis zur Heirat auf den Schächerhandel nicht mehr erhielt, wenn auch die Zahl der rezipierten Familien hierdurch nicht vermehrt würde; sondern der die Heirat nachsuchende Jude muss neben der Ausweisung, dass dadurch die bestimmte Zahl nicht überschritten werde, noch besonders dartun, dass er mit Ausschluss des Schächerhandels einen ordentlichen durch das Gesetz gebilligten Erwerbszweig treibe, und sich und seine Familie dadurch zu ernähren im Stande sei.

§. 15. Um die Juden von ihren bisherigen eben so unzureichenden als gemeinschädlichen Erwerbs-Arten abzuleiten [abzubringen], und ihnen jede erlaubte, mit ihrem gegenwärtigen Zustande vereinbare Erwerbs-Quelle zu eröffnen, sollen dieselben zu allen bürgerlichen Nahrungszweigen, als Feldbau, Handwerken, Treibung von Fabriken und Manufakturen und des ordentlichen Handels, unter den nachfolgenden Bestimmungen zugelassen, dagegen der gegenwärtig bestehende Schächerhandel allmählig, jedoch so bald immer möglich, ganz abgestellt werden.

§. 16. Den Juden soll daher gestattet sein, das volle und das Nutz-Eigentum (Dominium plenum et utile) von Häusern, Feld und andern liegenden Gründen zu erwerben, und dieses Eigentum auf jede durch die Gesetze erlaubte Art zu benützen. Das abgesonderte Ober-Eigentum (Dominium directum) über Gründe, deren Nutz-Eigentum andern zusteht, so wie gutsherrliche Rechte überhaupt zu erlangen und zu besitzen, bleibt den Juden durchaus untersagt [N.B.: Jakob Hirsch erwarb 1815 das Schlossgut Gereuth mitsamt der Grundherrschaft und wurde als erster Jude in Bayern geadelt]. Einem Juden ist jedoch erlaubt, das Ober-Eigentum desselben Grundes, von welchem er das Nutz-Eigentum selbst besitzt, an sich zu bringen, um hievon das volle Eigentum seines Grundes zu erlangen. Häuser und liegende Güter, welche die Juden nicht zur eigenen Bewohnung und Bebauung, sondern zum Wiederverkauf an sich bringen wollen, können sie nur bei öffentlichen Versteigerungen oder in Konkursfällen jure delendi erwerben. Zur Erkaufung von Häusern, auch zur eigenen Bewohnung in der Residenzstadt [München] wird die Genehmigung der allerhöchsten Stelle erfordert.

§. 17. Die Juden können durch jüdische oder christliche Dienstboten ihre Felder bearbeiten lassen; die Verwendung ausländischer Juden wird jedoch nicht gestattet. Die Pachtung von Feldgründen ist ihnen erlaubt, die Verpachtung untersagt.

§. 18. Die Betreibung aller Manufakturen, Fabriken, Gewerbe und Handwerke, sie mögen zünftig oder nicht zünftig [organisiert] sein, (Brauereien, Schenk- und Gastwirtschaften ausgenommen) ist den Juden, insofern ihrer Ansässigmachung nichts im Wege steht, wie dem Christen gestattet. Die zünftigen Gewerbe können von ihnen nur betrieben werden, wenn sie ordentlich eingezünftet sind [d.h. wenn sie Mitglied der Zunft sind]. Es sollen aber keine eigenen jüdischen Zünfte bestehen, sondern die zu Betreibung eines Gewerbes oder Handwerkes hinlänglich Befähigten mit Personal-Konzessionen oder auch mit erworbenen Realgerechtigkeiten versehenen Juden können sich in die bestehenden Zünfte aufnehmen lassen. Die von einem Meister in die Lehre und als Gesellen aufgenommenen Juden sollen von den Zünften, wie christliche Lehrjungen und Gesellen eingeschrieben, aufgedungen, freigesprochen, und mit Lehrbriefen versehen werden. Den Juden wird erlaubt, eigene Prämien für christliche handwerks-Meister, welche jüdische Kinder, auszusetzen. Es versteht sich, dass jeder Jude, welcher einmal zur Meisterschaft gelangt ist, selbst wieder christliche und jüdische Lehrjungen und Gesellen aufnehmen und halten dürfe.

§. 19. Ebenso sollen die Juden zu dem ordentlichen Wechsel-, Groß- und Detailhandel [Einzelhandel] mit ordentlicher Buchführung (welche jedoch nur in deutscher Sprache geschehen darf) zugelassen werden, wenn sie das hinreichende Vermögen, die gute Aufführung [Leumund], und die Gewerbsbefähigung, welche die Gesetze vorschreiben, ausgewiesen, und eine ordentliche Real- oder Personal-Handelskonzession nach dem allgemein geltenden Grundsätzen erlangt haben.

§. 20. Aller Hausier-, Not- und Schächerhandel soll in Zukunft gänzlich verboten, und eine Ansässigmachung hierauf durchaus untersagt bleiben. Nur von denjenigen hierauf bereits ansässigen jüdischen Hausvätern, welche sich dermal auf andere Art zu ernähren nicht vermögen, darf derselbe noch in so lange fort gesetzt werden, bis sie einen anderen ordentlichen Erwerbszweig erlangt haben, wozu die Polizeibehörden bestens mitzuwirken wissen werden. Das Hausieren unterliegt den besonderen polizeilichen Bestimmungen.

§. 21. Alle in dem Königreiche noch bestehenden Juden-Korporationen [Körperschaften, d.h. die organisierten Landjudenschaften] werden aufgelöst, die korporations-Diener entlassen, und die Korporations-Schulden unter jene Distrikte, welche bisher jede Korporation gebildet haben, mit völliger Sicherstellung der Gläubiger verteilt. Diese Auflösung soll in Zeit von 6 Monaten nach Kundmachung dieses Edikts in Wirkung treten, und die General-Kommissariate, in deren Bezirke sich dergleichen Korporationen befinden, werden angewiesen, in Zeit von drei Monaten nach dieser Publikation ihre detaillierten Gutachten über die Vollziehung der Auflösung bei jeder Korporation insbesondere, und ein vollständiges Projekt der Schulden-Verteilung an das Ministerium des Inneren einzusenden.

§. 22. Die in den verschiedenen Orten des Königreichs wohnenden Juden, sie mögen sich von ordentlichen bürgerlichen Gewerben, oder noch ferner von dem Nothandel ernähren, bilden keine eigenen Juden-Gemeinden [hier: Kommunen], sondern schließen sich an die christlichen Bewohner des Orts in gemeinde-Angelegenheiten an, mit welchen sie nur eine Gemeinde ausmachen. Sie teilen mit den übrigen Bewohnern die gemeinde-Rechte und Verbindlichkeiten, jedoch mit der Ausnahme, dass die Nothandel treibenden Juden an den gemeinde-gründen [Gmain] jener Orte, in welchen sie wohnen, (insofern ihnen nicht bisher schon Rechte darauf zustanden, welche ihnen vorbehalten bleiben) keine Nutzung und keinen Anteil haben. Die Landbau oder ordentliche konzessionierte Gewerbe treibenden Juden genießen hingegen auch in Rücksicht der gemeinde-Gründe die vollen Rechte der Gemeinde-Glieder.

§. 23. Den jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche wird vollkommene Gewissens-Freiheit gesichert. Sie genießen alle, den Privat-Kirchengesellschaften durch das Edikt vom 24. März 1809 im 2. Kapitel des II. Abschnitts (Reggblatt. 1809, St. XXXX, Seite 904 usw.) eingeräumten Befugnisse, insofern sie in der gegenwärtigen Verordnung nicht abgeändert oder näher bestimmt sind.

§. 24. Wo die Juden in einem gewissen, mit der Territorial-Einteilung des Reichs übereinstimmenden Bezirk, in einer Zahl von wenigstens 50 Familien vorhanden sind, ist ihnen gestattet eine eigene kirchliche Gemeinde [Kultusgemeinde] zu bilden, und an einem Orte, wo eine Polizei-Behörde besteht, eine Synagoge, einen Rabbiner und eine eigene Begräbnisstätte zu haben.

§. 25. Wo sie keine kirchliche Gemeinde bilden, sind sie lediglich auf die einfache Hausandacht beschränkt [jede Familie für sich], und alle heimlichen Zusammenkünfte unter dem Vorwande des häuslichen Gottesdienstes sind ihnen nach §. 6. des 1. Kapitels I. Abschnitts des Edikts vom 24. März 1809. (Reggsblatt 1809, St. XXXX, Seite 899) verboten. Wo eine Synagoge besteht, darf außer dem Rabbiner oder dem bestätigten Substituten [Vertreter, d.h. Dajan], kein Anderer kirchliche Verrichtungen ausüben.

§. 26. Die Ortsrabbiner und Substituten werden von den Mitgliedern der Kirchen-Gemeinde vorgeschlagen, von den General-Kreis-Kommissaren geprüft, und nach Befund bestätigt oder verworfen Die Bestätigten können ohne Bewilligung des General-Kommissariats nicht entlassen werden. [N.B.: Nach dem Vorbild Frankreichs war das Königreich Bayern von 1808 bis 1838 in neu gezogene, nach den großen Flüssen benannte Regierungskreise unterteilt].

§. 27. Der zum Rabbiner oder Substituten vorgeschlagene Jude muss a) als königlicher Untertan in die Matrikel eingetragen, b) der deutschen Sprache mächtig, und überhaupt wissenschaftlich gebildet [!], c) ohne Makel des Wuchers oder eines betrügerischen Banquerouts [Bankrotts], und sonst von einem guten und sittlichen Lebenswandel sein.

§. 28. Bei der Bestätigung hat der Rabbiner einen feierlichen Eid dahin abzulegen, dass er den Gesetzen des Reiches durchgehend schuldige Folge leisten, Nichts gegen dieselben lehren oder gestatten, wo er etwas dagegen erfahren würde, solches der Obrigkeit treulich anzuzeigen, und in keine Verbindung irgendeiner Art mit ausländischen Obern [d.h. Obrigkeiten] sich einlassen werde.

§. 29. Die in den drei vorhergehenden Artikeln enthaltenen Bestimmungen finden auch die dermal bestehenden Rabbiner ihre Anwendung.

§. 30. Der Wirkungskreis der Rabbiner wird ausschließend auf die kirchlichen Verrichtungen [Gottesdienst und Seelsorge] beschränkt, und alle Ausübung von Gerichtsbarkeit, unter welchem Vorwande sie immer angesprochen werden wollt, sowie alle Einmischung derselben und der Barnosen [Barnossim, dt. Gemeindevorsteher] in bürgerliche oder Gemeinde-Angelegenheiten wird bei ernstlichen Geld- und Arrest-Strafen [Gefängnisstrafen], nach Umständen selbst der Entlassung verboten, wobei sich die Nichtigkeit der Handlung von selbst versteht. Die Juden haben demnach, gleich den übrigen Untertanen, bei Unsern Behörden recht zu nehmen, und alle Gesetze Unseres Reiches, insoweit nicht rücksichtlich der Juden Ausnahmen gemacht sind, finden auch auf sie ihre Anwendung.

§. 31. Das jüdische Kirchen-Vermögen bleibt dem jüdischen Kultus ausschließend überlassen. Es wird in den einzelnen Kirchen-Gemein[d]en durch den Rabbiner und zwei von der Gemeinde erwählte Mitglieder verwaltet.

§. 32. Die Juden-Kinder [sic] beider Geschlechter sind gleich jener Unserer übrigen Untertanen zum öffentlichen Schulbesuch in Städten und auf dem Land verbunden [verpflichtet], und sie erhalten, mit Ausnahme der Religionslehre, gleichen Unterricht mit denselben, unter Beobachtung aller über das Schul- und Erziehungswesen bestehenden Verordnungen; der Zutritt zu allen höheren Lehranstalten ist ihnen gestattet.

§. 33. Den Juden ist bewilligt eigene Schulen zu errichten, wenn sie vorschriftsmäßig gebildete und geprüfte Schullehrer aufstellen, welche königliche Untertanen sind, und denen ein Gehalt von wenigstens 300 fl. [bay. Gulden] gesichert ist. Dieselben sind an den allgemeinen Lehrplan gebunden, die Aufnahme von Hauslehrern richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen.

§. 34. Die Erlaubnis zum Studium der jüdischen Gottesgelehrtheit soll keinem jüdischen Jüngling erteilt werden, bevor er von einer öffentlichen Studien-Anstalt des Königreichs über seine hinreichende Vorbereitungs-Kenntnisse ein günstiges Zeugnis erhalten hat.

In diesen Bestimmungen werden die in Unserm Reiche befindlichen Juden einen Beweis Unserer auf das Wohl Unserer sämtlichen Untertanen sich erstreckenden Sorgfalt eben so dankbar erkennen, als gesamte Polizei-Behörden kräftig mitzuwirken haben, dass diese Verordnung allenthalben genau Vollzug komme, weswegen Wir dieselbe durch das Regierungsblatt zur allgemeinen Kenntnis bringen lassen. München den 10. Juni 1813.

Max Joseph. Graf von Montgelas. Auf königlichen allerhöchsten Befehl der General-Sekretär F. Kobell.

(Vorbemerkung und Transkription von Patrick Charell)

Mehr zu diesem Thema bei Richard Mehler: Die Matrikelbestimmungen des bayerischen Judenediktes von 1813. Würzburg 2011 (= Judaica Franconia 6).