Jüdisches Leben
in Bayern

Synagogen in Bayern

Das Gotteshaus einer jüdischen Gemeinde heißt im Hebräischen "Bet Haknesset" (dt. Haus der Versammlung). Aus dem lateinischen "scola Iudeorum" leitete sich die mittelalterliche bis frühneuzeitliche Alltagsbezeichnung "Schule" oder auch "Judenschul(e)" ab. Heute hat sich in fast allen europäischen Sprachen eine Variante des altgriechischen Wortes "Synagoge" (συναγωγή) durchgesetzt, was "Vereinigung" oder "Versammlung" bedeutet. In englischsprachigen Ländern ist auch der Begriff "Tempel" geläufig. 

In der Synagoge feiert eine Kultusgemeinde (Kehillah) Gottesdienste und religiöse Feste. Früher wurden dort auch wichtige Gemeindeangelegenheiten besprochen. Für weltliche Veranstaltungen gab es bereits im Mittelalter sogenannte Tanzhäuser, heutzutage stehen in den modernen Gemeindezentren eigene Räumlichkeiten zur Verfügung.

Erst durch die feierliche Übertragung einer Torarolla wird die Synagoge zum sakralen Raum. Eine förmliche Weihe des Gebäudes wie im Christentum findet jedoch nicht statt. Als Zeichen der Demut betreten Männer diesen würdevollen Ort grundsätzlich nur mit bedecktem Haupt. Im Unterschied zu einer Betstube, also einem Raum der privaten Andacht, muss die Synagoge gemäß den jüdischen Religionsgesetzen (Halacha) gewisse rituelle Anforderungen erfüllen:

Eine Synagoge soll eine Bibliothek enthalten, um religiöse Studien zu ermöglichen. Sie muss nach Osten ausgerichtet und angemessen ausgestattet sein, möglichst freistehen und die übrigen Häuser – zumindest die jüdischen – überragen. Die Höhenvorgabe wurde manchmal durch einen Dachreiter, später auch mit Türmen oder Kuppeln umgesetzt.

Ein Fenster an der Ostwand gibt die Gebetsrichtung nach dem zerstörten Jerusalemer Tempel vor (Misrach, Misrachfenster). Mit einer Nische oder einem Erker wird in die Misrachwand der Toraschrein eingebettet (Aron ha-Kodesch, auch Heilige Lade). Er ist der eigentliche Mittelpunkt jeder Synagoge, denn in ihm werden die Torarollen aufbewahrt. Ein bestickter Toravorhang (Parochet) deckt die geschlossene Lade ab, darüber hängt eine Ewiglichtlampe (Ner Tamid).

Je nach Region oder den finanziellen Möglichkeiten einer Kultusgemeinde können Größe und Ausstattung stark variieren, weil es nur wenige Vorschriften bezüglich der baulichen Beschaffenheit gibt. Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit hätte eine idealtypische Synagoge ungefähr diesen Grundriss gehabt:

Den größten Teil des Gotteshauses nimmt der Betsaal ein. Er ist den Männern vorbehalten (Männerabteilung, auch "Männerschule") und wird über eine Vorhalle betreten, in der sich ein rituelles Waschbecken sowie ein Opferstock und eventuell Stifter- bzw. Gedenktafeln befinden. In traditionellen Synagogen führen drei Stufen hinunter in den Sakralraum, um anzudeuten, dass sich die Betenden vor Gott klein machen.

Im Zentrum des Betsaals steht eine erhöhte Plattform (Bima) für feierliche Lesungen aus der Tora. Traditionell gab es jedoch keine Sitzbänke oder Stühle, sondern individuelle Stehpulte. Regelmäßig wurden sie vom Laienvorsteher (Gabbai) neu versteigert, das Geld kam in die Gemeindekasse. In der orthodoxen Liturgie beten jüdische Männer an ihrem Pult in einem rythmischen Gesang, der von einem Vorsänger (Chasan, auch Kantor) geleitet wird.

Während im 19. Jahrhundert über die Trennung der Geschlechter heftig diskutiert wurde, ist sie heute in den meisten modernen Synagogen nur noch symbolisch angedeutet. Ein separater Zugang führte einst zur Frauenabteilung, die von der Halacha vorgeschrieben wird. Von diesem abgetrennten Bereich können die Frauen dem Gottesdienst folgen. Oft ist die Abteilung im Obergeschoß auf einer Empore eingerichtet, die in den Betsaal hineinragt.

Eine Besonderheit in Franken war der sogenannter Chuppastein. Durch eine abgekürzte hebräischer Inschrift ("Gut Glück" / "Stimme der Freude und des Jubels" / "Stimme des Bräutigams und der Braut") bezeichnete er die Stelle vor der Synagoge, an der unter einem Hochzeitsbaldachin (Chuppa) Brautpaare getraut wurden. Nach den sieben Segenssprüchen des Rabbiners zerbrach der Bräutigam ein Weinglas am Chuppastein. Seit dem 19. Jahrhundert finden Trauungen meistens im Betsaal statt, wo das Glas auf dem Boden zertreten wird.

Jüdische Architektur und jüdische Kunst wurde immer von der umgebenden Kultur beeinflusst. Im mittelalterlichen Bayern baute man zuerst im Stil der Romanik und ab dem 13. Jahrhundert im Stil der Gotik. Die erste Synagoge in Regensburg, deren Fundamente 1994 am Neupfarrplatz freigelegt wurden, stammte aus dem 11. Jahrhundert und gehört neben den Gotteshäusern in Worms und Erfurt zu den ältesten Zeugnissen jüdischer Religionsausübung in Deutschland.

Zwischen dem späten 14. und dem frühen 16. Jahrhundert ließen christliche Machthaber nach Pogromen oder Vertreibungen jüdische Gotteshäuser zumeist niederreißen. Auf den Grundmauern errichteten sie als Zeichen des Triumphes neue Kirchen, üblicherweise mit einem Marienpatrozinium – so geschehen in München, Nürnberg, Regensburg, Würzburg, Landshut, Deggendorf und anderen Orten.

In der Frühen Neuzeit wurden Synagogen zumeist am Ortsrand oder in zweiter Reihe zur Straße erbaut. Sie hatten unscheinbar zu bleiben, um ihren niedrigeren Stand gegenüber den christlichen Konfessionen zu betonen. Das schwäbische und fränkische "Landjudentum" musste oft aus Kostengründen alle wesentlichen Einrichtungen in einem zweckmäßigen Gebäude zusammenfassen: Synagoge, Schulraum, Ritualbad (Mikwe), Dienstwohnung.

Zwischen 1730 und 1740 malte der galizische Wanderkünstler Eliezer Sussmann mehrere Holzsynagogen ("Scheunensynagogen") im fränkisch-schwäbischen Raum – u.a. Bechhofen, Colmberg, Georgensgmünd und Horb a.M. – im Stil der barocken polnischen Volkskunst aus. Buchstäblich jede freie Fläche der Verschalung bedeckte er mit floralen Ornamenten, mythologischen Tieren, religiösen Symbolen des Judentums, Psalmen und Gebeten.

Im 18. Jahrhundert begann sich der Stil neu erbauter Synagogen zu verändern: Zunehmend legten Grund- und Landesherren Wert darauf, dass auch die jüdischen Gotteshäuser zu ihrem Ansehen beitrugen. Ein Beispiel ist die Komturei der Deutschordensritter zu Ellingen, wo Hofbaumeister Franz Joseph Roth (1690–1758) einen Betsaal im Anwesen von Löw Amson stuckatierte und mit religiösen Deckenmalereien ausstattete.

In der markgräflichen Haupt- und Residenzstadt Ansbach errichtete Hofbaumeister Leopold Retty (1704–1751) bis 1746 eine barocke Synagoge, deren Schönheit und Eleganz bereits von zeitgenössischen Quellen gerühmt wurde. Sie inspirierte zahlreiche weitere Bauwerke, überdauerte die NS-Zeit und gilt heute als eine der schönsten Synagogen in Mitteleuropa.

Mit dem Bayerischen Judenedikt von 1813 sollten Synagogen die Würde eines modernen und toleranten Staatswesens repräsentieren. Alle öffentlichen Bauprojekte wurden ab 1829 dem Staatsministerium des Inneren in München unterstellt. Als Kontrollorgan berief König Ludwig I. (reg. 1825–1848) einen "Baukunstausschuss", dem berühmte Architekten wie Leo von Klenze (1784-1864) und Friedrich von Gärtner (1791-1847) angehörten.

Nach einem Vorentscheid der Kreisbauämter überprüfte der Ausschuss die ästhetische Qualität aller Baupläne, die 500 Gulden überschritten. Bei neuen Synagogen wurde ein orientalischer bzw. "Maurischer Stil" empfohlen, um auf den Ursprung der mosaischen Religion im Nahen Osten hinzuweisen. Von jüdischer Seite sah man in dieser Architektur eine Form der kulturellen und religiösen Selbstbehauptung.

Liberale Kultusgemeinden orientierten sich an den Ideen des Reformjudentums und passten ihren Ritus an der christlichen Mehrheitsgesellschaft an: Feststehende Subsellien (Sitzbänke) ersetzten die traditionellen Stehpulte, die Bima rückte näher an den Toraschrein heran und ähnelte dem Altarraum einer Kirche. Der Einbau von Orgeln und Chorlogen wurde zwar vom Staat wohlwollend gesehen, aber von konservativen Juden strikt abgelehnt.

In vielen bayerischen Städten beanspruchten neue Großsynagogen einen prominenten Platz im öffentlichen Raum. Der Maurische Stil wurde von einer betont "deutschen" Architektur abgelöst, meistens historisierende Neu-Romanik oder moderner Jugendstil. Darin spiegelte sich auch eine gewachsene jüdische Identifikation mit dem Nationalstaat.

Wegen der anhaltenden Aus- und Abwanderung mussten sich jedoch viele alteingesessene Kultusgemeinden auflösen oder zusammenschließen. Immer mehr Synagogen standen leer. Da sie keinen sakralen Charakter mehr hatten, wurden sie meistens an Nichtjuden verkauft, wobei auch zurückgelassene Kultgegenstände (Ritualien) verloren gingen.

Daher beauftragte der VBIG (Verband Bayerischer Israelitischer Gemeinden) im September 1926 den Kunsthistoriker Theodor Harburger (1887–1949) mit einer groß angelegten Topographie der jüdischen Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern. Bis 1932 bereiste Harburger insgesamt 125 Gemeinden und fertigte ein Inventar mit rund 800 Fotografien an, das heute im CAHJP (Central Archive for the History of the Jewish People) in Jerusalem aufbewahrt wird.

Im Nationalsozialismus wurden Synagogen zum Ziel von Vandalismus und antisemitischer Hetzkampagnen. In der Nacht auf den 10. November 1938 ("Novemberpogrome") stürmten Einheiten der SA und HJ gemeinsam mit aufgewiegelten Zivilisten landesweit Synagogen, demolierten sie und legten Feuer, wen dies nicht umliegende Häuser gefährdete.

Im Anschluss an das systematisch geplante Novemberpogrom gingen die kleineren Synagogen in den Besitz von Kommunen oder Privatpersonen über, doch fast alle Großsynagogen wurden abgerissen. Bereits vor dem Novemberpogrom hatte Adolf Hitler die Zerstörung der Münchner Hauptsynagoge angeordnet. Durch seinen "Führerbefehl" blieb hingegen die monumentale Augsburger Synagoge verschont, weil sie das Regime als Konzerthalle nutzen wollte.

Nach dem Sturz der NS-Diktatur übernahm die JRSO (Jewish Restitution Successor Organization) alle erhaltenen Synagogengebäude mitsamt den Grundstücken, verkaufte sie aber in der Regel wieder an die einzelnen Kommunen zurück. Das weitere Schicksal der historischen Synagogen in Bayern ist daher sehr unterschiedlich:

Während viele als Wohn- oder Nutzgebäude noch in ihrer Substanz erhalten sind, verfallen andere zu Ruinen oder wurden in den letzten Jahrzehnten ohne Not abgerissen, teils wider besseres Wissen. Dank dem Einsatz von Vereinen und Förderkreisen sind zahlreiche Synagogen heute aufwendig restaurierte Kulturstätten, Museen und Mahnmale.

Die heute bestehenden 13 jüdischen Kultusgemeinden in Bayern nutzen entweder historische Synagogen (Augsburg/Schwaben, Amberg, Bayreuth, Hof, Fürth, Straubing), oder sie haben moderne Neubauten errichtet (Bamberg, Erlangen, München/Oberbayern, Nürnberg, Regensburg, Weiden und Würzburg/Unterfranken).

Elemente der zukunftsweisenden Architektur und die verwendeten Materialien beziehen sich oft auf das Alte Testament. Moderne Synagogen bilden oft bauliche Ensembles mit Gemeindezentren, Ritualbädern, Veranstaltungsflächen, koscheren Restaurants und Museen. Sie setzen ein klares städtebauliches Zeichen: Das Judentum gehört zu Bayern.

(Patrick Charell)

Quellen

Jüdisches Schrifttum - Religiöse Schriften (Bavarikon)

1450: Vertreibung der Juden aus Landshut

1544: "Großes Judenprivileg" von Speyer

um 1590: "Bamberger Siddur" aus Dormitz

1729: Illegales Laubhüttenfest in München

1772: Judenordnung aus Adelsberg

1825: Synagogenordnung aus München

1872: Synagogenordnung aus Hürben

1874: Neue Hauptsynagoge in Nürnberg

2006: Einweihung der Synagoge in München

Zeitzeugen

Schalom Ben-Chorin erzählt von den drei Synagogen Münchens im frühen 20. Jahrhundert

Ferdinand Platz erinnert sich an die Zerstörung der Synagoge Amberg im Novemberpogrom 1938

Chana Braun über die provisorische Synagoge im DP-Lager Föhrenwald

Glossar

Aron ha-Kodesch

Bar Mizwa

Beschneidung

Bet Haknesset

Bima syn. Almemor

Chasan

Chuppastein

Frauenabteilung syn. -synagoge

Gabbai

Jad

Kele Kodesch

Misrach

Mohel

Ner Tamid

Orthodoxie

Rabbiner u. Dajan

Reformjudentum

Synagoge

Tora(-Rolle)

Gemeinden und Orte (Auswahl)

Allersheim (Synagoge)

Ansbach (Synagoge)

Augsburg (Gemeinde)

Bad Königshofen (Synagoge)

Bamberg (Synagoge)

Ellingen (Synagoge)

Fellheim (Synagoge)

Floß (Synagoge)

Georgensgmünd (Synagoge)

Hainsfarth (Synagoge)

Horb am Main (Synagoge)

Ichenhausen (Synagoge)

Kirchheim (Synagoge)

Kitzingen (Synagoge)

München (Gemeinde)

Nürnberg (Gemeinde)

Schnaittach (Synagoge)

Straubing (Synagoge)

Personen

Hirsch Aub, Rabbiner in Münchner

Isaak Loewi, Reformrabbiner

Eliezer Sussmann, Künstler

Theodor Harburger, Kunsthistoriker