Die Glossare des HdBG

Reformjudentum Detailansicht

Stichwörter: liberales Judentum, Reformbewegung, reformiertes Judentum, Reformjudentum


Eine im frühen 19. Jahrhundert entstandene, liberale Strömung innerhalb des Judentums, die mit Bildungs- und Sozialreformen der jüdischen Aufklärung (Haskala) religiöse Reformen anstrebte. Ein wichtiger äußerlicher Aspekt war die "moderne" Liturgie mit dem Gebrauch der Landessprache im Gottesdienst und beim Religionsunterricht. Die Ausstattung der Synagoge orientierte sich zunehmend an christlichen Kirchenbauten, reformierte Rabbiner führten Musik und festlichen Chorgesang ein (von der Orthodoxie abgelehnt, weil seit der Zerstörung des Tempels 50 n.Chr. Trauer herrscht). Noch wichtiger für das liberale Judentum waren die inneren Reformen zugunsten einer weitgehenden Integration als moderne Staatsbürger: Eine bessere Ausbildung von Rabbinern und Lehrkräften (siehe Unterrichtswesen), die höhere Gleichberechtigung der Frauen, die Tendenz zu einem aufgeklärten Rationalismus, sowie der Verzicht auf die traditionelle Bindung an das Gelobte Land mit der einhergehenden freiwilligen Isolation von der Mehrheitsgesellschaft. Zentren des deutschen Reformjudentums lagen in Hamburg, Berlin, Frankfurt a.M. und Nürnberg. Unter dem Eindruck der Shoah zerbrach der grundlegende Glaube an einen moralischen Fortschritt der Menschheit. Durch den Erfolg des Zionismus (Gründung des Staates Israel 1948) und das Übergewicht des eher konservativen osteuropäischen Judentums nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich weltweit eine Rückkehr zur Orthodoxie. Dieser Trend nahm seit dem Sechstagekrieg (1967) zu und dominiert u.a. die heutige Politik des Staates Israel.

Quelle: Reformjudentum, in: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 18. 19. v. n. bearb. Aufl. Mannheim 1992, S. 182. // Germanisches Nationalmuseum Nürnberg / Bernward Deneke u.a. (Hg.): AK Siehe der Stein schreit aus der Mauer. Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Nürnberg 1988, S. 513. // Vgl. Christoph Daxelmüller: Jüdisches Alltagsleben im 19. und 20. Jahrhundert am Beispiel Unterfrankens. In: Haus der Bayerischen Geschichte / Manfred Treml / Josef Kirmaier / Evamaria Brockhoff (Hg.): Geschichte und Kultur der Juden in Bayern – Aufsätze. München 1988 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 17), S. 287-298.
Aus: Jüdisches Leben in Bayern (hdbg.eu/juedisches_leben)

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