Jüdisches Leben
in Bayern

um 1590: "Bamberger Siddur" aus Dormitz

Der „Bamberger Siddur“. Hebräisches Gebetbuch mit Anmerkungen zur Liturgie und religiösen Vorschriften. Aus der Synagoge Dormitz, Tusche auf Ziegenhaut, Ende 16. Jahrhundert. Einband ergänzt 1993. Staatsbibliothek Bamberg Msc.Add.43

Vorbemerkung

Ein Siddur (hebr. Gebetbuch) aus dem späten 16. Jahrhundert wurde im Sommer 1986 von Prof. Klaus Guth in der Genisa auf dem Dachboden der ehemaligen Synagoge in Dormitz gefunden. Wegen ihrer großen kulturellen und historischen Bedeutung wurde die stark nachgedunkelte und beschädigte Handschrift vom Freistaat Bayern angekauft und an der Bayerischen Staatsbibliothek München mit großem Aufwand restauriert. Sie befindet sich heute als "Bamberger Siddur" in der Staatsbibliothek Bamberg (Msc.Add.43). Der originale Einband fehlte, wurde aber bei der Restaurierung nach historischen Vorbildern rekonstruiert (mit Ziegenleder bespannte Holzdeckel, Buchschließe). Die ornamentale Ausstattung ist zurückhaltend; die großzügige Verwendung von roter Schrift, großen Initialen oder größerer Schmuckfelder für ganze Initialwörter betont dennoch die religiöse Bedeutung der Handschrift.

Der "Bamberger Siddur" wurde in aschkenasischer Masketschrift auf insgesamt 218 Pergamentbögen aus Ziegenhaut geschrieben; die Leserichtung verläuft von rechts nach links. Der Inhalt beruht in Teilen auf den Schriften der großen jüdischen Gelehrten Meir ben Isaak (Worms, gest. 1196), Moses Maimonides (Spanien, um 1136-1204), Samson ben Samson (Frankreich, aktiv um 1210) und Jerocham ben Meschullam (Frankreich, 1290-1350).

Quellentext

Fol. 1r-45v: Siddur mit Belegstellen an den Rändern

Fol. 1r-9v: Schacharit (Morgengebet), fragmentarisch.

Fol. 9v-11r: Ma’ariv (Abendgebet).

Fol. 11r-12v: Abendgebet zum Shabbat

Fol. 12v-15r: Morgengebet für Shabbat und Feiertage

Fol. 15rv: Die fünf Haftara-Benediktionen (Segnungen)

Fol. 15v.-16r: Einfügungen am Shabbat, Bitte vor der Neumondsverkündung und den glücklichen Verlauf des Monats.

Fol. 16r-17v: Musaf ("Zusatzgebet") für den Shabbat, anschließend Rezitation der Opfervorschrift Num 28,9-10. Einleitung zur Keduscha ("Heiligung"), der Hymnus und der Abschnitt über das Räucherwerk, Lobgesang (Lied der Leviten) und Anweisungen zum Kaddisch ("Heiligtum").

Fol. 17v.-18r. Mincha (Nachmittagsgebet) zum Shabbat, die drei Psalmverse Ps 119,142, 36,7 und 71,19 sowie erneut Anweisungen zum Kaddisch ("Heiligtum").

Fol 18r-19v: Gebete zum Ende des Shabbat

Fol. 19v-23v: Segen über den Mond, Neumondstage.

Fol. 23v-28r: Gebete und Litanei zum Rosch ha-Schana (Neujahrsfest) inkl. dem Awinu Malkenu (Gebet "Unser Vater, unser König").

Fol. 28v-32r: Liturgie zu Jom Kippur ("Versöhnungstag"), dazu Anweisungen zu den Selicha (Sühnegebete).

Fol. 32-37r: gesänge zum Siebten Tag des Sukkot (Laubhüttenfest).

Fol. 37v-45r. Ordnung für die Pessach-Haggada: Bestimmungen zur Vorbereitung, Ablauf, Liturgie.

Fol. 45v: Unbeschrieben

Fol. 46r-47v: Abschnitt mit Erläuterungen zu einzelnen Teilen der Gebetsliturgie.

Fol. 47v-51r: Knappe Aufzählung der "Hundert Benediktionen" nach Rabbiner Meir, Anweisung zum Umgang mit der Torarolle.

Fol. 51v-52v, Z 8: Kabbalistischer Abschnitt, der mit einem Abkürzungssystem in Verbindung mit Wort- und Buchstabenzahl vorgeht, hier speziell zum mystischen Gottesnamen.

Fol. 52v-68v: "Ordnung der Gebete und Benediktionen mit dem Titel Hayye olam [Buch des ewigen Lebens] in Burgund und hier nennt man es Be-qum ["beim Aufstehen", Initialwort des eigentlichen Textes].

Fol. 68v-126v: Weitere Vorschriften und Erläuterungen zur Liturgie (Shabbat, Gedenktage, Hohe Feiertage).

Fol. 85v, Z 8-fol 88r, Z 8: Liturgie zu Purim ("Losfest").

Fol. 88r, Z 7-fol. 96v: Liturgie zum wichtigen Pessach-Fest (Gedenken an den Auszug aus Ägypten).

Fol. 96v-fol.101v, Z 9: Bestimmungen zum Wochengottesdienst, Fast- und Trauertagen, Fasttagen.

Fol. 101v-107r, Z 6: Bestimmungen für die Trauernden.

Fol. 107r, Z 7-108v, Z 10: Ordnung des Neujahrsfestes, Ende (s.o.).

Fol. 108v-113v, Z 13: Vorschriften und Kollektaneen für den Versöhnungstag Jom Kippur (s.o.).

Fol. 113v-120v, Z 3: Vorschriften für das Laubhüttenfest (s.o.).

Fol. 120v-124v, Z 11: Vorschriften zum Shabbat und zum Gottesdienst an Neumondtagen.

Fol. 125r, Z 11-fol. 126v: Vorschriften über das Warmhalten von Speisen am Shabbat

Fol. 127r-130v: Vorschrift des Rabbiners Samson ben Samson über den Libationswein (Opferwein) der "Götzendiener", den Juden nicht trinken dürfen.

Fol. 130v-143v: Text unlesbar; laut Überschrift gleiches Thema wie oben vom Talmudisten Jeruham ben Mesullam (gest. 1350, Spanien).

Fol. 143v-150v: Mischne Tora ("Wiederholung der Lehre"), Abschnitte aus dem "Buch der Liebe") von Maimonides.

Fol. 151r-202v: Halachische Vorschriften und Gebote, anonymer Autor

Fol. 203r-218v: Vorschriften zum rituellen Schächten und zur Untersuchung des geschlachteten Tieres.

(Edition von Patrick Charell)

Aus: Hans Striedl / Staatsbibliothek Bamberg (Hg.): Der "Bamberger Siddur"(Msc.add.43 der Staatsbibliothek Bamberg). Bamberg 1993, S. 7-38.