1715 plante der Kitzinger Jude Hirsch die Errichtung einer neuen Synagoge, da der bisher für den Gottesdienst genutzte, gemietete Betraum in einem Privathaus offenbar den Ansprüchen der gewachsenen Gemeinde nicht mehr genügte. Das Vorhaben provozierte eine Beschwerde des Stadtpfarrers Johann Schober bei dem Würzburger Fürstbischof Johann Philipp von Greiffenclau über den von G. C. Spielberger vorgelegten Bauplan. Schließlich unterblieb die Ausrichtung des über einen rund sieben Meter langen und vier Meter breiten Betsaal verfügenden Neubaus nach Osten, die das Gebäude im Stadtbild hervorgehoben hätte. Seit 1789 wurde die erste Kitzinger Synagoge als Wohnhaus genutzt, im Zweiten Weltkrieg zerstört und dann abgerissen, um dort eine Einfahrt zu einer Tiefgarage anzulegen.
Nachdem der 1867 in das Religionszimmer der protestantischen Volksschule verlegte Betraum der jüdischen Gemeinde nicht mehr genügend Platz für die wachsende Gemeinde bot, gründete Hirsch Stern 1875 eine "Synagogenbaukasse". Sechs Jahre später wurde ein "Synagogen-Bau-Comité" gegründet, zu dessen Aufgaben die Auswahl des Bauplatzes, die Ausschreibug des Bauprojekts und die Erstellung eines Finanzierungskonzepts gehörten.
Nachdem am 31. Juli 1882 die feierliche Grundsteinlegung stattgefunden hatte, konnte das Gotteshaus bereits knapp ein Jahr später, am 7. September 1883, eingeweiht werden. Für die ohne Zwischenfälle verlaufenden Feierlichkeiten, denen die katholische und protestantische Kitzinger Geistlichkeit allerdings fernblieb, waren insgesamt drei Tage angesetzt.
Bei der Planung der Kitzinger Synagoge hatte sich der örtliche Bautechniker Christoph Friedrich Schneider vor allem am Vorbild der von Albrecht Rosengarten 1836 bis 1839 errichteten Kasseler Synagoge und der 1866 nach Plänen von Eduard Knoblauch vollendeten Berliner Synagoge in der Oranienburger Straße orientiert. Die durch eine dreiteilige Portalanlage ausgezeichnete Zweiturmfassade der 31 Meter langen und 17 Meter breiten, auf einem rechteckigen Grundriss erbaute Kitzinger Synagoge tritt städtebaulich prominent aus der Bauflucht hervor und ragt weit in den Vorplatz hinein. Die Ostfassade mit der ausgedehnten Thoranische und dem Misrachfenster setzt zum Main hin ebenfalls einen markanten baulichen Akzent.
Ursprünglich waren in der Frieszone der Portalanlage und in der Mitte der Balustrade der über dem Obergeschoss angelegten Dachterrasse insgesamt vier hebräische Inschriften angebracht, die auf die religiöse Bestimmung des Gebäudes verwiesen. Das im maurischen Stil gehaltene Innere der 20 Meter langen und 14 Meter breiten Männersynagoge, in der vier durch vier Gänge erschlossene Bankblöcke standen, dokumentieren nur wenige historische Fotografien. Ein Triumphbogen rahmte den Übergang vom Gemeinderaum zur „Apsis“ mit der Lesekanzel, dem Almemor und dem von dem Kultusvorstand Hirsch Stern gestifteten Thoraschrein mit einem auf je zwei Halbsäulen ruhenden Aufsatz. Die von jeweils fünf gußeisernen Säulen getragene Frauenempore umzog den Innenraum an drei Seiten.
1908 beging die Israelitische Kultusgemeinde das 25-jährige Einweihungsjubiläum der Synagoge in bescheidenerem Rahmen und beschränkte sich auf eine Veranstaltung in der Synagoge, an der die christlichen Kirchen wie bereits 1883 nicht teilnahmen. Nach dem Tod des Bezirksrabbiners Immanuel Adler trat Dr. Joseph Wohlgemuth 1912 dessen Nachfolge an. An der Amtseinführung des neuen Rabbiners, eines promovierten Neuphilologen, in der Kitzinger Synagoge nahmen neben den Vertretern der Kitzinger Behörden auch erstmals die christlichen Kirchen teil.
Am Morgen des 10. November 1938 brachen SS-Männer die mittlere Tür der Synagoge auf und zerschlugen das Mobiliar des Gotteshauses, dessen Trümmer sie anschließend in der Synagoge verbrannten. Der Verbleib der aus der Synagoge geraubten Ritualien, die zum Bezirksamt gebracht wurden, ist bis heute nicht bekannt. Um circa 15 Uhr steckte die Kitzinger Feuerwehr den Südturm der Synagoge in Brand, und am späten Nachmittag warf die Kitzinger Schuljugend die noch unversehrten Fenster der Synagoge ein.
Im November 1945 richtete der amerikanische Stadtkommandant in der Ruine der Synagoge einen provisorischen Betsaal für jüdische Soldaten, nach Kitzingen zurückgekehrte Juden und jüdische Gäste ein. Danach wurde die ehemalige Synagoge für verschiedene Gewerbe- und Handwerksbetriebe zweckentfremdet und blieb für mehr als drei Jahrzehnte Ruine. 1967 wurde eine erste Gedenktafel am Synagogengebäude angebracht. Ende der 1970er Jahre intensivierte sich die Debatte um das Schicksal des ehemaligen Gotteshauses, an der sich der 1982 gegründete Förderverein ehemalige Synagoge Kitzingen e.V., der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege und David Schuster, der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in Würzburg und Unterfranken, beteiligten. Schuster regte auch die Einrichtung einer "Synagoge in der Synagoge" im als Veranstaltungsraum vorgesehenen Innenraum an, die in das von dem Würzburger Architektenbüro Grellmann und Leitl entwickelte und 1990 vom Stadtrat beschlossene Nutzungskonzept aufgenommen wurde. Nach zweijähriger Bauzeit wurden die renovierte Synagoge und die "Synagoge in der Synagoge" am 19. Mai 1993 feierlich eingeweiht.
(Stefan W. Römmelt)
Bilder
Adresse / Wegbeschreibung
Obere Bachgasse 6 (alte Syn.) / Unterer Mainkai 1, 97318 Kitzingen
Literatur
- Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns (Hg.) / Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.): Mehr als Steine. Synagogen in Unterfranken. Eine Ausstellung des Staatsarchivs Würzburg in Kooperation mit dem Team des Synagogen-Gedenkbands Bayern und dem Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. München 2021 (= Staatliche Archive Bayerns - Kleine Ausstellungen 68), S. 24-26 u. 79-83.
- Elmar Schwinger / Hans-Christoph Dittscheid / Hans Schlumberger: Kitzingen mit Hohenfeld und Sickershausen. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.2. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1039-1040, 1044-1049, 1051-1065, 1066-1076.
- Theodor Harburger: Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, hg. von den Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem, und dem Jüdischen Museum Franken – Fürth & Schnaittach, Bd. 2. Fürth 1998, S. 322.