Biografien
Menschen aus Bayern

Joseph Schülein Brauereibesitzer und Philanthrop

geb. 31.03.1854, Thalmässing
gest. 09.09.1938, Kaltenberg/Geltendorf

Wirkungsort: München

Im Münchner Stadtteil Berg am Laim öffnet sich in einem ruhigen Wohngebiet eine Straße zu einem kleinen Platz, auf dem ein Brunnen steht. Straße, Platz und Brunnen tragen den Namen Schülein. Der Namensgeber ist sogar bei alteingesessenen Bewohnern größtenteils in Vergessenheit geraten, obwohl er Anfang des 20. Jahrhunderts zu den bekanntesten Persönlichkeiten Münchens zählte. Einen ersten Hinweis bietet die Betrachtung des Schülein-Brunnens: Diesen ziert, auf einer Säule über dem Becken thronend, die Bronzeskulptur eines eiligen "Mälzerbuben", einem Brauerlehrling in der traditionellen Tracht der Münchner Brauer- und Schäffler: Joseph Schülein war Brauereibesitzer, mehr noch, der bedeutendste Münchner "Bierbaron" seiner Zeit. Schülein war verheiratet mit Ida geb. Baer (1861-1929), mit der er sechs Kinder hatte. Sein zweiter Sohn Hermann Schülein (1884-1970) übernahm später den Betrieb und wurde nach seiner Flucht in die USA Geschäftsführer der "Rheingold"-Brauerei.

Auf diesen Werdegang hatte zu Beginn seines Lebens nicht viel hingewiesen. Joseph Schülein kam am 31. März 1854 im mittelfränkischen Thalmässing in einfachen Verhältnissen zur Welt. Seine Eltern waren Jeanette geb. Gunzenhäuser (1825-1900) und Julius (Joel) Schülein (1822-1867?). Der Ort hatte bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine verhältnismäßig große jüdische Bevölkerung. Als 1861 die diskriminierenden Einschränkungen des Bayerischen Judenedikts endlich aufgehoben wurden, nutzten viele junge, unternehmungslustige Juden ihre neu gewonnene freie Wohnorts- und Berufswahl, um in die großen Industriezentren zu ziehen. Diesen Weg ging auch der 19jährige Joseph Schülein: 1873 zog es ihn zusammen mit seinen Brüdern Gustav und Julius nach München. Noch verhältnismäßig mittellos angekommen, konnten die gelernten Hopfenhändler sehr schnell in der Geschäftswelt Fuß zu fassen. 1878 war Schülein bereits Eigentümer einer Privatbank, 1881 erhielt er das Münchner Bürgerrecht.

Einen bleibenden Namen sollte sich Schülein jedoch nicht als Bankier machen, sondern als Brauer: 1885 kauften die Schülein-Brüder zusammen mit ihrem Schwager Joseph Aischberg den bankrotten Schwaigbräu in Haidhausen (Innere Wiener Straße, heute Einsteinstraße 42) und gründeten mit der Betriebsmasse 1895 die "Unionsbrauerei Schülein und Compagnie". Schon bald war die neue Brauerei erfolgreich, 1903 folgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Zum Jahreswechsel 1905 fusionierte die Unionsbrauerei AG mit der bankrotten, erst 1880 gegründeten Münchner Kindl-Brauerei AG an der Rosenheimer Straße und konnte so ihren Ausschank deutlich erweitern. Zunächst bestanden noch beide Marken nebeneinander und wurden teils einzeln, teil gemeinsam beworben. Nach einer längeren Übergangsphase behielt Schülein nur den Namen "Münchner-Kindl-Bräu" für das ganze Unternehmen und übernahm deren Signet (seit 1882 die "Schützenliesl" Coletta Möritz). Das neue Unternehmen wurde nach dem Löwenbräu zur zweitgrößten Aktienbrauerei Münchens. Der Münchner Kindl-Keller am Gasteig war mit mehr als 5.000 Plätzen die damals größte Festhalle in Deutschland. Schüleins vereinigte Brauerei zählte 1911 mit einer Bierproduktion von über 320.000 Hektolitern zu den fünf größten Münchner Braustätten. Zunehmend wurde auch im Ausland geworben, jedoch spielte der Export im Vergleich zu Spaten, Pschorr und Löwenbräu nur eine vergleichsweise kleine Rolle. 1916 erwarb Joseph Schülein das Schloss Kaltenberg bei Geltendorf mitsamt einer maroden Schlossbrauerei, die er grundlegend modernisierte.

Sein zweiter Sohn Hermann Schülein (1884-1970) war derweil in die Betriebsleitung eingestiegen und organisierte am 5. Januar 1921 die aufsehenerregende Fusion mit der Löwenbräu AG. Nach dem Ersten Weltkrieg befand sich die weltweit bekannte Exportbierbrauerei in einer wirtschaftlichen Schieflage, aber auch das Schülein-Unternehmen litt an Überkapazitäten und dem unzulänglichen Immobilienbesitz. Mit der Fusion stellten die Unions- und Münchner-Kindl-Brauereien ihren Betrieb vollständig ein, denn der gewaltige Löwenbräu-Komplex am Stiglmaierplatz bot ganz andere Möglichkeiten: Über 1500 Beschäftigte, einer Tagessudleistung von 6000 Hektolitern, eine Lagerkellerfläche von 22.000 m² und eine Produktionskapazität von fast einer Millionen Hektolitern! Außerdem schluckte Schüleins Brau-Imperium noch im selben Jahr das beliebte Bürgerliche Brauhaus, das unter anderem den Bürgerbräukeller gegenüber dem Münchner-Kindl-Keller betrieb. Hermann Schülein wurde in den Vorstand der Löwenbräu AG berufen und war ab 1924 Generaldirektor des Unternehmens. Julius Schülein arbeitete zwar bei der Übernahme mit, verzichtete jedoch auf einen Führungsposten bei Löwenbräu. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Firma Cenovis Nährmittel GmbH, deren Teilaktionär er bereits seit ihrer Entstehung 1915 war. Die Geschäftsführung hatte Julius Schülein ab 1917 von seinem Bruder Hermann übernommen.

Seinen wirtschaftlichen Erfolg wollte Joseph Schülein immer an die Stadtbevölkerung zurückgeben. Zeitlebens war er als Freund der einfachen Leute bekannt, schon die Gründung seiner Brauerei im damaligen Arbeiterviertel Haidhausen gibt dafür Indiz. In ihren Betrieben waren die Schüleins, Vater wie Söhne, als großzügige Arbeitgeber geschätzt, Löhne und soziale Leistungen lagen stets über den tariflichen Vorgaben. Schülein unterstützte Haidhausener Vereine, verteilte regelmäßig bei Spaziergängen Geschenke an die Haidhausener Kinder, gründete Stiftungen und war jährlich Pate für etwa 40 bis 50 Firmlinge, die er für den Festtag neu einkleidete und bewirtete. Die Bevölkerung kannte und liebte ihren "König von Haidhausen". Im benachbarten Stadtteil Berg am Laim stiftete der Brauereibesitzer 21 Grundstücksparzellen mit je 1.000 – 2.500 m² für den sozialen Wohnungsbau. Während des Ersten Weltkriegs organisierte Josefs Frau Ida Schülein im Münchner-Kindl-Keller eine kostenfreie Armenspeisung und bewahrte dadurch vermutlich Tausende vor dem Hungertod.

1920 benannte die Stadt München dort eine neu angelegte Straße und einen Platz nach ihm. 1928 stiftete er für den Platz einen Brunnen, der von einem "Mälzerbuben" gekrönt wird. Dieser Brunnen steht noch heute. Josef Schülein war verheiratet mit Ida geb. Baer (1861-1929) aus Oberndorf im Grabfeld, mit der er sechs Kinder hatte. 1902 bezog die Familie ein repräsentatives von Leonhard Romeis errichtetes Wohnhaus in der Richard-Wagner-Straße 7 (gegenüber der Staatssammlung für Paläontologie). Ein weiteres Grundstück in derselben Straße gab Schülein später seiner Tochter Elsa zur Mitgift und ermöglichte dadurch seinem Schwiegersohn, dem Chirurgen Alfred Haas (1878-1978) die Gründung seiner Privatklinik. Schülein setzte sich auch für die Förderung des Münchner Brauchtums ein. Ihm zu Ehren führten die Schäffler ihren berühmten Tanz vor seinem Wohnhaus auf. Jenseits ihrer Akkulturation, mit der sich die Familie Schülein an das Leben einer großbürgerlichen deutschen Industriellenfamilie angepasst hatte, blieben sich die Schüleins ihrer jüdischen Herkunft stets bewusst. Sie lebten diese auch nach ihrem weitgehend säkularen Verständnis.

Schon seit den ersten Erfolgen als Brauer musste Joseph Schülein Schmähungen durch die neidische Konkurrenz erdulden, die sich meist mehr oder weniger unverbrämt auf seine jüdische Herkunft bezogen. Wegen der Diffamierung seines Biers als minderwertiges "Dividendenwasser" klagte er 1905 mit Erfolg gegen die Redaktion der "Münchner Bier-Chronik". Bereits einige Monate zuvor hatte das Blatt gegen Schülein gehetzt, als es über einen Rechtsstreit um die Bild- und Wortmarke "Schützenlisl" berichtete: "Dieses Beispiel diene den anderen Herren Brauereibesitzern zum Spiegel, wie 'kollegialisch' die Unionsbrauerei auf die Hektoliterjagd geht [...]. Sobald das Weibsbild einmal 'jüdisch' geworden, beschnüffelt sie kein räudiger Hund mehr, viel weniger ein ächter Bajuware" [sic!]. Die antisemitischen Angriffe nahmen in den 1920er Jahren noch erheblich zu. Sein Bier wurde als "Judenbier" geschmäht, der "Völkische Beobachter" ätzte 1922 gegen eine angebliche "Verjudaisierung der bayerischen Brauindustrie". Adolf Hitler selbst ereiferte sich 1928 bei einer NSDAP-Versammlung öffentlich gegen Schülein und sein Brauerei-Imperium. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden die jüdischen Aufsichtsratsmitglieder der Löwenbräu AG zur Niederlegung ihrer Mandate gezwungen. Josef Schülein zog sich mit 79 Jahren auf sein Schloss Kaltenberg zurück. Er starb am 9. September 1938 und wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf den Neuen Jüdischen Friedhof in München überführt.

Auch sein Sohn Hermann musste als Generaldirektor und Vorstandsvorsitzender zurücktreten. Als einfaches Mitglied führte er bis 1935 einen ebenso verzweifelten wie vergeblichen Kampf um den Familienbesitz, dann emigrierte er in die USA. Die Besitztümer der Familie wurden nach und nach enteignet. Auf Antrag der NSDAP benannte die Stadtverwaltung den Haidhausener Schüleinplatz und die Schüleinstraße in Halserspitzstraße und -platz um, nach einem unbedeutenden Berg der Voralpen.

Die "arisierte" Löwenbräu AG blieb bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ein Aushängeschild der Biermetropole München und gewann weiterhin internationale Preise, zum Beispiel auf der Pariser Weltausstellung 1937. Nachdem Georg Elsers Attentat auf Hitler im Bürgerbräukeller am 8. November 1939 nur knapp gescheitert war, fanden von da an die jährlichen Feierlichkeiten zum "Tag der Bewegung" im Löwenbräukeller am Stiglmaierplatz statt.

In New York arbeitete Hermann Schülein mit großem Erfolg als Aufsichtsratsvorsitzender und Managing Director der Liebmann Breweries. Er führte die Marke "Rheingold" zur Marktspitze, einige Zeit lang war es das meistgetrunkene Bier an der US-Amerikanischen Ostküste. Obwohl er nie mehr dauerhaft in seine Heimatstadt zurückkehrte, blieb er zeitlebens München verbunden. Am 7. August 1945 wurden der Platz mit dem Brunnen und die Straße wieder nach Josef Schülein benannt. 1954 verkaufte Hermann Schülein das restituierte Schlossgut Kaltenberg an den Wittelsbacher Prinzen Heinrich von Bayern. Seit 1976 ist es der Sitz der König Ludwig Schloßbrauerei, 1980 veranstaltete Heinrichs Sohn Prinz Luitpold das erste Kaltenberger Ritterturnier, das sich seitdem zum größten Mittelalterfest Europas entwickelte. Im Verwaltungsgebäude der Brauerei erinnert eine Bronzebüste von Josef Schülein daran, dass ohne ihn dieser Erfolg nicht möglich gewesen wäre.

Auf dem Gelände der ehemaligen Unionsbrauerei in der heutigen Einsteinstraße 42 erinnern zwei Gedenktafeln an die Brauerfamilie Schülein. Ihre Verdienste würdigt das Bier und Oktoberfestmuseum München (BOM) in seiner neu gestalteten Dauerausstellung. Das Münchner-Kindl-Bräu wurde 2022 vom Gastronomen Dietrich Sailer wiederbelebt, der sich das ungenutzte Markenrecht von der Anheuer-Busch-InBev-Gruppe sicherte. In Obergiesing soll bis 2024 eine neue traditionsorientierte Erlebnis-Brauerei mit einem integrierten Museum entstehen, das sich auch dem Brauereibesitzer und Philanthropen Josef Schülein widmen wird.


Aus der Serie „Gesichter unseres Landes“ von der Hanns-Seidl-Stiftung.

(Maximilian Mihatsch | Patrick Charell)

Literatur

  • Elisabeth Schinagl: Der Bierkönig von München. Romanbiographie. München 2022.
  • Richard Winkler: Ein Bier wie Bayern. Geschichte der Münchner Löwenbrauerei 1818-2003. Neustadt an der Aisch 2016 (= Veröffentlichungen des Bayerischen Wirtschaftsarchiv 4).
  • Bernhard Purin: „My Beer is Rheingold – the dry Beer. Die Liebmanns, Hermann Schülein und Miss Rheingold. In: Lilian Harlander / Bernhard Purim (Hg.): AK Bier ist der Wein dieses Landes. Jüdische Braugeschichten. München 2016, S. 207-236.
  • Lilian Harlander: „Von den Münchner Bieren kommt hauptsächlich Löwenbräu in Frage“. Die Familie Schülein im Münchner Braugewerbe. In: Lilian Harlander / Bernhard Purin (Hg.): AK Bier ist der Wein dieses Landes. Jüdische Braugeschichten. München 2016, S. 139-190.
  • Werner Ebnet: Sie haben in München gelebt. Biografien aus acht Jahrhunderten. München 2016, S. 545.
  • Alexander Kluy: Jüdisches München. Wien 2009.
  • Miriam Magall: "Wie gut sind deine Zelte, Jakob …!". Spaziergänge im jüdischen München. München 2008.
  • Jutta Ostendorf: Die Richard-Wagner-Straße in München. München 2007.
  • Christl Knauer-Nothaft / Erich Kasberger: Berg am Laim. Von den Siedlungsanfängen zum modernen Stadtteil München. München 2007.
  • Hermann Wilhelm: Die Schüleins. Aufstieg, Enteignung und Flucht. Zur Geschichte einer jüdischen Brauerei-Familie in München. München 2000.
  • Anonym: Zur Abwehr und Aufklärung. Die Unionsbrauerei contra "Münchner Bier-Chronik". In: Münchner Bier-Chronik Jg. 2 (04.10.1905), S. 2f. (BSB 4 Bavar. 3110-m 1904/13#1905).
  • Anonym: Münchner Bierometer. In: Münchner Bier-Chronik Jg. 2 (10.08.1905), S. 1 (BSB 4 Bavar. 3110-m 1904/13#1905).
  • Anonym: Die Unionsbrauerei und ihre Schutzpatronin "D' Schützenliesl". In: Münchner Bier-Chronik, Jg. 1 (08.12.1904), S. 6 (BSB 4 Bavar. 3110-m 1904/13#1904).

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