Anonym: Die Unionsbrauerei und ihre Schutzpatronin "D' Schützenliesl". In: Münchner Bier-Chronik, Jg. 2 Nr. 1 (14.01.1905), S. 6. Bayerische Staatsbibliothek München, 4 Bavar. 3110 m-1904/13.
Vorbemerkung
Rechtlich geschützte Bildmarken (auch Schutzmarke oder Signet) entstanden als Warenzeichen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Das Hofbräu ließ sich 1874 als erste Münchener Brauerei eine Bildmarke patentieren. Die übrigen Brauereien zogen in den 1880/90er Jahren nach. In Verbindung mit dem Qualitätsbegriff "Münchner Bier" wurden diese Marken für den Export immer wichtiger, weil sie bei Konsumenten einen Wiedererkennungswert und damit positive Gefühle auslösen. Noch beschränkte sich ihre Verbreitung materialbedingt auf Wirtshausschilder, Plakatwerbung und die Zinndeckel der Bierkrüge.
Joseph Schülein, ein jüdischer Hopfenhändler und Bankier aus Thalmässing, war nach München übergesiedelt und hatte dort 1895 das Unionsbräu gegründet. Im Dezember 1904 konnte er die Münchner-Kindl-Brauerei an der Rosenheimer Straße übernehmen. Das Signet dieser Brauerei war seit 1882 die "Schützenliesl", ein populäres Motiv des Malers Friedrich August von Kaulbach (1850-1920). Die Eigentumsrechte wurden jedoch bislang eher kulant gehandhabt, denn die "Schützenliesl" galt in München fast schon als Allgemeingut. Nach der Fusion pochte aber Joseph Schülein auf sein Exklusivrecht und klagte vehement gegen jede unautorisierte Nutzung. Der erste Prozess wurde zum Stadtgespräch, wobei sich die nachvollziehbare Kritik an Schüleins Vorgehen mit dem Geschäftsneid der übrigen Brauer und judenfeindlichen Ressentiments vermengten.
Die Redaktion der "Münchner Bier-Chronik" nutzte den Prozess für einen heftigen Angriff auf Joseph Schülein und verunglimpfte sein Unionsbräu gleich auf der Titelseite als fades "Dividendenwasser". Im Leitartikel derselben Ausgabe wurde ihm mit beißendem Sarkasmus vorgeworfen, dass Anwälte seinen Erfolg erzwingen müssten, weil die Qualität des Bieres zu schlecht sei. Das (frei erfundene) Zitat zu Beginn des Artikels soll einen jiddischen Dialekt wiedergeben, so als ob Schülein kein Hochdeutsch sprechen konnte. Überhaupt ist der gesamte Artikel von einem sehr vulgären Antisemitismus durchsetzt: "Sobald das Weibsbild [die Schützenliesl] einmal "jüdisch" geworden, beschnüffelt sie kein räudiger Hund mehr, viel weniger ein ächter Bajuware".
Auf Grund dieses Artikels verklagte Joseph Schülein die Redaktion wegen Beleidigung und gewann den Prozess. Die Zeitschrift wechselte daraufhin den Kurs, bis zu ihrer Einstellung im Jahr 1914 lobte sie die Unionsbrauerei bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Quellentext
"Gott wie haißt! Haben mer ünsere "Schützenliesl" da herfür, daß son Hund von Gannes, der niemals einen klanen Tropfen von üns kaft, as sün haus gemolen hat in Del mit so schöne Wadeln grad wie die ünsrigen! Kapaures soll er geh'n der Gannes! Josegeh' zu Bruders Sohn und laß ihn verklagen bei's Gericht, eings'pirrt muß er werde und abreißen solln's ihm's Haus mit der Feuerwehr, wir bezahlen's und net a!["]...
In der Heßstraße befand sich seit Jahren an dem Hause eines Gastwirths als Schild: die Schützenliesl. Weil der Wirth seinerzeit nun kein Freund von Unionsbier war, dafür Löwenbräu hatte, klagte die Unionsbrauerei auf Ent[fernung] "der Schützenliesl", desgleichen mußten sämtliche Krug- und Glä[s]erdeckel, auf welcher die Schützenliesl geprägt war, entfernt werden. Das Urtheil fiel zu Ungunsten des Beklagten aus und hatte dieser außer den nicht unbedeutenden Prozeßkosten auch einen kollossalen materiellen Schaden durch die Entfernung des Schildes und der Trinkgeschirrdeckel. In obiger Wirthschaft werden monatlich druchschnittlich 150 Hektoliter Bier verzapft, hätte der Wirth Unionsbier genommen, dann hätte er sein Schild und die Krugdeckel behalten dürfen; im Falle aber, wenn er wirklich Unionsbier ausschenken würde, was ganz ausgeschlossen ist, würden höchstens monatlich 30 Hektoliter verzapft, da im dortigen Viertel das Unionsbier nicht beliebt ist. Dieses Beispiel diene den anderen Herren Brauereibesitzern zum Spiegel, wie "kollegialisch" die Unionsbrauerei auf die Hektoliterjagd geht!
Die betreffende Wirtschaft heißt nun: "Schützenlist". Von befreundeter Seite wird an uns die Frage gerichtet, ob die Unionsbrauerei auch die Pfeifenköpfe des Rauchklubs "Schützenliesl" beschlagnahmen kann, weil auf diesen auch die "Schützenliesl" gemalt ist? – Wir können Ihnen rathen, so schleunigst als möglich die "Schützenliesl-Pfeifenköpfe" abzuschaffen, denn sobald das Weibsb[i]ld einmal "jüdisch" geworden, beschnüffelt sie kein räudiger Hund mehr, viel weniger ein ächter Bajuware.
Frau Paperl, eine komische alte "Jungfer", hatte vor vielen Jahren von einem "stillen Verehrer" zum Geburtstage ein sehr diskretes Toilettengeschirr erhalten, auf dem Boden desselben war ein großes Auge in schönen Farben eingebrannt. Frau Paperl war über dieses "sinnige" Geschenk so entzückt, daß sie den netten Topf mehr als gewöhnlich benützte, dieweil sie der Ansicht war, daß ihr "stiller Verehrer" seine Gefühle durch das Auge im Topfe ausdrücken wollte. Doch kurz war die Freude und lang der Schmerz: Dieweilen der Krug nur so lange zum Brunnen geht bis er bricht, geschah auch hier das Unglück: Der "Geburtstagstopf" entglitt den Händen der zitternden Jungfer und – Scherben langen rings umher! Frau Paperls neuer "stiller Verehrer" trocknete die Thränen durch Ueberreichung eines anderen Topfes, in welchem zwar kein einzelnes Auge, wohl aber die dralle Figur der "Schützenliesl" eingeprägt war. Frau Paperl befindet sich noch heute im Besitze ihres "Schützenliesltopfes" und wollen wir der "Unionsbrauerei" gern ihre Adresse verrathen, wenn sie auch hier den Topf beschlagnahmen will. Frau Paperl, ein grimmiges Weibsen, wird den Inhalt gratis spenden.
(Vorbemerkung und Transkription von Patrick Charell)