Zollbuch des Stadtschreibers Conrad Horn nebst Judenordnung. Nördlingen, 1423. In: Nördlinger Stadtrechte des Mittelalters. Bearb. v. Karl Otto Müller f. d. Kommission für Bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München 1933 (= Bayerische Rechtsquellen 2), S. 112f.
Vorbemerkung
Seit dem 13. Jahrhundert besaß die schwäbische Reichsstadt Nördlingen fast durchgehend ein sogenanntes Judenregal, konnte also Schutzjuden bei sich aufnehmen. Nach einer grausamen Verfolgung im Jahr 1384 war das einst blühende jüdische Leben zwar erloschen, doch bildete sich ab 1401 durch ein Privileg des römisch-deutschen Königs Ruprecht I. von Wittelsbach (reg. 1400-1410) eine neue Gemeinde mit einem eigenen Rabbinat.
Ab 1401 wurde ihr die Synagoge in der Judengasse (Haus Nr. 830) zur Miete überlassen. Im Jahr 1415 wurde auf dem Henkelberg, dem ehemaligen Galgenberg, ein jüdischer Friedhof angelegt. Die Gemeinde stand unter dem Schutz der Stadt und des Reiches; deshalb wurden die Einnahmen aus ihren Abgaben entsprechend aufgeteilt. Alle Jüdinnen und Juden erhielten das Bürgerrecht zugesprochen.
Die Bedingungen hierfür, und weitere Aspekte des alltäglichen Miteinanders finden sich in einem Zollbuch des Stadtschreibers Conrad Horn aus dem Jahr 1423. Die Nördlinger Judenordnung orientierte sich in Fragen des Pfandrechts am Schwabenspiegel. Hingegen zählte die jüdische Selbstverwaltung (mit einem unabhängigen Rabbinatsgericht) zu den alten Gewohnheitsrechten der Reichsjudenschaft.
Bei Streitfragen zwischen Christen und Juden sollten sich letztere jedoch nur an ein kaiserliches bzw. das städtische Gericht in Nördlingen wenden. Die Reichsstadt und seine Gebiete lagen als Enklaven im Herrschaftsbereich der mächtigen Grafen von Oettingen. Ein eigener Passus verneint der jüdischen Bevölkerung ein Mitspracherecht, sollten das Haus Oettingen und der Nördlinger Stadtrat neue Zinssätze vereinbaren.
Quellentext
[II.13.] Von den Juden
Nota juden zu gebraben haben die rete erkennet: weliche jude hie in dem äcker an dem Henckelberge ligen will, da sol ieder jude, der alt ist, umb die grebnüß der stat geben 2 gülden und ein kint ein gülden. Actum in die exaltationis sancte crucis anno etc. XXIIIo [14. September 1423]. Ist aber ein alter jude fremde, daz ist ein gats, 4 guld. Und ein fremds kint 2 guld.
[II.13.] Bezüglich der Beerdigung von Juden haben die Stadträte beschlossen: Welcher Jude hier auf dem Friedhof am Henckelberg liegen will, da soll jeder Jude, der alt ist, für das Begräbnis der Stadt 2 Gulden bezahlen, und ein Kind einen Gulden. Beschlossen am Tage der Erhebung des Heiligen Kreuzes des Jahres etc. 23. [14. September 1423]. Ist aber ein alter Jude [stadt-]fremd, macht das 4 Gulden, und ein fremdes Kind 2 Gulden.
[14.] Die jüdenschuole. Ist den juden verlihen des jars umb 20 gülden.
[14.] Die Judenschule [Synagoge]. Ist der jüdischen Gemeinde für 20 Gulden Jahresgebühr verliehen [d.h. gestattet].
[15.] Das hie nach geschriben stet, das sol ein ieglicher jude, der bürger werden will, halten.
Es ist zu wissen, das wir nachgeschriben jüden mit den ersam wissen bürgermeistern und bürgern des rates der stat Nordlingen unsern liben herren mit bedachtem und gutem willen uberkumen sein und sint des heilgen richs und irr stat bürger worden mit dem underscheide und auch ieglicher sulche zit und auch in ze thun und auch ze halten, als hie nach geschriben stet.
[15.] Was hiernach geschrieben steht, das soll ein jeglicher Jude, der Bürger werden will, einhalten.
"Es ist zu wissen, dass wir nachgeschriebene Juden mit den ehrsamen, weisen Bürgermeistern und Bürgern des Rates der Stadt Nördlingen, unseren lieben [Schutz-]Herren, mit bedachtem und gutem Willen übereingekommen sind, und des Heiligen Reiches und ihrer Stadt Bürger wurden, mit dem Unterschied und auch in jeglicher solcher Zeit und auch im Tun und auch im Verhalten, als es hiernach geschrieben steht.
Und ist dem also: Wir alle und unser ieder und auch unser ieglichs wip sollen und wollen soliche zit und jare als wir bi in sitzen und burger worden sein, in gehorsam sin, ir und irr stat gesetze und gebote halten. Und wir und unser ieder sollen in und irer stat die zit ie des jars uf sant Mertins tag ze stüre und ie uf sant Johans Baptiste tag ze sünwenden von der schuole geben sümliche gelt, als denn in irr stat rechenbuche geschriben stet. Und auch recht geben und nehmen umb sachen, die sich zwischen in oder den iren und uns und unsern wiben oder den unsern die zit verlaufen vor des heilgen richs und irr stat amman und gerichte oder vor in und das nirgent anders bringen.
Und ist dem also so: Wir alle und jeder von uns und auch alle unsere Ehefrauen sollen und wollen solche Zeit und Jahre, als wir bei ihnen sitzen [= niedergelassen] und Bürger geworden sind, ihnen gehorsam sein, [und] ihrer und ihrer Stadt Gesetze und Gebote einhalten. Und wir und jeder von uns sollen ihnen und ihrer Stadt jedes Jahr am Sankt Martinstag als Steuer, und an Sankt Johannistag zur Sonnwende als Gebühr für die Synagoge [siehe 14.] eine Summe Geldes zahlen, wie sie im Rechnungsbuch ihrer Stadt festgelegt ist. Und alle Rechtsstreitigkeiten, die sich innerhalb dieses Zeitraums zwischen ihnen oder den ihren, und uns sowie unseren Ehefrauen oder unseren Angehörigen ereignen, [werden wir] vor des Heiligen Reiches und ihrem städtischen Amtmann und Gericht, oder vor ihnen [= der Bürgerschaft] und nirgendwo anders bringen.
Was sich aber sache die zit zwischen uns juden verliefe, da so mochten wir uns selbs mit einander verainen und richten, doch daz wir und unser ieder ie sollen usdingen und auch ie ausgedingt sol sein und auch behalten sol sein, es sei von frevel oder ander sache obgenanten bürgern und des richs und irr stat amman und gerichte irer rechte, wann wir oder unser ieder ie von in fürgefordert würden, sollten wir, unser wip und unser ieder ie des liden und tuon, was vor obgnantem gerichte oder von in im rechten gesprochen und erkannt würde on alle wiederred.
Bei innerjüdischen Rechtsstreitigkeiten möchten wir selbst miteinander zusammenkommen und [darüber] richten. Doch dass wir und jeder von uns je sollen ausdingen und soll auch je ausgedungen und auch behalten sein, es sei wegen Frevels oder eine andere Sache, die zu den Rechten der obengenannten Bürgern und des Reiches und ihrer Stadt Amtmann und Gerichte zählt, wenn wir oder jeder von den unsrigen hierfür vorgeladen würden, sollten wir, unsere Ehefrauen und unserer jeder das leiden und tun, was vor dem obengenannten Gericht oder von ihr [= der Bürgerschaft] rechtmäßig geurteilt und erkannt würde, ohne alle Widerrede.
Und wir und unser wiber sollen in und den iren ie ein gulden umb pfennig und 2 lib. Umb ein heller lihen, aber andern, als die mit uns uberkumen. Ob aber ietz oder hernach doe von Ötingen mit obgenanten burgern uberkemen als von juden lihens wegen, wie daz uberkümen wer, wollten wir auch halten.
Und wir und unsere Ehefrauen sollen ihnen und den ihren einen Gulden um einen Pfennig Zins leihen, und Auswärtigen 2 Pfund um einen Heller. Wenn aber jetzt oder später die [Grafen] von Oettingen mit den oben genannten Bürgern neue Zinssätze für den jüdischen Geldhandel beschließen, wollen wir [uns] auch an dieses Übereinkommen halten.
Und unser keiner en sollen niemans halten noch bi uns haben, der uf gesuche lihe, er habe sich dann vor mit obgnanten bürgern verainet.
Und keiner von uns soll niemanden beschäftigen, noch bei uns haben, der ohne Pfand leiht, es sei denn er hätte sich vorher mit der obengenannten Bürgerschaft darüber verständigt.
Auch wollen wir noch unser wip nit lihen uf zerbrochen kelche, plutig haße, naß hüte, harnasch, daz der stat burger zugehort und ungearbeitet bawnwolle und barchen garn und ungezaichent geslachtgewanden tuoche, und ungezaichent loden und weinschencken, die der weinschenken zeichen haben. Und ob wir aber uf deheinslihen, wollten wir umb sust wider geben und darzuo strafe liden als sie erkennen.
Auch wollen wir, noch unsere Ehefrauen nicht zerbrochene Kelche beleihen, [noch] blutige Habe, nasse Hüte, Rüstzeug aus dem städtischen Zeughaus, rohe Baumwolle und Barchent-Garn und unmarkiertes feines Tuch, und unmarkiertes Lodentuch und Weinkrüge, die das Zeichen der Weinschenken haben. Und wenn wir aber darauf leihen, wollten wir es umsonst wiedergeben und dazu eine Strafe leisten, wie sie [die Bürgerschaft] beschließt.
Und dis alles und iedes hat unser ieder für sich und sein wip mit sein hantgebenden trüen an eins judischen eids stat gelobt, war und stet ze halten und nit da wider ze thuen in kein wise.
Und dieses alles und jedes hat jeder von uns für sich und seine Ehefrau mit seiner Unterschrift an eines jüdischen Eides statt gelobt, wahr und stets zu halten und auf keine Weise dagegen zu handeln."
Actum et datum nach christenlicher zale tüsent virhundert und im dreiunddrissigsten jare.
[lat. Beschlossen und ausgehändigt] nach christlicher Zeitrechnung im tausendvierhundert und dreißigsten Jahr.
(Transkription nach Karl Otto Müller | Vorbemerkung und Edition von Patrick Charell)