Vorbemerkung
Die "Armleder-Verfolgungen" waren eine Aufstandsbewegung bäuerlicher und städtischer Unterschichten. Vom 29. Juli 1336 bis März 1338 verübte ein plündernder Mob von "Judenschlägern" im Südwesten des Heiligen Römischen Reiches schwere Massaker an jüdischen Gemeinden. Die erste Phase der Verfolgung begann in Röttingen und erfasste vor allem das Bistum Würzburg, wo viele Weinbauern, Handwerker und niedere Adelige von jüdischen Krediten abhängig waren. Als Initiator und erster Anführer gilt der verarmte Ritter Arnold III. von Uissigheim (um 1298?-1336). Sein Kampfname "König Armleder" bezog sich wohl auf eine günstige Lederrüstung und wurde später zu einem Pseudonym für die Hauptleute des Aufstands.
Das adelige Ministerialengeschlecht der Uissingheimer ist 1128 erstmals urkundlich belegt. Sie benannten sich nach ihrer Burg im Dorf Uissingheim, heute ein Ortsteil von Külsheim (Baden-Württemberg). Bis zu ihrem Aussterben im Jahr 1526 waren die Ritter von Uissingheim Lehensträger der Mainzer Erzbischöfe, daneben hohenlohische und wertheimische Vasallen, auch Domherren zu Würzburg und Mönche in Bronnbach.
Ritter Arnold wurde zusammen mit weiteren Familienmitgliedern am 24. November 1332 verurteilt, weil sie das Wertheimer Geleitrecht missachtet und Händler auf der Landstraße ausgeraubt hatten (StA Wertheim, Urkundenarchiv XIII/124). Arnold der Jüngere musste als Haupttäter für zehn Jahre ins Exil gehen und durfte Wertheimer Gebiet nicht mehr betreten. Im Juli 1336 stand der vagabundierende Raubritter in Rothenburg vor Gericht, weil er seine Schulden bei jüdischen Kreditgebern nicht bezahlen konnte.
In Mergentheim und Weikersheim (heute Baden-Württemberg), Aub und Kitzingen wurde die jüdische Bevölkerung grausam ermordet. Mehrmals rannte das rund 3000 Mann starke Heer der "Judenschläger" gegen die Stadt Tauberbischofsheim an, ohne sie einnehmen zu können. Ein Würzburger Bürgeraufgebot überwältigte schließlich bei Kleinochsenfurt den Armlederhaufen. Dabei geriet "König Armleder" in Gefangenschaft und wurde dem bischöflichen Zentgericht Kitzingen zur Aburteilung übergeben: Nicht wegen der zahllosen Morde, sondern weil er im Namen des Kaisers Gelder erpresst hatte. Am 14. November 1336 wurde Ritter Arnold von Uissingheim mit dem eigenen Schwert enthauptet. Ein Jahr später flammte der Aufstand erneut auf und wurde erst in Lothringen durch ein kaiserliches Aufgebot endgültig niedergeschlagen. Als Nachläufer der Armleder-Verfolgungen gelten die regionalen Pogrome, die zu Ostern 1338 von Pulkau in Niederösterreich und im Oktober 1338 vom Deggendorf in Niederbayern ausgingen.
Zeitgenössischen Chroniken verbrämten den Raubritter Arnold zumeist als frommes Werkzeug einer göttlichen Gerechtigkeit: Sein Motiv sei eine Gotteslästerung der Juden in Rothenburg gewesen, und nur durch den bezahlten Verrat seines Schutzherren, des Grafen Gottfried III. von Hohenlohe-Brauneck (1306-1354), hätte man ihn überwinden können. Möglicherweise sollte auch gezielt ein Märtyrerkult entstehen. In der Pfarrkirche von Uissigheim hat sich das Epitaph von Ritter Arnold erhalten, das ihn mit gefesselten Händen zeigt. An den Unterarmen trägt er lederne Armschienen. Eine kleine Figur führt den Schwertstreich, der den Kopf vom Hals trennt. In diesen Kontext gehört auch eine volkstümliche Sage, wonach Arnold von Juden ermordet worden sei, worauf sich an seinem Grabe schon nach kurzer Zeit Wunder ereignet hätten. Daher wurde die Pfarrkirche jahrhundertelang von Heiligblut-Wallfahrern auf dem Weg nach Waldürn besucht.
Quellentexte
Chronik des Heinrich Truchsess von Dießenhofen, Konstanz ca. 1330-1361. Aus: Fontes rerum Germanicarum, Bd. 4: Heinricus de Diessenhofen und andere Geschichtsquellen Deutschlands im späterem Mittelalter. Hg. v. Alfons Huber. Stuttgart 1868, S. 28.
Anno [1338] mense Ianuarii seva persecutio contra Iudeos insurrexit in dyocesi Argentinensi et Basiliensi, ut quasi omnes, qui errant extra predictas civitates infra octo dies necarentur, nob ob aliud nisi quod eis bona temporalia auferre volebant occisores eorum. Similis autem persecutio et eodem anno Iudeis accidit per Austriam et Stiriam. Fuit autem incepta primo anno domini m.ccc.xxx.vi. in diocese Herbipolensi, et inde in Moguntinensi et aliis ibidem locis […].
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Im Jahr [1338], im Monat Januar, kam es zu einer schweren Verfolgung der Juden in den Diözesen Straßburg und Basel, so dass alle, die sich außerhalb der oben genannten Städte befanden, innerhalb von acht Tagen aus keinem anderen Grund getötet wurden, als der, dass ihre Mörder ihnen die irdische Habe rauben wollten. Eine ähnliche Verfolgung ereignete sich im selben Jahr auch gegen die Juden in Österreich und der Steiermark. Aber alles begann im Jahres des Herrn 1336 in der Diözese Würzburg, und von dort breitete es sich nach Mainz und andere Ort in der Region aus […].
Chronicae S. petri Erfordiensis moderna, Continuato III, Erfurt 14. Jahrhundert. In: Scriptores Rerum Germanicarum. Monumenta Erphesfurtensia saec. XII., XIII., XIV. Bearb. v. Oswald Holder-Egger. Hannover / Leipzig 1899 (= MGH SS rer Germ 42), S. 375f.
Anno Domini MCCCXLIII [falsche Jahreszahl] interfecti fuerunt Iudei in civitate Rotingen [Röttingen], item in civitate dicta Augia [Aub], item in Bischofsheym et in multis civitatibus aliis et villis, quarum persecucionum inciator et capitaneus fuit quidum miles de Usinkheim, qui stans in civitate Rotinburc [Rothenburg o.d. Tauber] cum multis aliis nobilibus in quodam placito cum Iudeis, cum corpus Christi deferebatur in platea, et Christiani, ut dignum est, genu flecterent coram sacramento. Iudei iniqui ad domum quondam declinantes, pr[a]efato milite audiente, blasphemando proruperunt in hec verba seculis inaudita: “Sustineamus, quousque canis impudicus deferatur". Que verba ut audivit miles pr[a]efatus, per ipsum corpus Christi iuravit omnibus viribus se laborare velle pro morte Iudeorum: quod ita factum est. Tandem Iudei convenerunt dominum Gotfridum de Hohenloch pro CCCC libris hallensium, ut ipsum caperet; qui tandem captus eductus fuit in Rotingen, ibidimque domino decano confessione pura sepissime facto, ab ipso corpore et sangwine Domini devotissime permissus est communicari: sed heu! tandem in comunitatem Kyczingen deductus ibidem decollatus est, qui in suam villam silicet Ussenkeym, delatus et in ecclesia sepultus innumeris claruit miraculis.
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Im Jahr des Herrn [1336] wurden die Juden in der Stadt Röttingen umgebracht, auch in der Stadt die da heißt Aub, auch in Bischofsheim und in vielen anderen Städten und Dörfern. Der Anstifter und Anführer dieser Verfolgung war ein gewisser Ritter von Uissigheim, der zusammen mit vielen anderen Adeligen an jenem Ort mit Juden beisammenstand, als der Leib Christi [die Hostie] an der Menge vorbeigetragen wurde und die Christen, wie es würdig ist, das Knie vor dem Sakrament beugten. Während sich die schändlichen Juden in ein Haus zurückzogen, stießen sie in Hörweite des besagten Ritters gotteslästerliche Worte aus, wie sie seit Jahrhunderten nicht mehr gehört wurden: "Wir wollen ausharren, bis man den unreinen Hund weggeschafft hat". Als der besagte Ritter diese Schmähung hörte, schwor er beim Leib Christi, dass er bereit sei, mit aller Kraft nach dem Tod der Juden zu streben: Was auch so geschehen ist. Schließlich kamen die Juden mit Herrn Gottfried von Hohenlohe für 400 Pfund Heller überein, dass er diesen ergreifen sollte. Er wurde zuletzt gefangen genommen und nach Röttingen gebracht, wo ihm, nachdem er er vor dem Herrn Dekan eine äußerst reine Beichte ablegt hatte, die Kommunion mit dem Leib und Blut Christi gewährt wurde: Aber wehe! zuletzt wurde er in der Stadt Kitzingen verbracht und dort enthauptet, [dann] in sein Dorf namens Uissingheim überführt und in der Kirche begraben, wo er für zahllose Wunder berühmt wurde.
Bischofschronik von Lorenz Fries, Würzburg 1546. In: Chronik der Bischöfe von Würzburg 742-1495, Bd. II: Von Embricho bis Albrecht III. von Heßberg (1137-1379). Bearb. v. Christoph Bauer u. a. Würzburg 1994 (= Fontes Herbipolenses II), S. 298f.
In dem obberürten 1336. jare vf Montag den neun vnd zwaintzigisten tag des Haimonds, dergleichen am nachuolgenden dinstag vnd mitwochen entboret sich der gemein man zu Rotingen, Awe, Mergethaim, Vffenhaim, Craütheim vnd andern mer orten vnd erschlugen die juden bey inen. Vnlang dornach rottirten sich auch vil des selben poüels zusamen vnd zogen mit werender hand aüs, in mainung, die jüden im gantzen lande zu uertilgen vnd aüszureüten; si zogen anfangs vf Kitzingen, vnd wiewol die burgermaistere vnd rathe daselbst die nit einlasen wollten, sunder die thoire vor jnen zuschlügen, so namen doch die gemainen burgere den burgermeisteren die schlussel zun thoren mit gewalt vnd offneten die wider; also ruckte der vnsinnig hauffe jn die stat Kitzingen vnnd erschlugen lle juden darjnnen. Da solchs bescheen, beschlossen si mit ain ander, den nechsten gein Wirtzburg zu ziehen vnd daselbst gleicher gestalt, wie si zu Kitzingen gethan, auch zu handlen. Aber die burgere zu Wirtzburg, so ire juden selbst geplundert vnd geschatzt heten, wollten des angeregten wutenden hauffens zu Wirtzburg nit erwarten, sunder zogen den selbigen bis gein Clainochsenfurt entgegen, erlegten dero vil, fingen siben vnd virtzigk vnd fureten die gein Wirtzburg; die vberigen flogen hinweg vnd theten sich wider anhaims.
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In dem oben angeführten Jahr 1336, auf Montag den neunundzwanzigsten Tag des Heu-Monats [Juli], dergleichen am nachfolgenden Dienstag und Mittwoch empörte sich das einfache Volk zu Röttingen, Aub, Mergentheim, Uffenheim, Krautheim und anderer mehr Orten, und erschlugen die Juden bei ihnen. Kurz danach rotteten sich auch viele desselben Pöbels zusammen und zogen mit bewaffneter Hand aus, in der Meinung, die Juden im ganzen Lande zu vertilgen und auszurotten; sie zogen anfangs auf Kitzingen, und wiewohl die Bürgermeister und Ratsherren daselbst diese nicht einlassen wollten, sondern die Tore vor ihnen zuschlugen, so nahm doch die städtische Unterschicht den Bürgermeistern die Schlüssel zu den Toren mit Gewalt ab und öffneten sie wieder: Auf diese Art gelangte der unsinnige Haufen in die Stadt Kitzingen und erschlug alle Juden darin. Da solches geschehen, beschlossen sie mit einander, als nächstes gegen Würzburg zu ziehen und daselbst auch auf gleiche Art zu handeln, wie sie es in Kitzingen getan. Aber die Bürger zu Würzburg, so sie ihre Juden selbst geplündert und ausgepresst hätten, wollten den aufgestachelten wütenden Haufens nicht zu Würzburg erwarten, sondern zogen selbigen bis nach Kleinochsenfurt entgegen, töteten deren viele, fingen siebenundvierzig und brachten sie nach Würzburg; die übrigen flohen und kehrten nach Hause zurück.
(Vorbemerkung von Patrick Charell)