Bereits 1290 wurden Juden in der Reichsstadt Nördlingen das Ziel gewalttätiger Ausschreitungen. Im Rintfleisch-Pogrom 1298 wurden laut einem Eintrag im Nürnberger Memorbuch acht Nördlinger Juden ermordet. In der Folgezeit hatte die Gemeinschaft offenbar wieder eine relevante Größe erreicht, denn das um 1300 verfasste Stadtrecht enthielt einen Passus, der das Pfandrecht für ansässige jüdische Geldhändler regelte. Das erste nachweisbare Wohnhaus, das auch einen Betraum beherbergte, befand sich am heutigen Brettermarkt 4. Kaiser Ludwig der Bayer (reg. 1314-1347) verpfändete im Jahr 1324 die Judensteuer von Nördlingen und Ulm an die Grafen von Oettingen, neun Jahre später stellte er die Gemeinde wieder unter seinen besonderen Schutz.
Die "Judenschaft" von Nördlingen besaß wie jene in Augsburg das kaiserliche Privileg der peinlichen Gerichtsbarkeit über fremde Juden. Am 21. November 1331 gewährte Kaiser Ludwig IV. der Bayer (reg. 1314-1347) den Juden in Nördlingen eine eigene Strafgerichtsbarkeit, mit dem Recht Leibstrafen anzuwenden. Im Pestjahr 1348 kam es in der Stadt zu antisemitischen Ausschreitungen. Während des Pogroms wurden hier wie andernorts Juden ihres Besitzes beraubt, gefangengesetzt und ermordet. Dazu kam, dass die Grafen von Öettingen den Nördlinger Bürgern erlaubten, ihre Schulden bei den jüdischen Geldgebern einfach zu streichen. Im Pestpogrom erlosch die Gemeinde, doch bereits zum Jahresende erlaubte der römisch-deutsche König und spätere Kaiser Karl IV. (reg. 1346-1378) der Reichsstadt erneut die Aufnahme von Juden. Daraufhin bildete sich bis spätestens 1357 wieder eine Kultusgemeinde. Den Beweis dafür liefert das Nördlinger Urkundenbuch, das für dieses Jahr erstmals wieder eine Synagoge erwähnt. Dieser Sakralbau stand an der Westseite der Judengasse (Haus Nr. 830, später D 15), die zwischen der alten Stadtmauer und dem Marktplatz lag.
Der Geldverleih blieb das wichtigste Geschäft der Nördlinger Juden. Zwei der wichtigsten Bankiers ihrer Zeit lebten damals in der Gemeinde: Von 1377 bis 1382 Anselm ben Meir aus Köln, und von 1382 bis 1384 ein Jäcklin aus Ulm.
Am 29. Juli 1384 verübte die Stadtbevölkerung ein schreckliches Massaker an den Juden in ihrer Mitte, erschlugen viele Menschen und raubten den Besitz. Mit einem Schlag war die aufstrebende Kultusgemeinde erneut vernichtet. Karls Nachfolger Wenzel von Böhmen (reg. 1376-1400) legitimierte im Nachhinein diese Tat, der Schwäbische Städtebund jedoch schloss Nördlingen ob dieser Tat aus seiner Gemeinschaft auf. Erst nachdem Anstifter des Pogroms aus Nördlingen ausgewiesen und eine hohe Geldstrafe geleistet hatten, wurde die Stadt wieder in den Bund aufgenommen. Die Synagoge in der Judengasse sowie einige der Gebäude aus einst jüdischem Besitz gingen 1393 als Schenkung der Stadt an den Hospitaliterorden des Hl. Antonius.
König Ruprecht I. von Wittelsbach (reg. 1400-1410) verlieh Nördlingen 1401 aufs Neue für zehn Jahre das Judenregal. So konnte sich wieder eine kleine Kultusgemeinde bilden, denn die wirtschaftlich bedeutende Reichsstadt zog trotz der vielen Gewalttaten weiterhin jüdische Geschäftsleute an. Anfang des 15. Jahrhunderts kauften Juden viele der 1384 beschlagnahmten Häuser wieder zurück; ab 1401 wurde ihnen die Synagoge in der Judengasse zur Miete überlassen. Dass in der neuen Gemeinde nicht immer nur eitel Sonnenschein herrschte, belegt ein jüdischer Urfehdebrief aus dem Jahr 1414. Auf dem Henkelberg, dem ehemaligen Galgenberg, wurde 1415 ein jüdischer Friedhof angelegt, den in der Folge auch benachbarte Gemeinden als Verbundfriedhof nutzten. Die Gemeinde stand nun unter dem Schutz der Stadt und des Reiches; deshalb wurden die Einnahmen aus ihren Abgaben entsprechend aufgeteilt. Alle erhielten das Bürgerrecht, wobei von Seiten des Magistrats immer wieder versucht wurde, die Bürgerverträge aufzukündigen. In einem Zollbuch aus dem Jahr 1423 ist die Nördlinger Judenordnung erhalten, die das wirtschaftliche und juristische Miteinander zwischen Christen und Juden bestimmte.
Die Nördlinger Kultusgemeinde bildete seit dieser Zeit ein eigenes Rabbinat und wuchs kontinuierlich: 1408 sind drei steuerpflichtige Haushalte verzeichnet, 1448 erhöhte sich ihre Zahl auf sieben. 1453 vertrieben sie auf diese Weise für die nächsten sechs Jahre alle Juden aus Nördlingen; danach verhinderte ein kaiserliches Schutzpatent weitere Ausweisungen. Im Jahr 1500 waren es elf Hausväter, die mit ihrem Anhang in der Stadt wohnten. Trotzdem gelang es den christlichen Bürgern nach langen Bemühungen und einer entsprechenden Geldzahlung, dass der römisch-deutsche König und spätere Kaiser Maximilian I. (reg. 1486-1519), der "Letzte Ritter", in Nördlingen "für alle Zeit" die Niederlassung von Juden verbot. Innerhalb von drei Monaten mussten die Juden in andere Orte ziehen, ihre Häuser und die Synagoge fielen dem Stadtrat zu, der sie in private Hände weiterverkaufte. In den nächsten 350 Jahren kam es nicht mehr zu längerfristigen Neuansiedlungen innerhalb der Stadtmauern, jedoch besuchten jüdische Kaufleute tageweise die Stadt und trieben regen Handel.
Die Reichsstadt Nördlingen fiel 1802/03 an das Kurfürstentum Bayern und verlor damit ihre Selbständigkeit. Das Bayerische Judenedikt von 1813 verlieh zwar grundlegende Rechte, sollte aber nach Möglichkeit die Neugründung jüdischer Ansiedelungen unterbinden und die Größe vorhandener Gemeinden limitieren. Daher blieb Nördlingen auch weiterhin den jüdischen Staatsbürgern verschlossen. Zwischen 1812 und 1830 fertigte der gebürtige Nördlinger Künstler und Karikaturist Johann Michael Voltz (1784-1858) eine Serie von Figurenserien an. Diese Bilderbögen zeigten antijüdische Stereotype aus verschieden sozialen Schichten und Berufen, wobei auch die lautmalerischen Namen zusätzliche Verleumdungen waren, z.B. "Koch – Esau Schmutzler".
Erst mit dem Recht auf frei Wohnorts- und Berufswahl im Jahr 1861 zogen vermehrt jüdische Familien in die Stadt, die durch einen überregionalen Bahnanschluss wirtschaftliche Perspektiven bot. 1867 hatten sich schon über 60 Jüdinnen und Juden in der Stadt niedergelassen; vier Jahre später lag ihre Zahl bei 176 Personen, im Jahr 1880 waren es 350. Im Jahr 1870 lebten genügend Juden in Nördlingen und Umgebung, damit sich mit staatlicher Billigung eine neue Kultusgemeinde bilden konnte. Sie schloss sich dem Wallersteiner Bezirksrabbinat an. Die Beerdigung der Toten erfolgte vorerst noch auf dem jüdischen Friedhof in Mönchsdeggingen, für den die IKG Nördlingen auf zehn Jahre ein Nutzungsrecht anmietete.
Bereits 1876/77 legte die Gemeinde aber einen eigenen Friedhof mit Taharahaus nach Plänen von Max Gaab, dem Leiter des Nördlinger Stadtbauamtes, am Nähermemminger Weg an (Stegmühlweg1).
Zur rituellen Reinigung stand der IKG die Mikwe in Kleinerdlingen zur Verfügung, bevor, ebenfalls unter Regie von Max Gaab, 1874/75 eine Mikwe gebaut wurde (An der Baldinger Mauer 11). Ab 1873 beschäftigte die Kultusgemeinde einen jüdischen Religionslehrer. Der Unterricht wurde seit April 1884 im Gasthaus "Kreuz", von 1888 an in der ehemaligen Hauptwache und ab 1891 im Schulgebäude B 1 erteilt. Die IKG Nördlingen erreichte 1895 mit fast 500 Personen (rund sechs Prozent der Stadtbevölkerung) ihre größte Mitgliederzahl. Viele der Juden hatten Anteil an dem großen Aufschwung von Wirtschaft und Industrie, den die Stadt in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte. Sie gründeten Fabriken, Großhandlungen und Konfektionsgeschäfte. Zum Beispiel waren die Steinwerke von Max Koppel (1840-1917) vor dem Löpsinger Tor im Norden der Altstadt mit rund 40 Mitarbeitern einer der größten Gewerbebetriebe. "M. Koppel & Söhne" fertigten Grabsteine für den gesamten süddeutschen Raum, die sie über einen eigenen Gleisanschluss verschickten. Das Zusammenleben von Christen und Juden gestaltete sich damals weitgehend harmonisch; z.B. nahmen jüdische Kinder am christlichen Religionsunterricht teil und christliche Kinder besuchten die Synagoge.
Die Mitgliederzahl der Nördlinger Gemeinde nahm ab der Jahrhundertwende permanent ab, da vor allem junge Generationen vermehrt in wirtschaftlich attraktivere Großstädte umzogen. Seit Ende 1909 konnte die Kultusgemeinde mit Erlaubnis der Stadt einen Raum in der Neuen Schranne (Bei den Kornschrannen 2) mietfrei für ihre Religionsschule nutzen. In diesem Jahr besuchten noch 48 Kinder den Unterricht. Im Ersten Weltkrieg 1914-1918 fielen insgesamt sieben Mitglieder der Kultusgemeinde. Für sie wurde eine Gedenktafel an der Synagoge angebracht; ein Kriegerdenkmal am Bahnhof ist allen Gefallenen der Kommune gewidmet. Im Jahr 1928 erhielt die IKG ein letztes mal Zuwachs durch die letzten fünf Jüdinnen und Juden aus Kleinerdlingen, die Nördlingen zugeteilt wurden. 1921/22 fand der Religionsunterricht in einem Zimmer des historischen Hallgebäudes statt (Weinmarkt 1).
Zu Beginn der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten im Jahr 1933 hatte die Kultusgemeinde Nördlingen noch rund 190 Mitglieder. Sie alle mussten in der Folgezeit wachsende Anfeindungen, Vandalismus und Hassbotschaften, Gewaltattacken, bis hin zur staatlich legitimierten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ausgrenzung erfahren (Nürnberger Rassengesetze 1935).
Einen traurigen Höhepunkt bildete die Zerstörung der Synagoge und Geschäften, sowie die Verhaftung von rund 30 jüdischen Männern während der Novemberpogrome 1938. Die arbeitsfähigen unter ihnen sowie die politisch aktiven kamen auf Wochen, teils Monate in das Konzentrationslager Dachau. Die Ritualien der Synagoge sind größtenteils verloren, einige Objekte sind im Jüdischen Museum Augsburg Schwaben und in Nordamerika ausgestellt.
Neben vielen anderen verließ daraufhin auch Hermann Strauß die Stadt, der Melamed und Chasan seiner Gemeinde. Die übrigen Gemeindemitglieder, immer noch rund 70 Personen, verkaufte im Jahr 1939 die Synagoge mitsamt dem Nebengebäude, die Mikwe, ein Grundstück bei der Bergermühle sowie die Wohnhäuser in der Kreuzgasse 3 und 5 an die Stadt. Nachdem noch bis Jahresende 1941 zahlreiche Jüdinnen und Juden ihre Heimat verlassen konnten, wurden die verbliebenen dann in auf engstem Raum in ein "Judenhaus" am Zeitblomweg, dann Am Grünen Meer 1 zusammengepfercht. Am 2. April 1942 deportierten die Machthaber 25 von ihnen erst nach München und dann in das Konzentrationslager Piaski bei Lublin, wie sie in der Shoah ihr Leben verloren. Die letzten fünfzehn (zumeist Senioren) wurden am 6. und 7. August 1942 in das Vernichtungslager Theresienstadt transportiert und dort umgebracht. Jungvolk und Hitlerjugend erhielten 1944 von NS-Bürgermeister Eugen Einberger den Auftrag, die Mauer des jüdischen Friedhofs abzureißen. Bei dieser Aktion wurden auch zahlreiche Grabsteine beschädigt. Später hat man viele als Baumaterial verwendet.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte nur eine jüdische Familie in ihre Heimatstadt zurück. 1947 waren elf Juden in Nördlingen ansässig. Der noch vorhandene ehemalige Besitz der jüdischen Gemeinde ging an die JRSO über. Sie verkaufte die Synagoge 1953 an die evangelische Kirchengemeinde, die sie in ein Büro- und Gemeindehaus umbaute (1996 abgebrochen). Der jüdische Friedhof wurde von der Stadt Nördlingen renoviert. Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern ließ hier 1979 einen Gedenkstein zur Erinnerung an die israelitische Kultusgemeinde Nördlingen aufstellen. Dem gleichen Zweck dient ein zehn Jahre später in der Judengasse errichtetes Mahnmal, gestiftet von der Firma Schenavsky. Anlässlich der Ausstellung "Geschichte und Kultur der Juden in Bayern" 1988/1989 erstellte das Haus der Bayerischen Geschichte eine Exkursion in Nordschwaben (Mönchsdeggingen-Nördlingen). Ab 2012 verlegte der Künstler Gunter Demnig (*1947) bislang 52 Stolpersteine zum Gedenken an die Nördlinger Opfer der Shoah. Im Jahr 2023 zeigte das Stadtmuseum Nördlingen die Sonderausstellung "Matzen täglich frisch..." Jüdisches Leben in Nördlingen 1860-1942. Ein ehemals Nördlinger Toraschild aus dem Jüdischen Museum Augsburg Schwaben wurde in der HdBG-Landesausstellung Barock! Bayern und Böhmen - Abteilung "Barock für alle" gezeigt und diente auch in einer inklusiven Taststation als Idealbeispiel barocker jüdischer Kunst. Die ehemalige Gemeinde ist auch Teil der digitalen Bavarikon-Sammlung Das jüdische Erbe Bayerisch-Schwabens. Kultur und Alltag des Landjudentums von 1560-1945, die 2025 mit einem Festakt in der Augsburger Synagoge online gegangen ist.
(Christine Riedl-Valder)
Bilder
Bevölkerung 1910
Literatur
- Angela Hager / Hans-Christof Haas: Nördlingen. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern, Schwaben. Erarbeitet von Barbara Eberhardt und Angela Hager unter Mitarbeit von Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Frank Purrmann. Lindenberg im Allgäu 2007, S. 511-521.
- Dietmar H. Voges: Die Anfänge der Nördlinger Judengemeinde im 19. Jahrhundert. In: Peter Fassl (Hg.): Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben II. Neuere Forschungen und Zeitzeugenberichte. Stuttgart 2000 (= Irseer Schriften 5), S. 145-160.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 246.
Weiterführende Links
- Das jüdische Erbe Bayerisch-Schwabens: Nördlingen (Bavarikon)
- Zeugnisse jüdischen Lebens in Nördlingen (digitale Sammlung von Bavarikon)
- Exkursion: Juden in Nordschwaben II (Haus der Bayerischen Geschichte)
- Archivalien zur Geschichte der Synagogen und Gemeinden in Bayerisch Schwaben (Jüdisches Museum Augsburg Schwaben)
- Gemeinde Nördlingen (Alemannia Judaica)
- Gemeinde Nördlingen (Alicke - Jüdische Gemeinden)