Jüdisches Leben
in Bayern

1414: Urfehdebrief aus Nördlingen

Sog. "Judenbrief" aus Nördlingen, 17. August 1414. Urkunde auf Pergament in deutscher Sprache mit hebräischen Unterschriften und den Siegeln der Nördlinger Bürger Georg von Herhein und Hans Slaiss. Stadtarchiv Nördlingen, NOE-D-0006 (Online auf Bavarikon).

Vorbemerkung

Ein großes Pogrom beendete im Jahr 1384 die jüdische Gemeinde in Nördlingen. König Ruprecht I. von Wittelsbach (reg. 1400-1410) verlieh der wirtschaftlich bedeutenden Reichsstadt im Jahr 1401 erneut für zehn Jahre das Judenregal. Aus den Familien einiger jüdischer Geschäftsleute bildete sich wieder eine kleine Kultusgemeinde. Die alte Synagoge, die schon vor 1348 an der Westseite der Judengasse stand, konnte sie vom städtischen Magistrat zurückkaufen.

Dass auch innerhalb einer "heiligen Gemeinschaft" (hebr. Kehillah) nicht immer eitel Sonnenschein herrschte, belegt diese Urkunde aus dem Jahr 1414: Anscheinend waren in der Synagoge mehrere Männer aneinandergeraten, es kam zu "Frevel und Vergehen in Worten", einer von ihnen zückte sogar in drohender Geste ein Messer. Bereits das "Messerzucken" an sich stellte im vorherrschenden Recht der damaligen Zeit eine ernste Straftat dar, auch wenn von der Waffe kein Gebrauch gemacht wurde. Über dieses Vergehen konnte nicht das unabhängige Rabbinatsgericht urteilen, sondern nur die christliche Obrigkeit – in diesem Fall die Reichsstadt Nördlingen selbst, weil sie auch Schutzherr der ansässigen Juden war. Ob sich der Fall aber tatsächlich so abgespielt hat, wie es in der Quelle berichtet wird, lässt sich heute nicht mehr feststellen.

Die drei Delinquenten Liebermann, Moses und dessen Sohn Salman verpflichteten sich mit der vorliegenden Urkunde zu einer "Urfehde". Damit gelobten sie, die festgelegte Strafe des Gerichts weder jetzt noch in Zukunft anzufechten, und auch gegenüber den jüdischen Zeugen keine Regressansprüche zu stellen. Im Falle eines Verstoßes akzeptierten sie eine Strafzahlung von weiteren 500 Goldgulden und nannten als Bürgen die jüdischen Gemeindemitglieder Liebermann von Weißenhorn und Moses von Dietfurt.

Quellentext

Ich Lieberman Jud zu den ziten zu Nördlingen gesessen Bekenn offenlich mit disem brief vor allermeniglichen Von der ufflöffe und kriege wegen die ich und Mosse und Salman sin Sun In unserer Synagog und schuole miteinander gehebt haben DarInn wir baiderseit frävel und unzuocht mit worten und werken getan haben Und als ich sunderlich min Messer geziucket und enplösset han.

Ich, der Jude Lieberman, damals in Nördlingen niedergelassen, bekenne öffentlich mit dieser Urkunde gegenüber jedermann wegen der Tumulte und Streitigkeiten, die ich und Mose und Salman sein Sohn in unserer Synagoge und Schule miteinander gehabt haben, wo wir beiderseits Frevel und Vergehen in Worten und Werken verübt haben und als ich insbesondere mein Messer gezückt und entblößt habe.

Und als wir von der selben frävel und unzuocht wegen baiderseit für die Burgermaister und Rät zu Nördlingen besendet und gefordert wurden Daz wir darumb zu buossze und straffe stan sölten nach dem als wir gefrävelt hetten, des aber die egenanten ander Juden die by der sache und by dem frävel In der schuol gewesen waren, daz die eyn warheit sagen sölten, Waz sie gesehen und gehört hetten, des komen wir obgenanten baide Party Ich und Mosse mit Wilkür übereyn daz wir des beliben wölten by den obgenanten zwayn Juden Falken und David, Waz die darumb zu geziugnüss sagten, Und Wie uns der Rat darnach sträffte, daz Wir des benügig sölten sin und gehorsamglich da by beliben des aber die obenanten Falk und David niht uff sich nehmen wollten, Es were denn daz wir bayderseit sie flisziglichen bätten Und In Sicherheit und Bürgschafft tätten, daz sie der sage und geziugnisse fürbaz ewiglich gen uns und allermeniglich aun zusprüche und engeltnüsse beliben.

Als wir wegen derselben Frevel und Vergehen beiderseits vor die Bürgermeister und Räte zu Nördlingen geladen wurden, dass wir deshalb zu Buße und Strafe stehen sollen gemäß unserem Vergehen. Dass aber die genannten anderen Juden, die bei der Sache und bei dem Frevel in der Schule gewesen sind, die Wahrheit sagen sollen, was sie gesehen und gehört haben, so kommen wir, die obengenannten beiden Parteien ich und Mose in freier Entscheidung überein, dass wir bei den beiden obengenannten zweien Juden Falk und David bleiben wollten, was diese als Zeugnis sagten und wie uns der Rat danach strafte, dass wir damit zufrieden sein sollten und gehorsam dabei bleiben, das aber die obengenannten Falk und David nicht auf sich nehmen wollten, es sei denn, dass wir beide sie beharrlich bitten und sichere Bürgschaft leisten, dass sie für die Zeugenaussage künftig von uns und jedermann ohne Anspruch und Entgelt bleiben.

Und darumb so bekenn und gelobe ich obgenanter Lieberman Jud für mich und Sara min husfrawen und für unser erben by minem aide den ich uff her Moyses buch darumb gesworn han, daz wir noch unser erben noch nyemand von unsern wegen, die obgenanten Juden Falken und David, noch Ir erben noch nyemand von iren wegen, Von der selben sage und geziugnisse wegen, oder was sich darunder bis uff dis zit ergangen und verläffen hett, fürbaz nümmermer ansprechen noch beclagen söllen Weder mit gericht noch aun gericht, weder vor Cristen noch vor Juden weder gaistlichen noch weltlichen noch in dehein wise.

Darum bekenne und gelobe ich obgenannter Jude Liebermann für mich und meine Frau Sara und unsere Erben mit meinem Eid, den ich herbei auf dem Buch Mose geschworen habe, das wir noch unsere Erben noch niemand von unseren die obengenannten Juden Falk und David noch ihre Erben noch niemand von den ihren wegen der Zeugenaussage oder was sich danach bis in unsere Zeit ereignet hat, künftig nicht ansprechen noch beklagen sollen, weder gerichtlich noch außergerichtlich, weder vor Christen noch vor Juden, weder vor Geistlichen noch vor Weltlichen noch in keiner Weise.

Beschähe es darüber da got vor sy, daz ich oder min husfrawe oder unser erben oder yeman von unsern wegen, daz brächen und überfüren, Und daz so kuntlich were daz den Rat zu Nördlingen düchte daz wir überfarn und gebrochen hetten, So sollen wir brüchig rechtlos paennig und übersagt Juden haissen und sin, Und darzu waz die obgenanten Falk und David Juden von sölicher unserer clage und ansprache wegen schaden Cost und zerunge genomen und getan hetten die söllen wir In bezaln und ussrichten von allen iren schaden, Und darzu sollen wir ob wir überfüren und brüchig würden als vorgeschriben stat, fünfhundert guldin zu rechter gesatzter pen und buosse verfallen sin, die halb in des Reichs kamer und halbe der Stat zu Nördlingen Werden und gefallen söllen.

Geschehe dies, da Gott vor sei, dass ich oder meine Frau oder unsere Erben oder jemand von den unseren das Brechen und Übertreten und das so offenbar wird, dass der Rat zu Nördlingen denkt, dass wir übertreten und gebrochen haben, so sollen wir wortbrüchige, rechtlose, strafbar (?) und überführte Juden heißen und sein. Und dazu, was die obengenannten Juden Falk und David wegen solcher Klage und solchem Anspruch von unserer Seite Schaden genommen und Kosten gehabt haben, die sollen wir ihnen bezahlen und entgelten von all ihrem Schaden. Und dazu sollen wir, wenn wir übertreten und wortbrüchig werden, wie vorgeschrieben steht, fünfhundert Gulden als rechtmäßig festgesetzter Strafe und Buße verfallen sein, die zur Hälfte in die Reichskammer und zur Hälfte der Stadt Nördlingen zufallen sollen.

Und um alle vorgeschriben pen und schaden, So han ich zu mir unverschaidenlich zu bürgen gesetzt, die beschaiden Juden, Lieberman von Wissenhorn und Mosse von Dietfurt min lieb vettern, Mit sölicher Beschaidenheit ob wir überfürn und brüchig würden da got vor sy. So söllen die obgenanten bürgen Lieberman von Wissenhorn und Mosse von Dietfurt Juden umb die pen und schaden als vorgeschriben stat gebunden und behafft sin, usszerichten und ze bezalen zuo allen rechten ungefarlichen Und Wir die obgenanten bürgen Lieberman von Wissenhorn und Mosse von Dietfurt Juden Bekennen dise Burgschafft war und stät ze halten ungefarlichen.

Und für alle vorgeschriebene Strafe und allen Schaden, so habe ich mir ohne Unterschied zu Bürgen gesetzt die bestimmten Juden Lieberman von Weißenhorn und Mose von Dietfurt, meine lieben Vettern. Mit solcher Festlegung, wenn wir übertreten und wortbrochig werden, da Gott vor sei, so sollen die obengenannten Bürgen, die Juden Lieberman von Weißenhorn und Mose von Dietfurt, für die Strafe und den Schaden, wie vorschrieben steht, gebunden und haftbar sein, sie zu entrichten und zu bezahlen zu allen Rechten unter allen Umständen. Und wir die obengenannten Bürgen, die Juden Lieberman von Weißenhorn und Mose von Dietfurt, bekennen diese Bürgschaft wahrhaft und stets zu halten unter allen Umständen.

Und des alles zu gutem Urkunde so han ich obgenanter Lieberman von Nördlingen Und wir obgenanten bürgen Liebberman von Wissenhorn und Mosse von Dietfurt unser yeglicher sin zaichen Und geziugnüsse mit sin selbs Hand hie undnan geschrieben uff disen Brief zu verpuntnüsse der vorgeschriben dinge, Und darzu so haben wir flisziglichen gebeten die Edeln vesten Geörigen von Herhein und Hansen Slaissen daz die Iru Insigel In selb aun schaden auch offenlichen gehenckt hand an disen Brief zu geziugnüsse aller vorgeschriben sachen.

Und um dies alles gut zu beurkunden, so habe ich, der obengenannte Lieberman von Nördlingen, und wir, die obengenannten Bürgen Lieberman von Weißenhorn und Mose von Dietfurt, jeder sein Zeichen und seine Bezeugung mit eigener Hand hier unten auf diese Urkunde geschrieben zur Verpflichtung der vorgeschriebenen Dinge. Und dazu, so haben wir beharrlich gebeten die edlen strengen Georg von Herhein und Hans Slaiss, dass diese ihre Siegel für sie ohne Schaden allen wahrnehmbar an diese Urkunde angehängt haben zur Bezeugung aller vorgeschriebenen Sachen.

Der Brief wart geben An dem sibentzehenden tage des Monats Augusti So man zalt nach Cristi gebürt viertzehenhundert Jare und darnach In dem viertzehenden Jahre.

Der Brief wurde gegeben an dem siebzehnten Tag des Monats August, so man zählt nach Christi Geburt vierzehnhundert Jahre und danach im vierzehnten Jahr.

(Transkription von Pater Augustin Renner OSB, Augsburg | Vorbemerkung und Edition von Patrick Charell)