Jüdisches Leben
in Bayern

Glossar

Hilfs- und Wiederaufbauverwaltung der UNO, gegründet im November 1943, Vorläufer der heutigen IRO (Internationale Flüchtlingsorganisation).

Quelle: Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. 2. Aufl. München 1992 (= Bayerische Landeszentrale für politische Bildung A85), S. 368.

Vor 1800 vermittelte ein Melamed in einem Cheder neben dem Religionsunterricht auch das hebräische Schreiben und Lesen. Der Unterricht war in kleinere Gruppen aufgeteilt, weil er im Kern auf dem lauten Auswendiglernen und Rezitieren der heiligen Schriften beruhte. Die Schule und die Lehrkraft wurden von der Gemeindekasse oder den Eltern finanziert, reiche Familien konnten sich Privatlehrer leisten. Im Gegensatz zu den christlichen Schulen kümmerte sich die Obrigkeit nur in den seltensten Fällen um die Qualität oder den Lehrstoff dieser Schulen. Knaben besuchten die Cheder zwischen dem dritten und dem dreizehnten Lebensjahr, mit der Bar Mizwa endete auch ihre Schulbildung. Ein weiterführendes Religionsstudium bot die Jeschiwa. Mädchen bekamen in der Regel nur einen rudimentären Heimunterricht von ihren Müttern. 1804 wurde in Altbayern die Schulpflicht eingeführt. Im Geist der Aufklärung und eines zentralistischen Staatsgedankens sollten offizielle Lehrpläne die alten "Winkelschulen" im Land ersetzen. Das sog. Judenedikt 1813 bekräftigte die Schulpflicht für jüdische Buben und Mädchen, die den "gleichen Unterricht" wie die Kinder christlicher Konfessionen und außerdem die Möglichkeit zum Besuch höherer Bildungseinrichtungen erhalten sollten (§ 32). Von Anfang an, und mit zunehmender Tendenz, besuchten jüdische Kinder die öffentlichen (christlichen) Schulen vor Ort. Nur den Religionsunterricht bekamen sie weiterhin separat vom Gemeindelehrer erteilt. Manchmal sorgten überschneidende Stundenpläne für heftige Konflikte, wobei die Behörden fast immer zugunsten der staatlichen Schulen eingriffen. Jüdische Kultusgemeinden konnten aber auch eigene Elementar- bzw. Volksschulen gründen. Ihre Pädagogen mussten von nun an "königliche Unterthanen" sein und ein staatliches Examen ablegen, bevor ihnen die Regierung eine Lehrerlaubnis erteilte. Ihr jährliches Mindestgehalt von 300 Gulden hatten die Gemeinden aufzubringen (§ 33), beim Bau der Schulen konnten die Kultusgemeinden staatliche Hilfen in Anspruch nehmen. Die jüdischen Schulen folgten dem staatlichen Lehrplan und stellten ein gleichwertiges Abschlusszeugnis aus. Dadurch stand bayerischen Juden generell der höhere Bildungsweg offen, was ihnen den sozialen Aufstieg in akademische Berufe und den Staatsdienst ermöglichte. An den Universitäten entstanden ab den 1880er Jahren sogar ausschließlich jüdische Studentenverbindungen, die teils bis in die Zeit des Nationalsozialismus bestandhatten. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts lehnte das einflussreiche deutsche Reformjudentum die separaten israelitischen Schulen als Ausdruck einer rückständigen Ghettoisierung zunehmend ab. Orthodoxe Kreise hingegen sahen sie als Garant der jüdischen Identität, kritisierten aber dass gerade im armen Landjudentum die Lehrer gleichzeitig noch andere Aufgaben erfüllten und dem Unterricht zu wenig Sorgfalt widmeten. Ab den 1840/50ern nahm die Zahl der Schulen ohnehin rapide ab, weil viele der schrumpfenden Gemeinden die Kosten nicht mehr tragen konnten. Ende des Jahrhunderts rückte der bayerische Staat von seiner bisherigen Politik ab und verhinderte die Gründung neuer jüdischer Schulen. Die NS-Machthaber verboten jüdischen Kindern ab 1938 die Teilnahme am staatlichen Unterricht, mancherorts wurde diese diskriminierende Maßnahme bereits früher erlassen. Nach 1945 kamen Überlebende der Shoah vorerst in jüdischen DP-Lagern auf deutschem Boden unter. Zur Vorbereitung auf die Auswanderung nach Israel oder in die USA entstanden eigene DP-Bildungsstätten, die zum Teil von der ORT ausgestattet wurden. Wegen der hohen Emigrationszahlen wurden diese Einrichtungen Anfang der 1950er Jahre aufgelöst. 1966 und in den frühen 2000er Jahren öffneten einzelne jüdische Kindergärten, Grundschulen und Gymnasien in Bayern, die als Privatschulen eine ausdrückliche jüdische Identität pflegen. Auch an den Hochschulen gibt es wieder aktive jüdische Studierendenverbände mit eigenem Kultur- und Freizeitangebot.

Quelle: Margot Hamm: OT Kirchen- und Bildungswesen. In: Haus der Bayerischen Geschichte / Michael Henker u.a. (Hg.): AK Bayern entsteht. Montgelas und sein Ansbacher Mémoire von 1796. Augsburg 1996 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 32), S. 195-200. // Generaldirektion der staatlichen Archive Bayerns (Hg.) / Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.): Mehr als Steine. Synagogen in Unterfranken. München 2021 (= Staatliche Archive Bayerns – Kleine Ausstellungen 68), S. 58-64. // Rebecca Heinemann: Jüdisches Schulwesen in Bayern (1804-1918), publiziert am 16.12.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns (https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/J%C3%BCdisches_Schulwesen_in_Bayern_(1804-1918) [12.12.2022]. Rebecca Heinemann: Jüdisches Schulwesen in Bayern (nach 1945), publiziert am 27.01.2015; in: Historisches Lexikon Bayerns (https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/J%C3%BCdisches_Schulwesen_in_Bayern_(nach_1945) [12.12.2022].