(Altgr. aufrichtig, geradlinig, ehrlich): A) Gundbegriff: Die Richtigkeit einer Lehrmeinung bzw. die Anhängerschaft der richtigen Lehrmeinung, im Gegensatz zu davon abweichenden Lehrmeinungen, die entsprechend für falsch erachtet und abgelehnt werden. Da sich jede Lehrmeinung zunächst für richtig hält, ist die Bezeichnung der Orthodoxie also eine Frage des Standpunkts. B) Im Judentum: Strenggläubige religiöse Ausrichtung, die an den Gesetzen der Tora nach den im Talmud festgehaltenen rabbinischen Interpretationen festhält und moderne Anpassungen (auch im gesellschaftlichen Bereich) ablehnt. C) Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstand im deutschen Judentum angesichts der existenziellen Identitätskrise in liberalen, assimilierten Familien die "Neo-Orthodoxie", also eine Rückbesinnung auf alte religiöse Werte und Traditionen.
Quelle: Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. 2. Aufl. München 1992 (= Bayerische Landeszentrale für politische Bildung A85), S. 367. // Germanisches Nationalmuseum Nürnberg / Bernward Deneke u.a. (Hg.): AK Siehe der Stein schreit aus der Mauer. Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Nürnberg 1988, S. 512.
Eine 1880 im St. Petersburg gegründete Gesellschaft zur Aus- und Weiterbildung, zunächst nur für verarmte russische Landjuden. Das Akronym ORT bedeutet übersetzt "Gesellschaft für Handel und Landwirtschaftliche Arbeit". 1921 wurde die internationale ORT Union, später World ORT Union geschaffen, die nach der Shoah viele Kibuzzim mit den entsprechenden Gerätschaften ausstatte und Lehrpersonal stellte.
Quelle: Alexander Ivanov: ORT. In: Dan Diner (Hg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Bd. 4. Stuttgart/Weimar 2013, S. 444–449.
Jüdische Familien und Einzelpersonen, die ab den 1880ern vor Pogromen aus dem zaristischen Russland (v.a. Polen und Galizien) nach Westen flohen. Obwohl auch sie den Aschkenasim angehörten, wurden die meist armen und streng orthodoxen Immigranten aus Osteuropa eher als unwillkommene Fremde wahrgenommen. Sie unterschieden sich in ihrer traditionellen Kleidung und konservativen "Stetl"-Kultur (siehe Ghetto) sowie der slawisch beeinflussten ost-jiddischen Sprache von den größtenteils assimilierten Juden in Deutschland. Sie gründeten in ihrer neuen Heimat nach Möglichkeit eigene religiöse Zirkel und blieben vom Wahlrecht der liberalen großen Kultusgemeinden oft lange ausgeschlossen. Die in dieser innerjüdischen Auseinandersetzung ausgebildeten Stereotype wurden dann in der antisemitischen Propaganda der Weimarer Republik sowie im Nationalsozialismus weiterentwickelt und umgedeutet zu der Vorstellung, dass sich im "Ostjuden" eine eindeutige "rassische Minderwertigkeit" manifestiere, die bei westlichen "Kulturjuden" noch verschleiert sei. Im Bayern der Weimarer Zeit lebten etwa 5.000 bis 10.000 Juden mit osteuropäischer Staatsangehörigkeit. Diese zahlenmäßig eigentlich kaum ins Gewicht fallende Personengruppe geriet seit 1919 zunehmend ins Visier antisemitischer Hetzkampagnen; hinzu kamen Schikanen von Seiten der Behörden. Höhepunkt der Feindseligkeiten gegen Ostjuden, bei welchen Bayern reichsweit eine negative Vorreiterrolle spielte, stellte die staatliche Ausweisungsaktion vom Oktober/November 1923 dar.
Quelle: Dirk Walter: Ostjuden (Weimarer Republik), publiziert am 29.11.2007. In: Historisches Lexikon Bayerns, https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ostjuden_(Weimarer_Republik) [14.11.2023].)