Bericht über Vereine und Institutionen der jüdischen Wohlfahrt in Fürth. In: Der Israelit. Ein Centralorgan für das orthodoxe Judenthum, Jg. 8 Nr. 27 (3. Juli 1867), S. 467-470. Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg Frankfurt am Main – Compact Memory.
Vorbemerkung
Die Versorgung von Armen, Kranken und Notleidenden bildet in allen monotheistischen Weltreligionen (Judentum, Christentum und Islam) eine wichtige Säule der gelebten Religionsausübung. Für aschkenasische Juden in Europa war die Wohlfahrt nicht nur ein göttliches Gebot (hebr. Mitzwa), denn sie blieben jahrhundertelang als ausgegrenzte und verfolgte Minderheit im besonderen Maße auf eine gegenseitige Unterstützung angewiesen. Auch wenn ab dem frühen 19. Jahrhundert zunehmend staatliche und städtische Institutionen die Wohlfahrtspflege übernahmen, finanzierten die jüdischen Kultusgemeinden nach Möglichkeit eigene Einrichtungen, in denen die religiösen Hygiene- und Speisengesetze (hebr. Kaschrut) eingehalten wurden. Heute vertritt der "Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V." (ZWST) die jüdischen Landesverbände, Kultusgemeinden und den jüdischen Frauenbund. Sie bildet den Zusammenschluss der jüdischen Wohlfahrtspflege in Deutschland und ist ihre Spitzenorganisation.
Fürth hatte sich bereits im ausgehenden 16. Jahrhundert zu einem der bedeutendsten Zentren des Judentums im Heiligen Römischen Reich entwickelt. Im Jahr 1811 war rund ein Fünftel der Gesamtbevölkerung jüdischen Glaubens. Auch in den kommenden Jahrzehnten hatte die Kultusgemeinde derart viele und wohlhabende Mitglieder, dass sie eine außergewöhnlich große Zahl karitativer Einrichtungen tragen konnte. Daher ist Fürth ein Idealbeispiel für die verschiedensten Einrichtungen, mit denen man die damals noch sehr alltägliche Not sozial schlechter gestellter Jüdinnen und Juden zu mindern suchte.
Quellentext
Fürth. (Bayern.) Meinem Versprechen, über die hiesigen isr. Wohlthätigkeits-Vereine, Anstalten und Stiftungen ebenso ausführlich als gründlich zu referiren, beehre ich mich heute pünktlich nachzukommen.
a. Vereine und Anstalten
1. "Aussteuerungs-Anstalt für isr. Mädchen, deren Väter noch am Leben sind." Dieselbe wurde 1765 gegründet, in der edlen Absicht, Familienvätern in anständiger Versorgung ihrer Töchter Unterstützung zu gewähren, welche in einer Präbende [hier: Schenkung] von fl. [bay. Gulden] 300 besteht und alle zwei Jahre einer der Bewerberinnen durch das Loos zugetheilt wird; neuerdings ist jedes Jahr eine Ziehung.
2. "Aussteuerungs-Anstalt für jüdische Mädchen." Dieselbe verdankt ihre Gründung dem eifrigen Wohlthätigkeitssinne würdiger Gemeindemitglieder, welche, unterstützt von dem bereitwilligen Entgegenkommen der meisten jüdischen Einwohner, dieselbe 1829 ins Leben riefen. Zweck derselben ist: unbemittelte oder mäßig bemittelte Mädchen mit einer Aussteuer zu verstehen, um diesen die Last der Versorgung zu erleichtern, wozu durch das Loos jährlich zwei Mädchen bestimmt werden, von denen das eine fl. 1200, das andere fl. 600 zur Aussteuer erhält. Innerhalb des ersten zehnjährigen Bestehens sind durch die Anstalt im Ganzen für 20 Mädchen die Summe von fl. 18,000 zur Ziehung gebracht worden. Besonderer Grund zum Beitritt ist den Armen gegeben, da die Reicheren zum Vortheil jener auf allen gewinn verzichten und für Bemittelte ist hier schöne Gelegenheit gegeben, um mit einer mäßigen Gabe einen so herrlichen Zweck fördern zu helfen [sic].
3. "Israel. Holz-Vertheilungs-Verein." Derselbe wurde 1799 von hiesigen edlen Menschenfreunden in's Leben gerufen und bezweckt 1) Unterstützung dürftiger [armer] Mitglieder durch unentgeltliche Abgabe von Brennholz [zum Heizen]; 2) Ueberlassung von Brennholz an weniger Bemittelte zu festen Preisen; 3) entgeltliche Aushilfe für alle übrigen Vereinsmitglieder. Es wäre überflüssig, die herrlichen Früchte zu schildern, die der Verein seit seiner Gründung entfaltete, und wie er namentlich in wohlthätiger Weise auf dessen Mitglieder einwirkt da das Institut als ein längst allseitig anerkanntes und gemeinnütziges bekannt ist.
4. "Der isr. Privat-Holzvertheilungs-Verein," welcher nur unentgeltliche Abgabe von Brennholz an Dürftige zum Zwecke hat.
5. "Isr. männliches Kranken-Institut." Gründung 1791. zweck: vermittelst der Bildung eines gemeinsamen Fonds in Krankheitsfällen seiner Mitglieder im Stande zu sein, denselben alle und jede, zur Beförderung der Wiederherstellung [Genesung] unentbehrliche Unterstützung unentgeltlich angedeihen und in Sterbefällen die üblichen religiösen Handlungen für das Seelenheil des Verstorbenen auf Kosten und unter Aufsicht des Instituts verrichten zu lassen. Ich würde nur allgemein Anerkanntes wiederholen, wenn ich die vielen Kranken und Gebrechlichen, die mittelst Unterstützung ihre Gesundheit erlangten, die vielen Familien, denen die schwere Last für die Pflege der erkrankten Angehörigen erleichtert wurde, aufzählen wollte, und constatire nur, daß bei der fortwährend wohlwollenden Mitwirkung es gelungen ist, die Zukunft dieser heilsamen Anstalt zu sichern und zu kräftigen, und zur Weiterverbreitung ihres segensreichen Wirkens beizutragen. Fast unter den nämlichen Einrichtungen besteht:
6. "Das isr. weibliche Kranken-Institut," welches gleiche Zwecke verfolgt.
7. "Verein zur Unterstützung armer durchreisender Israeliten." Gründung: 1861. Zweck: einerseits würdige arme isr. Durchreisende in einer der Größe der hiesigen Gemeinde entsprechenden Weise zu unterstützen, andererseits den lästigen, fast zur Unerträglichkeit geworden Hausbettel abzuschaffen, wozu von der Verwaltung des Vereins je nach Würde und Dürftigkeit Spenden nach verschiedenen Klassen gegeben werden. Daß die Inanspruchnahme des Vereins eine namhafte ist, wird aus der jüngsten Mittheilung von den jährlichen zwischen fl. 5-6000 betragenden Ausgaben zu entnehmen sein. Wir wünschen diesem jungen Vereine weiteres glückliches Gedeihen; mögen dessen Vorstandsmitglieder bei ihrer ebenso schwierigen als undankbaren Arbeit im Bewußtsein des edlen, löblichen Zweckes, dem sie hier obliegen, auch ferner ausdauern, und glauben wir im Sinne sämmtlicher Gemeindemitglieder zu handeln, wenn wir diesen wackern Männern für ihre uneigennützige und äußerst rührige Thätigkeit unsern aufrichtigsten Dank in diesen Blättern anerkennend aussprechen.
8. "Isr. Bürger-Schule." Dieselbe wurde in Anbetracht, daß die hiesige isr. Jugend allzusehr der Ignoranz auf religiösem Gebiete verfallen war, im Jahre 1862 von einigen einflußreichen, würdigen Vertretern der hiesigen Orthodoxie begründet, und durch freiwillige, ansehnliche Beiträge von hiesigen Wohlthätern wurde vorerst das zur Gründung und Deckung des Deficits nöthige Kapital zusammengeschossen [gesammelt]. Trotz der großen zu überwältigenden Schwierigkeiten erfreut sich das Institut durch die umsichtige und energische Leitung des Directors Herrn Dr. Auerbach einer fördernden Theilnahme und Fürsorge des Publikums und hat sich zu einer achtungswürdigen Höhe emporgeschwungen. Die Anstalt zählt 4 ständige [festangestellte] Lehrer nebst den einschlägigen Fachlehrern. Sie hat sich zur Aufgabe gestellt, vor Allem dem oben beregten Mißstand in religiöser Beziehung nach Kräften entgegenzuwirken, und hat wirklich seit der kurzen Zeit ihres Bestehens Tüchtiges geleistet, welche Leistungen um so mehr anzuerkennen sind, als die Anstalt lediglich auf sich, auf ihre eigenen Kräfte ohne jeglichen Zuschuß der gemeinde angewiesen ist, und ihr die mannigfachen Schwierigkeiten, mit denen namentlich jüdische Privatschulen zu kämpfen haben, nicht erspart wurden. Um so aufrichtiger und lebendiger ist der Wunsch Aller, denen eine echtreligiöse Erziehung der jüdischen Jugend eine ernste und heilige Herzenssache ist, daß dem strebsamen Vorstande und sämmtlichen Mitwirken, welche unter so schwierigen Verhältnissen die Anstalt mit Aufopferung persönlicher Interessen aufrecht erhalten, die thatkräftige Theilnahme und Unterstützung seitens des Publikums zu Theil werde. Daß letzteres im Allgemeinen der Fall ist, können wir hier nicht umhin, anerkennend auszusprechen, indem nicht nur häufige Spenden beim Aufruf der Thora, sowie auch Legate der Anstalt zufließen, sondern man auch ernstlich daran geht, ein eigenes Schulhaus zu bauen, wozu bereits ansehnliche Summen gezeichnet [überwiesen] sind.
9. "Beerdigungs-Anstalt." [jüdischer Friedhof] Die Eröffnung des jüd. Leichenackers erfolgte mit der Errichtung der ersten Synagoge im Jahre 1617. Der Ankaufspeis desselben betrug fl. 305 und später wurde durch Ankauf eines naheliegenden Stück Feldes der Friedhof bedeutend erweitert und mit einer Mauer nebst Portal eingefaßt, worauf hebräisch die Worte "Bes chajim" stehen. Rechts des Eingangs an einem Stein steht "Sie sind fröhlich, das sie das Grab bekommen" 1653, wohl das Erweiterungsjahr andeutend [Der Friedhof wurde jedoch bis Ende des 18. Jahrhunderts sechsmal erweitert]. Auf denselben wurden seit langer Zeit die jüdischen Leichen von Zirndorf, Langenzenn, Dietenhofen, Erlangen, Nürnberg sowie auch jetzt noch beerdigt, letzterer Ort jedoch besitzt seit einigen Jahren [seit 1864] einen eigenen Friedhof.
10. "Todtenbrüderschafts-Verein 2. Classe." [Chevra Kadischa] Derselbe vollzieht bei dem Tode eines Glaubensgenossen die Fertigung des Grabes. (Mitgliederzahl 24 Mann.)
11. "Todtenbrüderschafts-Verein 1. Classe." Derselbe vollzieht den Reinigungsact an den Toten [Tahara] und die Fertigung des Sarges für denselben. (Mitgliederzahl 18 Mann.)
12. "Todtenbrüderschafts-Verein für Frauen." Derselbe versieht die meisten dieser Functionen bei dem Todesfalle einer Frau. (Mitgliederzahl 15 Frauen.)
13. "Mazewas-Verein" Derselbe besorgt das Setzen der Grabsteine. (Mitgliederzahl 18 Mann.) Sämmtliche vier Vereine bestehen seit der Errichtung des Friedhofs.
14. "Aussteuerungs-Anstalt für isr. Mädchen," deren Väter nicht mehr am Leben sind. Gründung: 1742. Zweck des Vereins ist, gänzlich unbemittelten oder minder bemittelten verwaisten isr. Mädchen mit Mitteln an die Hand zu gehen, um diesen zu einer anständigen Heirath zu verhelfen. Neben dem Hauptzweck intendirt der Verein zugleich die Beförderung der Sittlichkeit und die Ermunterung zu einem moralischen Lebenswandel, indem nur unbescholtene Jungfrauen präbentirt [hier: beschenkt] werden dürfen, welche Präbende [hier: Schenkung] in jährlich zu verleihenden fl. 3000 besteht. Der Verein macht sich auch die Unterstützung alter, ehrbarer Jungfrauen zur Aufgabe, welche zu keiner Heirath gelangen, somit statutenmäßig die für sie designirt [bestimmt] gewesene Präbende nicht beziehen konnten.
b. Stiftungen
1. "Das isr. Hospital." Nächst dem Leichenacker stand bereits 1653 das isr. Spital, ein einstöckiges Gebäude, wo parterre weibliche, im ersten Stock männliche Dienstboten untergebracht waren. Dies machte jedoch im Jahre 1828 wegen seiner gänzlichen Devastation [Baufälligkeit] bei vielen Gemeindemitgliedern den Wunsch rege, den Bau eines neuen Spitals zu verlassen. Zu diesem Neubau eröffneten sich ansehnliche Beitragserbietungen [d.h. das Angebot der finanziellen Unterstützung], wie z.B. von Herrmann Königswarter 3000 fl., von Baruch Berobsheimer 1000l., von Jacob Plachfeld 1000 fl. etc. und durch sonstige Sammlung wurde außerdem noch 4800 fl. gezeichnet, so daß im Jahre 1833 der definitive Beschluß gefaßt wurde, mit dem Bau zu beginnen, und wurde hiezu ein Platz für 1550 fl. gekauft. Die Vollendung des Baues geschah im Jahr 1846 mit einem Gesammtkostenaufwand von 19,056 fl. Vor kurzer Zeit wurde auf demselben wegen seiner Unzulänglichkeit ein zweiter Stock aufgesetzt und besitzt nunmehr die Gemeinde ein stattliches Gebäude, und beläuft sich das jetzige Spitalvermögen auf über 50,000 fl. Das Spital besitzt außerdem noch eine vollkommen innere Einrichtung nebst Hausbibliothek und Haussynagoge und die Verpflegung der Kranken geschieht auf Grund einer observanzmäßigen [beaufsichtigten] geringen Einlage seitens sämmtlicher hiesigen isr. Dienstboten, Commis [Angestellte] und Lehrlinge durch die Verwaltung; die ärztliche Behandlung besorgt ein jüdischer Arzt nebst einem christlichen Chirurgen und dem erforderlichen Wärterpersonal. Das Spital steht unter dem Vereinsvorstande, führt jedoch keine eigene Verrechnung durch einen besonders bestellten Verwalter, welcher, gleich seinen Vorgängern, den vielseitigen Anforderungen auf’s Beste und zur allgemeinen Zufriedenheit Genüge leistet.
2. "Isr. Männliches Waisen-Institut," dessen zwecke bereits früher veröffentlich wurden [die Unterbringung, Versorgung und Erziehung jüdischer Waisenjungen].
3. "Claus-Schule." [Jeschiwa]
4. "Eisig-Schule," [Jeschiwa] über deren Entstehen ich, trotz vielfacher Bemühungen, es nicht einmal zu Notizen bringen konnte.
Außerdem gibt es viele Privatstiftungen, von welchen die Zinsen aus dem Capitale des Stifters verwendet werden: a. als Präbende bis zum Betrage von fl. 500 zur Aussteuer von Mädchen, theils allgemein hiesiger, theils der Familie des Stifters bis zu einem gewissen Verwandtschaftsgrade angehörig, immer unter gewissen Bedingungen, worunter die Emanuel Pessels Besold'sche, Benjamin Cohn Königsberger'sche, Schenker'sche zu erwähnen sind; b. um am Jahrestage des Stifters an Arme in der Familie vertheilt zu werden; c. um am Jahrestage des Stifters an beliebige Arme vertheilt zu werden, wofür diese Gebete zu verrichten haben; d. um – wie bei der Isaac Mannheimer'schen Stiftung – täglich einen NN von kundigen und religiösen Männern gemeinschaftlich halten zu lassen. Es bestehen eine Masse solcher Stiftungen, die unter den verschiedensten Namen den Einen Zweck verfolgen: der Noth zu steuern, dem Elende, wo und unter welcher Gestalt es sich zeigt, Hilfe und Linderung zu bringen und dem Armen wahrhaft thatkräftig unter die Arme zu greifen.
Sie entnehmen den Ihnen, geschätzter Herr Redacteur, gemachten Vorlagen, daß [NN] unsre Gemeinde, das allgemeine Wohl betreffend, in jeder Hinsicht auf das Beste und Zweckmäßigste vertreten ist, sowie daß der durch Zeitgeist bedingten Verbesserung [der Lebensumstände und Ausbildung] gerne Rechnung getragen wird. Wir können es uns jedoch nicht versagen, darauf hinzuweisen, daß zur Vervollständigung aller vorhandenen trefflichen Anstalten die Errichtung eines isr. weiblichen Waisen-Anstalt auch sehr wünschenswert wäre, und würde der Wohltätigkeitssinn der hiesigen isr. Einwohner, bei denen in dieser Beziehung für das Wohl der Leidenden zu sorgen, immer ein edler Wetteifer vorwaltend war, nicht allzusehr gegenwärtig durch erwähnte Neubauten in Anspruch genommen, so möchten wir eine Anregung in diesem Sinne weder für unzweckmäßig noch erfolglos halten. Ueberlassen wir es einer, wenn auch nicht so fernen, späteren zeit, auch in dieser Hinsicht das Gute zu fördern und hiedurch das religiöse und sittliche Gefühl immer mehr zu beleben. S. H. [Salomon Herzstein von der Israelitischen Realschule Fürth]
[Anmerkung: Im Jahr 1884 finanzierte das Fürther Ehepaar Lazarus und Bertha Schwarz mit ihrer Schenkung von 100.000 Mark den Neubau des Waisenhauses, das gleichzeitig mit einem eigenen Anbau für eine Mädchenabteilung erweitert wurde].
(Vorbemerkung und Transkription von Patrick Charell)