Akt, die Gewährung des Juden Löw Wolff um Verleihung des landesherrlichen Schutzes des Deutschen Ordens zu Ickelheim betreffend. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Deutschorden Nr. 3953. Aus: Juden in West-Mittelfranken. Eine Dokumentation. Hg. v. Karl Ernst Stimpfig. Lauf 2003, S. 120-126.
Vorbemerkung
Zu Beginn des Jahres 1801 bat der Jude Löw Wolff aus Ickelheim "untertänigst" um die Fortführung des väterlichen Schutzbriefes auf seinem Namen. Er hatte eine Doppelhaushälfte geerbt, die zwar durch eine Hypothek belastet war, jedoch könne er wenn nötig seinen Anteil am Nutzungsrecht des Gemeindewaldes verkaufen und so die Summe auslösen. Außerdem wollte Löw eine Frau aus Fürth heiraten und stellte daher einen Eilantrag, damit sich die Hochzeit (und die Auszahlung der Mitgift) nicht verzögerte.
In Ickelheim gab es seit etwa 1600 eine jüdische Gemeinde. Ihre Mitglieder waren Schutzjuden des Deutschen Ordens, der im Heiligen Römischen Reich eigene Territorien verwaltete. Die Hochmeister des militärischen Deutschen Ordens waren bis 1805 souveräne Reichsfürsten mit allen entsprechenden Rechten und Privilegien, inklusive dem Judenschutz.
Seit dem 13. Jahrhundert teilte sich dieser Besitz in "Balleien" auf (Ordensprovinzen), die wiederum in Kommenden (Niederlassungen) gegliedert waren. Die Ickelheimer Schutzjuden wurden vom örtlichen Vogteiamt bzw. durch das Obervogteiamt der Kommende Virnsberg verwaltet. Bei komplizierten Fällen wandte man sich an das "Judenamt" der Deutschordens-Regierung in Mergentheim (heute Baden-Württemberg), der Hauptstadt der Ballei Franken.
Die Obrigkeit hatte vor allem zwei Sorgen: Der "Supplikant" sollte genügend Vermögen besitzen, um den Schutzbrief bezahlen und sich im Ort ernähren zu können; außerdem durfte die festgelegte Zahl von 22 Schutzjuden mit ihren Familien in Ickelheim nicht überschritten werden. Weitere Probleme ergaben sich daraus, dass sich die jüdische Gemeinde im Ort weigerte, ohne genaue Kenntnis der Vermögensverhältnisse pauschal für die 100 Gulden Schutzgeld zu bürgen.
Aus der "Causa Wolff" wird der enorme bürokratische Aufwand deutlich, der mit dem veralteten, noch aus dem feudalen Mittelalter stammenden System des Judenschutzes verbunden war. Wegen eines einzigen amtlichen Vorgangs wurden monatelang juristische Gutachten erstellt und Informationen eingezogen, bis nach langem hin und her – alles handschriftlich festgehalten und kopiert – die Regierung in Schloss Mergentheim den Hochmeister um seine Zustimmung bat.
Bei diesem handelte es sich um Prinz Karl Ludwig aus dem Hause Habsburg-Lothringen (1771-1847), der das Amt gerade erst von seinem Onkel übernommen hatte und bis 1804 ausübte. Da er in Wien residierte, mussten die Postreiter jedes Mal eine Strecke von rund 620 Kilometern zurücklegen und dabei die Alpen überqueren. Hochmeister Karl genehmigte anstandslos die Vergabe des Schutzstatus - weil man aber vergessen hatte, ihm das Formular gleich mitzuschicken, verzögerte sich die Ausstellung noch bis September.
Quellentext
Ickelheim, 19. Februar 1801: Vogteiamt an das Obervogteiamt Virnsberg
Wohlloebliches Obervogtey Amt! Ich schließe hier die Jud Löw Wolfische [sic] Bittschrift ergebenst zurück, und gebe auf die vorgelegte Frage-Stücke hier folgende Beantwortung, nemlich: es besizzet derselbe die größere Hälfte des mit dem Judenschafts-Vorsteher Samson Nathan abgetheilt habenden Haußes, die Helfte der Güther und des Gemeind- und Holz-Rechtes, welche halbtheilige Besitzungen einen wahren Werth von 1000 fl. rhein [Rheinische Gulden] in sich fassen, hat für sich ein zur Nothdurft [Lebensunterhalt] eingerichtetes Haus-Halten, welches im [...] 200 fl. rhein. in Anschlag zu bringen ist, hafftet auch seine Zuständigkeit nach amtlicher Wißenschafft (Kenntnis) nichts weiter als 600 fl. rhein. an den Schultheiß Kreyselmeyer zu Ergersheim, seine Handels-Geschicklichkeit und Kenntniß ist gemein so anzunehmen, daß bey wahren Unglücksfällen nur der Fall eintretten könne, außer Standt gesezzet zu werden, sich zu ernähren. [...] steht derselbe in Handelschafften schon lange mit einem Schwager und andern dahier in Compagnie [geschäftlicher Beziehung], und liegt allso die Aussicht, sich ernähren zu können, schon vor. In Rücksicht deßen moralischen Betragens, läßt sich nichts anderß sagen, als daß selbger ordentlich ist. Was aber supplicandischer [antragsstellender] Löw Wolf durch Heyrath für ein weiteres Vermögen erhaltet, wird das von den Judenschaffts-Vorsteher Samson Nathan ausgestellte Attest mit dem Bewießen, daß auch die Judenschafft gegen deßen Annahme nichts einzuwenden. verharre mit groser Hochachtung Eine Wohlloebliche Ober Vogtey-Amts gehorsamster Franz Grebner
Ickelheim, 16. März 1801: Dringlichkeitsgesuch von Löw Wolff
Hochpreisliche Regierung! Indem ich sehr wünschen muß, mich noch vor dem eintrettenden Osterfest verheurathen zu können, als sich sonst dieses nach den Gebräuchen meiner Religion noch sehr lang hinausschieben würde, welches für mich nicht nur mit Unannehmlichkeiten, sondern auch mit Nachtheil verbunden ist. Als wage ich die hochpreisliche Regierung unterthänig zu bitten: die hohe Entschließung auf mein unterthäniges Gesuch um Ertheilung des Schuzes gnädig befördern zu wollen, oder mir die Erlaubnis, mich einstweilen verheurathen zu dürfen, in hohen Gnaden ertheilen. Ich ersterbe in tiefen Respekt, unterthäniger Löw Wolff
Mergentheim, 16. März 1801: Bericht des Deutschorden-Judenamts
Auch Hochpreisliche Regierung! Haben die hiesigen Juden-Vorgänger Jonas Jakob und Moises Löw auf das unerthänigste Schuz Gesuch des Löw Wolff von Ickelheim die weitere Erklärung gemacht, daß sie unbekannt mit den Vermögensverhältnissen des Supplikanten gegen dessen Annahme nach den ihnen vorgelegten amtlichen Berichte nichts zu erinnern hätten, als daß, insofern ihnen wegen Errichtung des Schutzgeldes eine Verbindlichkeit obliege, noch vordersamst auch der Juden-Vorstand zu Ickelheim vernommen, und nagehalten werden möchte, primario für das Schuzgeld zu haften. Unter Betradirung der Communicaten ut in litteris [wie geschrieben steht] Harrend, Mergentheim den 16ten Merz 1801 K. Azaglieber
Virnsberg, 25. April 1801: Amtsbericht an die Deutschordens-Regierung in Mergentheim
Hochfürstlich Hochpreisliche Regierung! Nach Anweisung des hohen Rescripts [schriftl. Antwort] de 18. Merz d.J. Nr. 1255 wollte zwa dem Juden Vorstand zu Ickelheim zugemuthet werden, daß er für das Schuzgeld des um Schuz nachsuchenden Loew Wolff zu Ickelheim primario haften möen, allein derselbe weigerte sich dessen auf alle Arte, und will niemalen eine dergleichen Verbindlichkeit auf sich nehmen. [...] Übrigens da die Verbürgung für das Schuzgeld eines neuen Schuzgenossen willkürlich sein mag, so kömt es darauf an, ob gnädigste Herrschaft dem Supplicanten, obgleich der Juden Vorgänger Nathan zu Ickelheim nicht primario, und respect. specialiter [besonders] dafür haften mag, dennoch die Aufnahm in Schuz gnädigst ertheilen wolle. Nach diesamtlichen Ermessen dürfte zur Ertheilung eines neuen Schuzes und zur Schuzbriefmässigen Haftung in solidum [im ganzen] genügen, wenn abseiten der Judenschafft keine ausdrückliche exclusion [Abweisung] vorgebracht wurden, und in vorliegenden Falle seint mir die Judenschaft die Sache geflissentlich zu difficultieren [erschweren], um das Harte, so der Schuzbrief in sich hat, desto mekrlicher zu machen. Respectsvoll geharre Einer Hochfürstl. Hochpreislichen Regierung unterthänig gehorsarmster Karg (?)
Virnsberg, 14. Mai 1801: Amtsbericht Juden Schuz des Löw Wolff betr.
Hochfürstlich Hochpreisliche Regierung! Auf das hohe Rescript des 4. May d.J. Nr. 1976, wird untetrhänig geäussert, daß der um gnädigte Schuz Verleihung ansuchende Jud Löw Wolff zu Ickelheim lediglich in den Schuz seines verstorbenen Vaters aldorten tretten, und respect. desselben Schuz continuiren [fortsetzen) wolle, sofort durch die gnädigste aufnahm des Supplicanten die Anzahl der zuvor in Ickelheim sich befundenen Juden nicht vermehrt werden. respectsvoll geharre Einer Hochfürstlich Hochpreislichen Regierung unterthänig gehorsamster Karg (?)
Ickelheim, 18. Juni 1801: Gerichtliche Grundstückstaxierung
Auf Amtliche Weißung haben wir Endes unterzeichnete Gerichts-Schöppen [Schöffen], die Helfte Hauß- und Güther Antheil des Löw Wolf, mit Schamson [Samson] Nathan Jud dahier, gemeinschaftlich Besizere des Wohnhauß und Güther, welches in Ganzen ein zwey Gädiges Hauß mit Stallung eingebaut, dann eine Scheuer [Scheune], ein Schor Gärdlein und im Feld 5. Morgen Acker, dann das Genießende Gemeind-Recht in sich faßet, nemlich dem Löw Wolfisch Antheil um Tausend Gulden Rh. Gerichtlich taxirt. Johann Caspar Eßel, Georg Friedrich Ströbel
Mergentheim, 10. Juli 1801: Auszug aus dem Juden-Amts-Protokoll
261, ad Num 258. kommunizirt Hochfürstliche Rgierung zur Nachricht, und weitern Erklärung den neuern Virnsberger Amts-Bericht: die Schuz-Aufnahme und Schuz-Gelds-Kaution des Löw Wolf von Ickelheim betr.: Die hiesigen Judenvorgänger Jonas Jakob, und Moises Löw wiederholt hierüber vernommen erklären: daß sie nach dem ihnen vorgelegten Amts Protokoll, der demselben beigelegten Hauß, und Güter Taxation [Schätzung], und dem Schuldenstand des Supplikanten, mit der angebottenen respve General und Special-Hipothek wohl sich zufrieden erklären könnten, und nunmehr nach dem vorliegenden Verhältniß gegen dessen Annahme nichts mehr einzuwenden hätten. Hier unter Anlegung dieses Protokolls gehorsamster Bericht in fidem K. Azaglieber
Mergentheim, 17. Juli 1801: Ad Sermum [Gesprächsprotokoll]
Es hat bey uns der Jud Löw Wolff zu Ikelheim in der submissest [demütigsten] anvermahnten Vorstellung um die Verleihung des landesherrlichen schutzes zu Ikelheim, der durch das Ableben seines vatters erlediget worden, unterthanigst gehorsamst gebetten, und zur Erhaltung dieser gnad angesuchet das er nach dem Tod seines Vatters ihme die grössere Helffte des mit dem Juden Vorsteher Samson Nathan abgetheilten Haußes erblich angefallen seye worzu 1. Morgen Ackerfeld und das gemeind- mit dem Holzrecht aus dem Gemeindewald gehörige seyen, von welchen Besizungen er augenblicklich den baaren Werth von 1800 fl. würde erhalten können, wenn er solche veräussern wolte. Nebst dem Aber mit einer jüdischen Vormunds Tochter von Fürt sich versprochen habe, welche nach dem attestat des Juden Vorstehers ein baares Vermögen von 525 fl. besitze und wenn gleich auf der ihme erblich angefallenen Helffte des vatterlichen Hauses 600 fl. schulden hafteten, er dennoch immer noch ein Vermögen von mehr als 1000fl. mit dem Vermögen seiner Braut besitze, und dahero das zur schutz Ertheilung erforderliche vorschriftsmaesige Vermgen beybringe. Das Von und hierüber Vernomene Vogtey Amt zu ikelheim sowohl als das Ober Vogtey Amt Virnsberg bezeugten in den abschriftlichen Anlagen auch die Wahrheit dieser Angabe, und letzteres bemerkt noch, daß sub der unterthanigste Supplicant an sich den um den Schutz seines verstorbenen Vatters bitte, durch die gnadigste Willfahrung die Anzahl der H:O: Schutzjuden in Ickelheim nicht würde vermehret werden. [...] Als aber der hieruber vernommene juden Vorstand zu Ikelheim die übernahm dieser Verbindlichkeit von sich abzuleinen gesucht , hat sich derunterthanigste Supplicant nach dem untertänig vorgelegten Protocoll anheischig und erbindlich gemacht, zur sicherheit des jahrlich zu entrichtetenden Schutzgelds nicht nur eine Nachhypothec auf sein um 10000fl. gerichtlich abgeschaztes Haus, sondern begnebst [darüber hinaus] eine general hypothec auf sein ganzes Vermögen zu waltituiren. [...] und da auch wir dabey nichts mehr zu bemerken gefunden, so mogte dem gedachten Jud Löw Wolff von Ickelheim, der ein sohn des verstorbenen schutzjuden Jacob Salomon ist, unnd das zur Annahm eines Schutzjuden auf dem land erforderliche Vermogen von 1000fl. nachgewiesen hat, in seinem unterthanigsten gesuch gnadigst zu willfahren seye; der Hochsten Entschließung Einer H:d: solches jedoch submissest anheimstellend, ersterben wir [etc. pp.] Präsident Frhr. von Reuttner, Räe Handel, Mußig, von Wagner, von Klenze, Hengenberg (?), Riegely.
Wien, 5. August 1801: Gewährung des Schutz-Gesuches an Löw Wolff
An die hochfürstliche Regierung zu Mergentheim. Karl Ludwig von Gottes Gnaden Königl. prinz von Ungarn, und Böheim [Böhmen], Erzherzog zu Oesterreich etc. pp. Administrator des Hochmeisterthums in Preusen, Meister teutschen Ordens, in teutschen und welschen Landen, Herr zu Freudenthal, und Eulenberg, Groskreuz dees militärischen Marien-Theresien-Ordens, Gouverneur, und General-Kapitain des Königreichs Böhmen, Innhaber zweyer Infanterie-Regimenter und eines Uhlanen-Regiments, Kaiserl. und Reichs, auch Kaiserl. Königl. Feldmarschall, und Präsident des kaiserl., auch Kaiserl. Königl. Hofkriegsrathes. Unsern gnädigsten Gruß und Gnad zuvor: Ehrwürdiger, würdige Wohlgebohrn- und Geistliche, auch Veste-Ehrsam-und Hochgelehrte, liebe Getreue! Da nach Ausweiß eures unterthänigsten Berichts vom 17ten des verflossenen Monats July, und desselben hier wieder zurück angeschlossenen beylagen der Jud Löw Wolf von Ickelheim das vorschriftsmäßige Vermögen besitzet, auch die Juden Vorgänger gegen desselben Aufnahme keine Einwendung zu machen haben, und übrigens durch ihn die Anzahl der Juden in Ickelheim nicht vermehrt werden wird; so finden Wir einigen Anstand [Beanstandung] gnädigst nicht, ihm unsern landesherrlichen Schütz zu gedachten [erwähnten] Ickelheim zu verleihen. Ihr habt somit die demselben zuzustellende Schutz-Signatur Uns zur höchst-händigen Unterschrift in eventualer Expedition gehorsamst einzusenden, für die Zukunft aber einem jeden Bericht, worinn die Aufnahme eines Juden begutachtet wird, die Signatur zugleich mit beyzuschliesen. Womit wir Euch mit gnädigsten Willen, und Gnaden wohl beygethan verbleiben.
Mergentheim, 14. August 1801: Aktenvermerk des Hofrats-Sekretariats
Expediatur [abgesendet] für den Juden Loew Wolff zu Ickelheim die gewohnliche schutz Signatur ad clementissime suscribendum [zur allerhöchsten Unterschrift].
Wien, 9. September 1801: Schutzbrief des Hochmeisters Karl Ludwig von Österreich-Teschen
Karl Ludwig von Gottes Gnaden [...]. In den Anschluß übersenden Wir Euch die von uns Höchsthändig unterzeichnete Schutzsignatur für den Juden Löw Wolf zu Ickelheim, damit ihr solche demselben zu seiner Legitimation zustellen lassen sollet. Wir verbleiben Euch mit gnädigsten Willen, und Gnaden wohl beygethan.
(Transkription von Karl Ernst Stimpfig | Vorbemerkung von Patrick Charell)