Jüdisches Leben
in Bayern

1896: Staatsbürgerschaftsurkunde

Urkunde über den Erwerb der Staatsangehörigkeit des Königreiches Bayern für Löb Lion (1858-1930) und seine Familie, ausgestellt von der Königlich-Bayerischen Regierung von Mittelfranken - Kammer des Inneren, 1896 (Aktenzeichen E.No.24323). Jüdisches Museum Berlin, 2000/234/13.


Vorbemerkung

Das "Reichsgesetz über die Erwerbung und den Verlust der Landes- und Staatsangehörigkeit" wurde am 1. Juni 1870 vom Preußischen König Wilhelm I. zunächst nur für den Norddeutschen Bund erlassen. Es machte keinen Unterschied zwischen Christen und Juden, denn schon seit Juli 1869 war in Preußen das Judentum allen sonstigen Konfessionen gleichstellt. Nach der Gründung des Deutschen Reiches weitete die Bismarck'sche Reichsverfassung die Gleichstellung auf alle deutschen Teilstaaten aus. Das Staatsangehörigkeitsgesetz wurde am 22. April 1871 als Reichsgesetz auch im Königreich Bayern gültig (Reichsgesetzbl. Jg. 1871 Nr. 17, S. 89).

Der im Quellentext erwähnte § 7 des Gesetzes besagte: "Die Aufnahme-Urkunde wird jedem Angehörigen eines anderen Bundesstaates ertheilt, welcher um dieselbe nachsucht und nachweist, daß er in dem Bundesstaate, in welchem er die Aufnahme nachsucht, sich niedergelassen habe, sofern kein Grund vorliegt, welcher nach den §§. 2. bis 5. des Gesetzes über die Freizügigkeit vom 1. November 1867. (Bundesgesetzbl. S. 55.) die Abweisung eines Neuanziehenden oder die Versagung der Fortsetzung des Aufenthalts rechtfertigt".

Als der jüdische Buchdrucker Lion Löb (1858-1930) aus dem preußischen Züntersbach (Provinz Hessen-Kassel) nach Fürth zog, beantragte er in der Heimat seiner Ehefrau Fanny geb. Bendit (1858-1925) gleichzeitig die Staatsangehörigkeit und das Bürgerrecht. Da er bereits deutscher bzw. preußischer Staatsbürger war und einen guten Leumund hatte, bekam er am 2. November 1896 anstandslos die bayerische Staatsangehörigkeit zugesprochen. Laut § 11 des Reichsgesetzes galt dies gleichzeitig auch für seine Ehefrau und sämtliche Kinder. Der schmucklose Vordruck wurde hierfür durch den zuständigen Beamten handschriftlich ausgefüllt, datiert, unterschrieben, mit dem amtlichen Siegelstempel authorisiert und durch Julius von Zenetti, 1890-1897 Regierungspräsident von Mittelfranken gegengezeichnet. Drei Tage später, am 5. November, verlieh der städtische Magistrat Löb Lion das gewünschte Bürgerrecht (JMB, 2000/234/14).

In Fürth betrieb Lion Löb zunächst eine sog. Akzidenz-Druckerei für kleinere Auflagen mit angeschlossenem Papier- und Schreibmaterialienhandel. Um 1911 vergrößerte sich das Unternehmen und firmierte nun als "Buchdruckerei Lion & Co.", nach eigenen Angaben ein "Großbetrieb für Buch-, Stein- und Kunstdruck" sowie eine "Fabrik für Papierverarbeitung". Die Familie Lion war in der Gesellschaft fest etabliert: Löbs Sohn Max wurde Reserveoffizier und diente später im Ersten Weltkrieg. Seit 1. April 1920 war Löb Lion Geschäftsführer der Bugra („Werkstätte für Buchgewerbe und Graphik GmbH“) und seit 19. Juli 1920 Vorstandsmitglied der "Bayerischen Papier- und Druckgenossenschaft GmbH".

Quellentext

Aufnahms-Urkunde.

Die Königliche Regierung von Mittelfranken, Kammer des Innern,

bekundet hiermit, daß der Buchdruckereibesitzer Löb Lion von Züntersbach, Regierungsbezirk Cassel, geboren dortselbst am 16. Dezember 1858, israelitisch, auf Grund seiner Niederlassung in Fürth, zugleich mit seiner Ehefrau Fanny, geborener Bendit, geboren am 26. Februar 1858 zu Fürth, israelitisch, und seinen Kindern:

Max, geboren am 28. Mai 1884 zu Züntersbach; 2. Hannchen, geboren am 28. September 1885 zu Fürth, 3. Rosa, geboren am 16. Februar 1887 zu Fürth, 4. Jutta, geboren am 10. Mai 1888 zu Fürth, 5. Martin, geboren am 28. Juni 1889 zu Fürth, 6. Willy, geboren am 21. Dezember 1890 zu Fürth, 7. Lothar Moritz, geboren am 21. Feb. 1896 zu Fürth; sämmtlich israelitisch; -

durch Aufnahme in Gemäßheit der Bestimmung in § 7 des Reichsgesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Landes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 die Staatsangehörigkeit im Königreich Bayern erworben hat.

Ansbach, den 2. November 1896.

Königliche Regierung von Mittelfranken, Kammer des Inneren. [Amtsstempel] Julius von Zenetti

(Vorbemerkung und Transkription von Patrick Charell)