Jüdisches Leben
in Bayern

Hainsfarth Gemeinde

Jüdisches Leben lässt sich in Hainsfarth bis in das Mittelalter zurück verfolgen. In Nördlingen wurde 1434 ein Jude bestattet, der nachweislich aus Hainsfarth stammte. Im Jahr 1480 gab es laut dem Protokoll des Generalvisitators der Diözese Eichstätt Johannes Vogt im Ort vier jüdische Familien. Ende des 16. Jahrhunderts werden in einem im Gültbuch der Herrschaft Oettingen-Spielberg drei Juden als Grundbesitzer im Dorf genannt. Die jüdische Gemeinde, die 1601 sieben Familien umfasste, vergrößerte sich nach dem Dreißigjährigen Krieg kontinuierlich. 1670 sind bereits elf Familien verzeichnet.

Im Jahr 1710 hat sich ihre Zahl auf 30 Familien erhöht. Die Israeliten verdienten sich damals ihren kargen Lebensunterhalt mit Vieh- und Güterhandel. Ab 1741 unterstanden die Hainsfarther Juden, die zuvor mehrere Schutzherren gehabt hatten, nur noch der Herrschaft Oettingen-Spielberg. Nachdem ihnen zahlreiche Abgaben erlassen worden waren, verbesserte sich ihre finanzielle Lage. 1760/62 gehörten zur die Kultusgemeinde 315 Mitglieder. Sie standen unter der Aufsicht des Distriktsrabbiners von Oettingen. Ihre Verstorbenen fanden auf dem Friedhof von Wallerstein ihre letzte Ruhestätte.

Hainsfarth kam 1806 zum Königreich Bayern. Laut dem von König Max I. Joseph erlassenen sog. Judenedikt im Jahr 1813 durften sich 80 jüdische Familien im Ort ansiedeln. Die jüdische Gemeinde umfasste zu dieser Zeit rund 480 Mitglieder. Die meisten von ihnen wohnten in eigenen Häusern entlang der Judengasse. 1822 wurde im Gemeindehaus (Haus-Nr. 199) eine israelitische Volksschule eröffnet. In der Folgezeit entstanden weitere Einrichtungen: 1829 erbaute man eine neue Mikwe (heute Kohlgasse 7); 1850 wurde ein eigener Friedhof am Ortsausgang Richtung Steinhart angelegt; 1851 errichtete man ein Taharahaus, nachfolgend einen weiteren Bau als Unterstand des Leichenwagens. All diese Bauvorhaben und auch die anfallenden Personalkosten für Distriktsrabbiner, Melamed und Schochet waren schwierig zu finanzieren, denn die jüdische Bevölkerung des Ortes hatte sich zwischen 1820 und 1830 durch die allgemeine massive Auswanderungswelle um die Hälfte reduziert.

Von 1857 bis 1861 gehörte Haisnfarth zum Distrikt Wallerstein, dann dem zusammengelegten Oettingen-Wallerstein und 1888 die Angliederung der Hainsfarther Kultusgemeinde an den Rabbinatsbezirk Schwabach. Mit dem neuen Recht auf freie Wohnorts- und Berufswahl zogen viele, vor allem jüngere Juden in die attraktiveren Städte. 1892 lebten noch 177 Jüdinnen und Juden im Ort. Unter denen, die ihren Heimatort verließen, gab es einige Persönlichkeiten, die später in der Fremde Berühmtheit erlangten: Nathan Michael Ries (auch: Reese; 1815-1878) stieg in Amerika als Immobilienmakler zum Multimillionär auf und vererbte seiner Heimatgemeinde eine große Summe, mit der ein Armenhaus errichtet werden konnte; Heinrich Aufhäuser (1842-1917) begründete ein bekanntes Münchner Bankhaus; der Textilkaufmann Salomon Gift (1849-1911) führte ebenfalls in München ein sehr erfolgreiches Geschäft; seine Tochter Therese Giehse (1898-1975) wurde als Schauspielerin berühmt.

1925 waren in Hainsfarth noch 42 Israeliten ansässig. Schon zwei Jahre zuvor hatte man die jüdische Volksschule wegen Schülermangels schließen müssen. Die noch im Dort wohnenden Kinder besuchten nun die israelitische Schule in Oettingen oder die örtliche katholische Volksschule. Die 34 Jüdinnen und Juden, die seit 1933 unter dem NS-Regime noch in Hainsfarth lebten, erlitten zunehmend Beleidigungen, Anfeindungen, gesellschaftliche und wirtschaftliche Ausgrenzung bis hin zu Gewalttätigkeiten. 1938 wurde die "Judengasse" in "Juragasse" umbenannt. Während des Novemberpogroms 1938 zerstörten Nationalsozialisten die Ausstattung der Synagoge und beschlagnahmten den Besitz und das Vermögen der Israeliten. Die 26, zumeist älteren Frauen und Männer, die damals noch im Dorf lebten, erhielten keine ärztliche Betreuung mehr. Ab Ende 1939 mussten sie gemeinsam in zwei sog. "Judenhäuser" (Haus-Nr. 160 und 64) wohnen. 1940 erwarb die politische Gemeinde den Synagogenbau, die ehemalige jüdische Volksschule, die Mikwe und den dazugehörigen Garten für einen Spottpreis; drei Jahre später auch den jüdischen Friedhof, den man dann als Schafweide nützte. 1942 wurden fast alle der jüdischen Mitbürger aus Hainsfarth von der Gestapo in Vernichtungslager, u.a. nach Piaski und Theresienstadt, verschleppt und dort ermordet. 

Nach dem Zeiten Weltkrieg befahl die amerikanische Besatzungsmacht die Instandsetzung des jüdischen Friedhofs. Der enteignete jüdische Besitz musste an die jüdische Nachlassverwaltung übergeben werden, die ihn weiterverkaufte. Bereits zur Ausstellung "Geschichte und Kultur der Juden in Bayern" 1988/1989 erstellte das Haus der Bayerischen Geschichte eine Exkursion in Nordschwaben am Raumbeispiel Donau-Ries, von Hainsfarth nach Wallerstein.

Das einstige jüdische Schulhaus diente lange Zeit als Kindergarten und wurde nach erfolgter Sanierung zum Bürgerhaus "Alte Jüdische Schule". Seine feierliche Eröffnung erfolgte zusammen mit dem neugestalteten Platz vor der 1994/95 restaurierten ehemaligen Synagoge im Jahr 2019. Ein modernes Denkmal wurde auf Betreiben des Freundeskreis Synagoge Hainsfarth e.V. über den Fundamenten der Mikwe errichtet, die während der Bauarbeiten vor der Synagoge aufgedeckt wurden. Für das Ensemble verlieh der Bezirk Schwaben den Denkmalpreis 2019 an die Kommune Hainsfarth. Die ehemalige Gemeinde ist auch Teil der digitalen Bavarikon-Sammlung Das jüdische Erbe Bayerisch-Schwabens. Kultur und Alltag des Landjudentums von 1560-1945, die 2025 mit einem Festakt in der Augsburger Synagoge online gegangen ist.


Persönlicher Dank geht an Hermann Waltz, Nördlingen, für die Bereitstellung von Bildmaterial und seine persönliche Unterstützung.

(Christine Riedl-Valder)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Jüdisch Historischer Verein Augsburg (Hg.) / Yehuda Shenef: The Jews of Hainsfarth. Notes on a former Jewish Community in a Rural Bavarian-Swabian Village. Augsburg 2019.
  • Jüdisches Kulturmuseum Augsburg-Schwaben / Benigna Schönhagen (Hg.): "Ma Tovu...". "Wie schön sind deine Zelte, Jakob..." Synagogen in Schwaben. Augsburg 2014.
  • Michael Schneeberger: "Ziehet ein mit Lobpreis und Dank". Zur Geschichte der Juden von Hainsfahrt (= Jüdische Landgemeinden in Bayern 33). In: Jüdisches Leben in Bayern Nr. 120 (2012), S. 21-25.
  • Angela Hager/ Hans-Christof Haas: Hainsfarth. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern, Schwaben. Erarbeitet von Barbara Eberhardt und Angela Hager unter Mitarbeit von Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Frank Purrmann. Lindenberg im Allgäu 2007, S.453-460.
  • Johannes Mordstein: „daß wür ebenfahlß Eur Hochgräffliche Excellenz gehorsame unterthanen seint.“ Partizipation von Juden an der Legislationspraxis des frühmodernen Staates am Beispiel der Grafschaft Oettingen 1637- 1806. In: Rolf Kießling, Peter Rauscher, Stefan Rohrbacher, Barbara Staudinger (Hg.) Räume und Wege Jüdische Geschichte im Alten Reich 1300-1800. Berlin 2007 (= Colloquia Augustana 25), S. 79-105.
  • Reinhard Η. Seitz: Nathan Michael Ries / Michael Reese (1815–1878), ein amerikanischer Pionier aus Hainsfarth. In: Haus der Bayerischen Geschichte / Manfred Treml / Wolf Weigand (Hg.): Geschichte und Kultur der Juden in Bayern: Lebensläufe. München 1988 (= Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 18), S. 134-142.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 274.