Jüdisches Leben
in Bayern

München 10, Hauptsynagoge, St. Jakobs-Platz (2006) Synagoge

Zur Jahrtausendwende sollte in München endlich wieder ein angemessenes jüdisches Gemeindezentrum entstehen. Als Bauplatz wurde nicht zuletzt wegen seines Namens der zentral gelegene St.-Jakobs-Platz gewählt. Im Jahr 2000 setzte sich ein Entwurf durch, der sich durch eine postmoderne Architektur bewusst von der historischen Umgebung abheben will. Das dreigliedrige Ensemble besteht aus dem Gemeindezentrum mit Ritualbad, Restaurant und Veranstaltungsfläche, dem Jüdischen Museum München, sowie der neuen Hauptsynagoge der IKG München und Oberbayern. Das jüdische Kulturzentrum mit seinem vielseitigen Angebot schafft zwischen der Sendlinger Straße und dem Viktualienmarkt einen neuen Fixpunkt im Herzen der Altstadt.

Der Entwurf verbindet gegensätzliches und symbolisiert so den Anspruch, auf dem St.-Jakobs-Platz ein Zeichen für den Neuanfang zu setzen, der sich nicht in die vorgegebenen mittelalterlichen Strukturen auf dem früheren Anger bzw. Heumarkt einfügt. Die architektonische Einheit gelingt vor allem durch die Verwendung des gleichen Travertin-Muschelkalksteins aus der Schwäbischen Alb an den Außenmauern, wobei er an den drei Fassaden jeweils unterschiedlich bearbeitet ist. Auch wird der Eindruck der Einheitlichkeit durch die korrespondierende Formensprache, Blickachsen und Passagen zwischen den drei Gebäuden hergestellt.

Nachdem ein erster Wettbewerb für das neue Jüdische Zentrum am Jakobsplatz ohne eindeutigen Sieger ausgegangen war, setzte sich 2000 der Entwurf des Saarbrücker Architekturbüros Wandel, Hoefer, Lorch bei einem zweiten Wettbewerb durch. Am 9. November 2003 legte Bundespräsident Johannes Rau den Grundstein. Für diesen Tag hatte die neonazistische Vereinigung "Kameradschaft Süd" einen Bombenanschlag auf das Gelände geplant, den die Polizei vereitelte. Nach Angaben des damaligen bayerischen Innenministers Günther Beckstein stellten die Ermittler 14 Kilogramm Sprengstoff sowie Attentatspläne sicher. In zwei Prozessen wurden insgesamt acht Frauen und Männer zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Wie ursprünglich vorgesehen konnte die Stadt München mit der Kultusgemeinde am 28. Oktober 2005 das Richtfest für die Synagoge feiern. Der Baubeginn hatte sich mehrfach verzögert, da unvermutet mittelalterliche Fundamente gefunden wurden und daher eine Notgrabung erforderlich war. Am 9. November 2006 wurde die neue Hauptsynagoge nach Überführung der Thorarollen aus der Synagoge in der Reichenbachstraße in Anwesenheit des neuen Bundespräsidenten Horst Köhler feierlich eingeweiht. Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude übergab den Schlüssel der Synagoge an Charlotte Knobloch, Präsidentin der IKG München/Oberbayern und damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. 

Die insgesamt 28 Meter hohe Synagoge ruht auf einem auf einem acht Meter hohen, fensterlosen Sockel aus unverputzten bruchsteinartigen Krustenblöcken. Sie repräsentieren die Klagemauer, jene einzige erhaltene Westmauer des zweiten, 70 n.Chr. von den Römern zerstörten Tempels in Jerusalem. Sie stehen aber auch für den spirituellen "Ewigen Tempel" und das felsenfeste Fundament des Glaubens. Darüber ragt eine luftige Konstruktion aus Stahlgliedern und Glas würfelförmig empor.

Dieser Teil der Synagoge wurde von der Beschreibung des biblischen Mischkan, des Stiftszeltes mit der Bundeslade inspiriert (2. Mose, 26). Die Streben der Konstruktion bilden je nach Blickrichtung und Lichteinfall sowohl Davidsterne, als auch bayerische Rauten. Das massiv aus Bronze gearbeitete Eingangsportal im Westen trägt, von oben nach unten gelesen, rechts die hebräischen Buchstaben Aleph, Bejt, Gimmel, Daleth, Hej, sowie links Waw, Sajin, Chet, Tet und Jud. Diese entsprechen den Zahlen von 1 bis 10 und damit der Nummerierung des mosaischen Dekalogs (Zehn Gebote). Die IKG München und Oberbayern ist nach eigener Definition eine konservative Gemeinde moderner Auslegung, daher gibt es keinen getrennten Fraueneingang. Wenn sich die hohen Portalflügel öffnen, geben sie den Blick auf einen königsblauen Baldachin mit der Bügelkrone frei, Symbol der höchsten Macht Gottes.

Weil zu jeder Tageszeit von allen vier Seiten Licht in den Betsaal dringen kann, benötigt die Architektur keine weiteren Fenster im Steinsockel. Der Glasquader scheint über dem Sockel zu schweben und steht für eine Vision einer überirdischen Wirklichkeit. Die Synagoge ist mit dem Gemeindehaus durch einen unterirdischen, 32 Meter langen "Gang der Erinnerung" des Künstlers Georg Solanca-Pollack verbunden.

Der lichte Betsaal greift trotz seiner modernen Ausstattung biblische Motive auf. In seiner Anordnung zeigt sich erneut die moderat-konservative Ausrichtung der Kultusgemeinde. Der Vorraum enthält nicht nur das rituelle Waschbecken und eine Garderobe, sondern auch zwei Mahnmale: Einerseits die Zeitkapsel der 1887 eingeweihten Alten Hauptsynagoge, die nun in der Wand eingelassen ist, und seit 2023 auch jenes Fragment des zerstörten Toraschreins, der bei Arbeiten am Kleinhesseloer See aufgefunden wurde. Über dem Eingang zum Betsaal steht die hebräische Inschrift "Wie schön sind deine Zelte Jakob, deine Heimstätten Israel" (4. Mose, 24.5).

Im Osten steht der Pult des Chasan (Vorbeters) direkt vor dem durch drei Stufen erhöhten Aron-ha-Kodesch (Toraschrein). Er ist in einer Schauwand aus Jerusalemer Muschelkalkstein versenkt. Der Rahmen besteht aus Zedernholz und trägt in Lettern aus Messing den hebräischen Dekalog (2. Mose, 20,13-14) und mittig oben das Talmud-Zitat: "Wisset, vor wem ihr steht". Der große, zweiteilige Parochet ist eine Stiftung zum Gedenken an den Shoah-Überlebenden Josef Habermann, der mit seiner Familie ganz unerwartet in München eine neue Heimat gefunden hatte. Der eigentliche Schrein für die Heilige Schrift ist aus Zedernholz gefertigt und goldfarben Lackiert. Auch mit angedeuteten Tragegriffen greift das moderne Design die Beschreibung der Bundeslade auf. Ihm gegenüber, zentral im Raum befindet sich die viereckige Bima, auf der die Tora gelesen wird. Links und rechts davon stehen für die Männer Sitzbänke (Subsellien) mit herausklappbaren Lesepulten. Jedes Pult trägt eine Zierleiste aus Messing mit der hebräischen Inschrift: "Ja, Gerechte danken Deinem Namen, Redliche sitzen vor Deinem Angesicht" (Psalm 140, Vers 14). Vor den jeweils ersten Reihen sind, den Betenden zugewandt, die hervorgehobenen Sitze des Rabbiners, des Chasan und weiterer Würdenträger. Im Norden und Süden befindet sich leicht erhöht, aber ebenerdig zugänglich die Frauenemporen. Hier zeigt sich der größte Unterschied zum chassidischen Judentum, denn die Emporen sind nur symbolisch und lediglich bis zur Brusthöhe durch einen metallischen Kettenvorhang abgeschirmt.

Der Betsaal der neuen Hauptsynagoge bildet durch die biblisch bedingte Verwendung von Zedernholz aus Syrien für die Wandverkleidungen, den Toraschrein und Gestühl eine harmonische farbliche Einheit. Obwohl der von außen abgeschirmte, geschützte Gebetsraum hell erleuchtet ist und eine rationale Stimmung vermittelt, bildet der Glasquader auch einen Lichtraum, der sich als Symbol der Hoffnung zum Himmel öffnet. Das Licht bildet denn auch neben den hebräischen Lettern den einzigen Schmuck des Sakralraums. Lediglich zwei große Menora (siebenarmige, baumförmige Leuchter), auch sie Entwürfe des Künstlers Georg Solanca-Pollack, stehen zu Seiten des Aron-ha-Kodesch an der Ostwand. Jeweils in der Mitte bleiben sie symbolisch beschädigt, solange auch der Tempel in Jerusalem nicht mehr besteht.

Einen 3D-Rundgang durch die Synagoge Ohel Jakob am Jakobsplatz bietet Synagogues 360.


(Stefan W. Römmelt | Patrick Charell)

Adresse / Wegbeschreibung

St. Jakobs-Platz 15, 80331 München

Nur mit Termin zugänglich.

Literatur

  • Angela Hager / Frank Purrmann: München. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm uns Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. I: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern. Erarbeitet von Barbara Eberhardt und Angela Hager unter Mitarbeit von Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Frank Purrmann. Lindenberg im Allgäu 2007, S. 360-385.
  • Josef H. Biller / Hans-Peter Rasp: München Kunst & Kultur. Stadtführer und Handbuch. München 2003, S. 365f.