Jüdisches Leben
in Bayern

Weißenburg Gemeinde

Eine erste Anfrage der Stadt Weißenburg 1288 an die Stadt Nürnberg um Übermittlung des dortigen Judenpfandrechts ist der erste Hinweis auf eine jüdische Gemeinschaft. Sie zahlte neben der Juden- und Kopfsteuer auch ein Schutzgeld an die Stadtverwaltung, die in Repräsentanz des Reiches das Geld einzog und dem Kaiser seinen Anteil zustellte. Die Anwesenheit jüdischer Geschäftsleute ist ein Indikator für die Prosperität der aufstrebenden Stadt, die sich auch in der Verleihung wichtiger städtischer Privilegien und dem Bau der repräsentativen Pfarrkirche St. Andreas 1290-1327 äußerte. Das jüdische Leben konzentrierte sich zunächst auf die Paradeisgasse im Norden der Stadt, wo nahe dem Ellinger Tor auch die Synagoge stand. Eine Mikwe wird am Standort der später errichteten Schranne (Ecke Judengasse / An der Schranne) vermutet. In einem ehemaligen Bürgermeisterhaus wurde der Grabstein einer Frau namens Nechel ba Elija gefunden. Er trägt das hebräische Datum vom 19. November 1290 und verdeckte einen Mauerhohlraum mit verbrannten menschlichen Gebeinen. Der Fund gibt Rätsel auf, aber weist auf die Existenz eines abgegangenen jüdischen Friedhofs in Weißenburg hin.

Während der Rintfleisch-Verfolgung 1298 kamen in Weißenburg elf Menschen ums Leben. Bis in das frühe 14. Jahrhundert wuchs die jüdische Einwohnerschaft erneut soweit an, dass der Stadtrat nun doch eine Judenordnung nach dem Nürnberger Vorbild für notwendig hielt. Am 25. Juli 1312 trat die Ordnung in Kraft und regelte in deutscher Sprache die rechtlichen Beziehungen zwischen Christen und Juden. Letztere waren nicht auf bestimmte Stadtteile eingeengt und konnten sich frei bewegen. Der Schwerpunkt einer jüdischen Ansiedelung verlagerte sich zu einer zentralen Ost-West-Straße am Marktplatz, die in offiziellen Dokumenten jedoch erst ab 1514 Judengasse heißt. Namensgebend war ein jüdisches Badehaus (nicht Mikwe!) in der Judengasse 3, von dem man noch 1836 Reste erkennen konnte. Die Synagoge stand weiterhin am nördlichen Ende der Paradeisgasse.

Bei den großen Pestverfolgungen 1348/49 wurde die jüdische Gemeinde erneut schwer getroffen. Den wirtschaftlichen Hintergrund dieser Verfolgungen zeigt eine Urkunde Kaiser Karls IV. (reg. 1346-1378), mit der er die Stadt von sämtlichen Schulden an Juden befreite und auch Pfändungen zum Eintreiben dieser Schulden untersagte.

Erst ab der Zeit vor 1384 lebten wieder Juden in Weißenburg. Im 15. Jahrhundert umfasste die jüdische Gemeinde etwa 150 Personen bzw. 15 Familien, die in bis zu neun Häusern wohnten. Weil ihnen eine vor 1514 erlassene, neue städtische Regelung auch den Tuch- und Getreidehandel verbot und eine Handwerktätigkeit ohnehin ausgeschlossen war, lebten die Familien ausschließlich vom Geldgeschäft.

Nach der Vertreibung der Rothenburger und Regensburger Juden 1519 forderten dies auch Weißenburger Bürger. Die neue Gewalt gegen Juden hing wohl mit der zunehmend unversöhnlichen Konfessionalisierung der Gesellschaft und den großen wirtschaftlichen Problemen der vorhergehenden Jahrzehnte zusammen. Anfangs versuchter der Rat der Stadt noch, seine Schutzgelder zahlende jüdische Gemeinde zu schützen, zumal er den Unwillen des Kaisers fürchtete. Jedoch entstand mit dem Tod von Maximilian I. (reg. 1486-1519) bis zur Krönung seines Nachfolgers Karl V. im Herbst 1520 ein Machtvakuum.

Am 5. Juni 1520 brach die Gewalt gegen die jüdischen Stadtbewohner aus. Zwei Bürgersfrauen (sic) führten den Mob an, der die Synagoge und die Häuser in der Judengasse plünderte. Zwar gab es keine Todesopfer zu beklagen und die Rädelsführer wurden vom Stadtgericht bestraft, doch zogen die Weißenburger Juden ihre Konsequenz aus den feindlichen Übergriffen. Vielleicht war es auch der Stadtrat, der den Konflikt mit seinen Bürgern scheute und sich insgeheim mit dem Barnos der Gemeinde auf ein Vorgehen einigte: Bis zum 6. Juli 1520 hatten die jüdischen Familien ihre Anwesen verkauft und zogen mit ihrer gesamten beweglichen Habe aus der Stadt. Eine Eskorte bewaffneter Ratsherren begleitete sie bis zum Grenzstein des städtischen Burgfriedens. Zur Vermeidung von späteren Rechtsstreitigkeiten mussten die jüdischen Familienoberhäupter einen Urfehdeschwur ablegen.

Anstelle der Synagoge, die entweder schon im Pogrom zerstört oder kurz darauf abgerissen wurde, erbauten die Weißenburger eine Marienkapelle. Auch hier folgten sie dem Vorbild anderer Reichsstädte, etwa Nürnberg oder Regensburg. Man versuchte mit der Kapelle eine Wallfahrt ins Leben zu rufen, allerdings wurde das Gotteshaus vom zuständigen Hochstift Eichstätt nie geweiht. Spätestens 1530 gab man den Plan auf, zumal die Stadtgemeinde den reformierten Glauben Martin Luthers annahm. Die Kapelle wurde abgerissen, der Platz blieb aber weitgehend unbebaut und erinnert bis heute mit seinem Namen "Auf der Kapelle" an die Ereignisse. Danach lebten jahrhundertelang nur noch vereinzelt Juden in Weißenburg, die keine Gemeinschaft bildeten und wegen ihrer geringen Zahl auch keine bleibenden Spuren hinterlassen haben.

Unmittelbar nach Kriegsende kam in Weißenburg eine kleinere Gruppe jüdischer DPs in regulären, von der US-Militärregierung beschlagnahmten Wohnungen oder Häusern unter. Es handelte sich mehrheitlich um ehemalige sowjetische Häftlinge eines Internierungslagers in der historischen Festung Wülzburg oberhalb von Weißenburg. Verstorbene Häftlinge, unter ihnen auch Juden, ruhen auf dem sog. Russischen Friedhof.

Die Verwaltung der Jüdischen DP-Gemeinde Weißenburg befand sich in einem Haus an der Westlichen Ringstraße 16, das gesellschaftliche und religiöse Leben fand in der Gaststätte "Zum Schlachthof" statt. Im Gasthaus war auch eine Betstube eingerichtet. Die DP-Gemeinde sammelte sich um den halachischen Rabbiner Jechiel Jakob Weinberg (1884-1966) aus Litauen, zweiter Vorstand war Abraham Lapkowski.

Weinberg hatte zunächst in Pilwiski als Rabbiner gewirkt und unterrichtete dann an der Hildesheimer Rabbinerschule in Berlin, die er zwischen 1931 und 1938 auch leitete. Nach der vom NS-Regime verfügten Schließung der Lehranstalt flüchtete Weinberg nach Osteuropa. Dort fiel er zum Anfang des Krieges den Deutschen in die Hände. Vermutlich um 1941 wurde Weinberg auf Anordnung des Reichsicherheitshauptamtes in das Internierungslager Wülzburg verschleppt. Das „Jüdische Komitee Weißenburg“, so der offizielle Name, war Teil des „Zentralkomitees der befreiten Juden“ mit Sitz in München. Ein regionale Untergliederung dieser jüdischen Selbstverwaltung befand sich in Bamberg. Die DP-Gemeinde zählte Ende 1945 bereits 70 Mitglieder und erreichte im März 1946 mit 100 Mitgliedern seinen Höchststand. Mit der zunehmenden Auswanderung nach Israel und in die USA schrumpfte die DP-Gemeinde auf 20 Personen im März 1950. Rabbiner Weinberg war inzwischen wegen seiner durch die Haftbedingungen angeschlagenen Gesundheit in die Schweiz gereist und lebte bis zu seinem Tod in Montreux. 1951 löste sich das Komitee auf.

Nach der Auflösung der DP-Gemeinde bildete sich keine neue IKG in Weißenburg. An die jüdische Geschichte der Stadt erinnert bis heute die lange "Judengasse" im Herzen der Altstadt zwischen Marktplatz und Bachgasse. Das 1998 gegründete Reichsstadtmuseum zeigt in seiner Dauerausstellung den jüdischen Grabstein von 1290. Der Platz "Auf der Kapelle" wurde 1999 im Zuge einer Altstadtsanierung renoviert. Für die jüdische Gemeinde von Weißenburg oder ihre Synagoge gibt es dort zwar (noch) kein Denkmal, dafür errichtete Bildhauer Günter Lang aus Eichstätt den kunstvollen Millenniumsbrunnen. In seinem Becken rinnt Wasser als Symbol der Zeit durch ein weißes Stadttor. Eine Büste des im Internierungslager verstorbenen Komponisten Schulhoff (1894-1942) wurde vom Rotary Club Weißenburg gestiftet und am 2. Oktober 2004 im Innenhof der Festung feierlich enthüllt.


(Patrick Charell)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Reiner Kammerl: Der "Russische Friedhof" im ehemaligen "Fallgarten". In: Villa Nostra-Weißenburger Blätter 3 (September) 2010, S. 19-27.
  • Ute Jäger / Stadt Weißenburg in Bayern (Hg.): Reichsstadt Weißenburg. Ein Rundgang durch das Reichsstadtmuseum und die historische Altstadt. Treuchtlingen / Berlin 2000 (= Gelbe Taschenbuch-Führer), S. 64-66.
  • Ulf Beier: Von der Höll- zur Paradeisgasse. Straßen- und Wohnstättennamen in Weißenburg. 2. Aufl. Weißenburg 2000, S. 80.
  • Germania Judaica. Band III: 1350-1519, Teilband 2, Tübingen 1995, S. 1570-1574.
  • Israel Schwierz: Die vergessenen jüdischen Toten von Weißenburg/Mittelfranken? In: Zeitschrift für fränkische Landeskunde und Kulturpflege 45. Jg. (1993), S. 360-361.
  • Germania Judaica. Bd. II: Von 1238 bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, Teilband 2, Tübingen 1968, S. 873.
  • Moritz Stern: Die Vertreibung der Juden aus Weißenburg 1520. In: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland 1 (1929). S. 297-303.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 172.
  • Sigmund Salfeld: Das Martyrologium des Nürnberger Memorbuches. Berlin 1898 (= Quellen zur Geschichte der Juden in Deutschland 3).