Jüdisches Leben
in Bayern

Sommerhausen Gemeinde

Aus dem 16. und 17. Jahrhundert haben sich vereinzelt Nachweise über jüdisches Leben in Sommerhausen erhalten. So werden in einer Urkunde aus dem Jahr 1532 unter den Gewährsmännern eines verschuldeten Würzburger Juden "Samvuel vnd Abraham zu Sumerhausen" genannt. Hundert Jahre später forderten die christlichen Bürger des Dorfes, dass die kriegsbedingten Kosten nicht von ihnen allein, sondern auch von den örtlichen Juden getragen werden sollten. 1646 fiel für jeden jüdischen Haushalt im Ort eine Sonderabgabe, ein sog. „Brunnengeld“, an und 1688 erhielten drei jüdische Bürger von Sommerhausen die Erlaubnis, Fleisch zu schächten.

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert versuchten die Gemeinde und der Ortspfarrer mehrfach, die örtliche Gemeinde und ihren Betraum abzuschaffen. Daraus darf man schließen, dass es spätestens seit dieser Zeit eine jüdische Gemeinde in Sommerhausen gab. 1749 genehmigte der damalige Grundherr Graf Johann Eberhard von Rechteren-Limpurg (1714-1754) die Errichtung einer Synagoge. Zu diesem Zweck erwarb die Kultusgemeinde das Anwesen des Schutzjuden Jakob Pollin (Haus Nr. 100 in der Hetschengasse, heute Casparigasse 2), das im Westteil des Dorfes lag. Es bestand aus einem unterkellerten Wohnhaus, einer Halle, einem Abtritt und einem Hofraum. Das Anwesen wurde zum Gemeindezentrum umbauen. Dazu gehörte eine vermutlich im Fachwerk ausgeführte Synagoge mit Pallisch zur Straße hin. Von dem Vorbau aus erreichte man über eine Treppe, die entlang der westlichen Giebelwand verlief, die Frauenempore. Winkelförmig dazu angeordnet, schloss sich im Osten ein zweigeschossiges Gemeindehaus an, in dem später ein Schulzimmer, die Lehrerwohnung, sowie eine Keller-Mikwe Platz fanden. Unbekannte beschädigten die neue Synagoge bereits im Jahr ihrer Errichtung. Daraufhin erfolgte die öffentliche Bekanntmachung, dass jeder, der das jüdische Gotteshaus demoliert, mit einer empfindlichen Strafe zu rechnen hätte. Ihre Toten bestattete die Gemeinde zum größten Teil auf dem Friedhof in Allersheim; einzelne Familien nutzten auch den Friedhof von Rödelsee.

1815 kam der Ort an das Königreich Bayern, erhielt 1817/18 im Rahmen des bayerischen Judenedikts 19 Matrikelstellen und wurde dem Rabbinatsdistrikt Würzburg zugeordnet. Um 1840 kam Sommerhausen in den Rabbinatsdistrikt Marktsteft, dessen Sitz Mitte des 19. Jahrhunderts nach Mainbernheim und 1871 nach Kitzingen verlegt wurde. 1820 gehörten zur Kulturgemeinde 104 Personen. Bis 1833 erreichte die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde ihren Höchststand mit 24 Familien und 113 Personen. Ihren Lebensunterhalt verdienten sich die Israeliten damals v.a. durch Warenhandel aller Art, u.a. handelten sie mit Eisen, Altkleidern, Hasenhaaren, Tuchwaren und Wein. Im Weinhandel gab es gute wirtschaftliche Aufstiegsmöglichkeiten. Einige Juden nutzten auch das neue Recht, landwirtschaftliche Flächen zu erwerben und verlegten sich auf den Anbau von Feldfrüchten und Wein. Da den Israeliten nun auch das Handwerk offen stand, gab es erste jüdische Lehrlinge beim Schuhmacher, beim Gold- und Silberschmied und beim Posamentierer (Hersteller textiler Besatzartikel, z.B. Borten, Kordeln, Spitzen). Die beiden jüdischen Weinhändler Moritz Palm und David Buchmann gehörten in den 1880er-Jahren zu den wohlhabendsten Mitgliedern der Kultusgemeinde. Buchmann war der zweitgrößte Weinhändler im Ort, besaß zwei ansehnliche Häuser, Weinberge und ein wertvolles Weinlager; Palm hatte sich ein hohes Vermögen erarbeitet und war der reichste Israelit im Dorf. Daneben führte auch Elias Stahl sehr erfolgreich seine Eisenwarenhandlung.

1820 besuchten 16 schulpflichtigen jüdischen Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren den Elementarunterricht in der christlichen Volksschule. Ihren Religionsunterricht erhielten sie von einem Privatlehrer. Seit 1825 erteilte ein staatlich geprüfter Lehrer den Religions- und Hebräischunterricht. Der 1826 in dieser Funktion von der Gemeinde provisorisch angestellte Samuel Eltmann übernahm zugleich das Amt des Chasan (Vorbeter). 1819 legte der Toraschreiber Liebersal/Lieberles das Memorbuch der Gemeinde an.

Als Folge der Baumaßnahmen, die von 1843 bis 1845 im jüdischen Gemeindezentrum durchgeführt wurden, gerieten die Sommerhauser Juden in eine schwierige finanzielle Lage. 1850 konnte sie nicht einmal mehr die Kosten für den laufenden Betrieb der Synagoge und der Schule, das Gehalt des Religionslehrers und die Abzahlung der Kredite aufbringen. Auch in Sommerhausen setzte eine starke Abwanderung in die Großstädte ein. Zählten 1869 noch 78 Personen zur Judenschaft, so gehörten ihr 1884 nur noch 15 Personen an. Der letzte fest angestellte Religionslehrer, Kantor und Schächter der Kultusgemeinde war Philipp Mandelbaum. Er arbeitete bis 1906 in der jüdischen Gemeinde Sommerhausen und bewohnte mit seiner Familie den ersten Stock des Gemeindehauses. Sein dürftiges Gehalt zwang ihn dazu, sich um weitere Einkünfte zu bemühen. Deshalb verlegte er sich auf die Herstellung und den Verkauf von koscherem Wein und versorgte Gemeindemitglieder mit koscherem Essen. Das im Keller des Gemeindehauses befindliche Ritualbad musste um die Wende zum 20. Jahrhundert geschlossen werden. Künftig benutzte man die Mikwe der jüdischen Gemeinde in Würzburg. In den ersten Jahren des 20. Jh. bekam die Kultusgemeinde Sommerhausen den einstigen Friedhof der 1891 aufgelösten jüdischen Gemeinde von Fuchsstadt als Eigentum übertragen. Über die letzten Jahrzehnte der Kultusgemeinde vor ihrer Auflösung 1938 gibt es nur wenige Nachrichten. Bereits in den 1920er Jahren übertrug die Gemeinde den Großteil ihres Archiv an den Verband Bayerischer Israelitischer Gemeinden nach München.

Bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 lebten noch 19 Jüdinnen und Juden im Dorf. Seit 1932 war Raphael Landecker alleiniger Vorsteher der Gemeinde. In der Folgezeit wanderte der Großteil der Israeliten aus oder zog in deutsche Großstädte um. Die jüdische Gemeinde wurde am 28. Juli 1938 aufgelöst. Das Novemberpogrom 1938 im Sommerhausen erlebten noch sechs jüdische Mitbürger im Dorf. Am Abend des 10. November versammelten sich Männer des örtlichen SA-Sturms, um deren Wohnungen und die Synagoge zu zerstören. Weitere Ortsbewohner schlossen sich ihnen an. Ein Mob aus 80 bis 100 Personen fiel in die jüdischen Wohnungen ein, schlug alles kurz und klein und vernichtete Hausrat und Vorräte. Auch das Geschäft des Ehepaars Landecker wurde komplett demoliert. Obwohl die Synagoge mittlerweile von christlichen und jüdischen Bürgern nur noch als Lagerraum u.a. für Getreide genutzt wurde, warfen die Nationalsozialisten alle Fenster ein und wüteten in den Innenräumen. Der Sakralbau ging anschließend in Gemeindebesitz über und wurde 1941 für die Unterbringung von Landarbeiterinnen weitgehend umgebaut. Dem Weinhändler Max Strauß gelang 1941 noch die Emigration in die USA. Doch die anderen konnten dem NS-Terror nicht mehr entkommen und starben nach ihrer Deportation in den Vernichtungslagern in Auschwitz und Sobibór.

Am Landgericht Würzburg kam es 1950 zur Hauptverhandlung gegen acht ehemalige SA-Männer, die beschuldigt wurden, sich am Novemberpogrom 1938 in Sommerhausen beteiligt zu haben. Ein Angeklagter wurde wegen schweren Land- und Hausfriedensbruch zu einer siebenmonatigen Haftstrafe verurteilt. Gegen vier Angeklagte wurde das Verfahren eingestellt; ein Beschuldigter kam in den Genuss der Weihnachtsamnestie vom 31. Dezember 1949 und zwei weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Man sprach dem Führer des SA-Sturms Sommershausen die Hauptverantwortung für die Taten zu. Er war jedoch im Krieg gefallen.

Im ehemaligen jüdischen Gemeindehaus wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vier Familien untergebracht. In den 1950er Jahren erwarb das Bischöfliche Ordinariat Würzburg von der JRSO die einstige Synagoge für die katholische Gemeinde in Sommerhausen. Ihr Betsaal wird seit 1953 als Marienkapelle der Pfarrei St. Nikolaus von Eibelstadt genutzt. Eine Gedenktafel, angebracht an der Hausmauer zur Casparigasse, erinnert an die ehemalige Funktion des Gebäudes als jüdische Synagoge.

 

(Christine Riedl-Valder)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Axel Töllner / Cornelia Berger-Dittscheid: Sommerhausen. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade, Lindenberg im Allgäu 2015, S. 793-805.
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken, in: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken, München 2012, S. 95-113.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt am Main 1937, S. 48f.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 239.