Jüdisches Leben
in Bayern

Sickershausen Gemeinde

Sickershausen zählte wie Hohenfeld, Gnodstadt, Marksteft, Martinsheim, Obernbreit und Oberickelsheim zu den sechs Maindörfern, die aus dem Erbe der 1390 ausgestorbenen Grafen von Hohenlohe-Brauneck an die Hohenzollern gefallen waren und zum brandenburgisch-ansbachischen Oberamt Creglingen gehörten.1462 erwähnt das Gerichts- und Achtbuch der Stadt Kitzingen die Sickershäuser Juden Sanwel/Sauwel und Eisack. Wie in Hohenfeld bildete sich auch in dem Bauern- und Winzerdorf Sickershausen eine jüdische Gemeinde, die dort spätestens 1574 nachweisbar ist. Am 10. November dieses Jahres bat Hans Endres von Wolfstein den Amtmann Christian von Seckendorff, der das markgräfliche Oberamt Creglingen verwaltete, um die Erlaubnis, einen Juden namens Abraham und drei weitere Juden in Sickershausen aufnehmen zu können.

In den Jahren 1582 und 1595 kam es zu Streitigkeiten um die weitere Duldung der Wolfsteinischen Schutzjuden. Die Konflikte wurden möglicherweise durch die wechselhafte Ausweisungspolitik der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach oder auch durch Auseinandersetzungen um die Dorfherrschaft in Sickershausen ausgelöst. Kurz vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs befürworteten Behörden der Markgrafschaft die Aufnahme der wohlhabenden Juden Fäustlein und Mattheß in Sickershausen und drei anderer Juden als brandenburgisch-ansbachische Schutzjuden. Eine lokale Sage erzählt vom Sickershauser "Judenbrunnen". Im Kern greift sie Verbrechen auf, die aus Habgier und Judenhass begangen wurden: "Vor langer Zeit lebte ein Bauer in Sickershausen. Er war ein geiziger und roher Mann und lieh sich eines Tages von einem Juden eine große Menge Geld. Trotz mehrmaliger Ermahnung zahlte er das geliehene Geld nicht mehr zurück. Der Jude kam nach Sickershausen und drohte dem Bauern, ihn vor Gericht zu verklagen. Darüber geriet der Bauer in Zorn und erschlug seinen Gläubiger. Der Sterbende sprach: 'Wenn auch kein Mensch deine Tat sieht, so muss dich die Sonne verraten!' Erst auf dem Sterbebett wollte der Mörder sein Gewissen erleichtern und erzählte seiner Frau von der Tat. Er hatte den Leichnam in einen Brunnen geworfen, der fortan von der Bevölkerung Judenbrunnen genannt wurde". Wo sich dieser Brunnen aber befunden haben soll, ist unbekannt.

Rund 150 Jahre später fanden 1763 mehrere der 20 jüdischen Familien nach ihrer Vertreibung aus der zum Hochstift Würzburg gehörenden Landstadt Kitzingen in Sickershausen Zuflucht. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebten acht jüdische Familien mit 36 Personen in Sickershausen. Laut dem Marktbreiter Gerichtsarzt Georg Albrecht Weinrich war die Kultusgemeinde sehr arm. 1817 verfügten vier Sickershäuser Juden über die gesetzlich vorgeschriebenen Matrikelstellen. Zu ihnen gehörte der Viehhändler und Schächter Jacob David Mayer und der Viehhändler Moses David Meier, der ebenfalls Viehhandel betrieb. Jacob Loew Wolf lebte von Handarbeit, während Seeligmann Raphael Guthmann sich als Schmuser betätigte. An Einrichtungen hatte die Gemeinde eine Synagoge, eine Religionsschule und ein rituelles Bad. Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Mainbernheim und seit 1871 zu Kitzingen. Die Toten der Gemeinde wurden auf dem jüdischen Friedhof in Rödelsee beigesetzt.

1826 wurde in Sickershausen Josef Mayer geboren, dessen 33-jähriges Wirken als streng orthodoxer Religionslehrer in Windsbach ein Nachruf in der Zeitschrift "Der Israelit" am 28. Februar 1895 würdigte. Besonders hervorgehoben wurde Mayers "Mithilfe bei Kranken und Sterbefällen". 1864 gehörten zur Gemeinde acht Haushalte. Fünf Jahre später, als man 51 Mitglieder zählte, erhielten die 15 jüdischen Kinder aus Sickershausen in Marktsteft Religionsunterricht. Die innerjüdische Solidarität der Sickershäuser Juden belegt eine in der Zeitschrift "Der Israelit" am 7. Februar 1877 veröffentlichte Spendenliste. Zu den dort genannten Spendern für die vom Brückenauer Stadtbrand am 13. August 1876 betroffenen Juden gehörte auch der ortsansässige Sußmann Meyer, der bei der Verlobung Karoline Meyers – wohl seiner Tochter – mit Seligmann Gutmann auch seinen zukünftigen Schwiegersohn und zwei andere Juden zum Spenden motivieren konnte.

Nachdem die meisten Sickershäuser Juden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Kitzingen gezogen waren, löste sich die Kultusgemeinde wohl um 1900 auf. Das genaue Datum der Auflösung ist bislang nicht bekannt. 1910 lebte kein einziger Jude mehr im Ort. Der Shoah fielen laut Alemannia Judaica folgende in Sickershausen geborene oder längere Zeit dort lebende Jüdinnen und Juden zum Opfer: Sophie Berck, Therese Liebenstein geb. Mayer, Ferdinand Mayer, Leopold Mayer, Rosa Mayer und Siegfried Mayer.


(Stefan W. Römmelt)

Bevölkerung 1875

Literatur

  • Elmar Schwinger / Hans-Christoph Dittscheid / Hans Schlumberger: Kitzingen mit Hohenfeld und Sickershausen. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.2. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1039-1102.
  • Johann Ludwig Klarmann / Karl Spiegel (Hg.): Sagen und Skizzen aus dem Steigerwald. Gerolzhofen 1994, S. 125.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 227.
  • K. statistisches Bureau: Ergebnisse der Volkszählung im Königreiche Bayern am 1. Dezember 1875 [...]. München 1877 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 36). S. 198.