Jüdisches Leben
in Bayern

Rothenfels Gemeinde

1222 verpfändete der Ritter (und Würzburger Bürger) Billung d.J. von Pleichfeld dem Juden Joseph aus Wetheim einen Weinberg in Unterdürrbach, heute ein Vorort der Stadt. Die Urkunde wurde vom Schottenkloster St. Jakob in Würzburg ausgestellt und nennt als Zeugen unter anderen "natan de rotenuelse": Es ist der bislang älteste Hinweis auf eine jüdische Familie in Rothenfels. Bemerkenswert an diesen Vorgängen ist, dass "christiani ac iudei" selbstverständlich neben- und miteinander handeln. Es gab im mittelalterlichen Rothenfels einen jüdischen Friedhof, der auf eine funktionierende selbstständige Gemeinde schließen lässt. Er wird jedoch erst 1531 in einem Urbar als Flurnamen erwähnt, war zu dieser Zeit also schon aufgelassen: ein ebener, von Süd nach Nord verlaufender keilförmiger Streifen zwischen der den Main begleitenden Landstraße und dem in nördliche Richtung zum Landwehrgraben führenden Mittleren Weg. 

Ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts begann für die Juden in Franken eine Friedens- und Blütezeit, die 1298 mit dem Rintfleisch-Pogrom (ausgehend von Röttingen an der Tauber) schlagartig endete. Dem Pogrom folgte 1336/37 die antisemitische Armleder-Erhebung und 1347-52 die Pogrome der Pestjahre. Jedes dieser Ereignisse hätte das Ende der jüdischen Gemeinde auch im Städtchen Rothenfels bedeuten können, das sich vor den Heimsuchungen der nahegelegenen Hauptstadt und umliegender Orte nicht verstecken, geschweige denn gegen einen etwaigen Ansturm rache- und beutehungriger Massen verteidigen konnte. Die schriftlichen Quellen geben aber keine Auskunft, ob und wann hier die Juden vertrieben oder umgebracht wurden. Allen Katastrophen zum Trotz hat es im Spätmittelalter wieder jüdische Bewohner im Ort gegeben; von 1333 bis zur Säkularisation 1803 gehörten Stadt und Burg Rothenfels zum Hochstift Würzburg, daher waren die ansässigen Schutzjuden von der teils erratischen fürstbischöflich-würzburgischen Judenpolitik abhängig. Im Jahr 1342 besiegelten Kaiser Ludwig IV. der Bayer und Fürstbischof Otto II. von Würzburg (reg. 1333-1345) eine finanzielle Vereinbarung, unter anderem über die möglichen Abgaben jüdischer Bürger in Rothenfels und Gemünden. 1486 wurde in Frankfurt eine Jüdin Bestian aktenkundig, "wohnhaft zu Rothenfels unter dem Bischof von Würzburg". Spätestens im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts lebten in Rothenfels jedoch keine Juden mehr: 1531 setzen die erhaltenen Ratsprotokolle und Grundsteuerregister ein, und sie enthalten noch lange keine Mitteilungen über jüdische Bewohner. 

Neues jüdisches Leben begann wahrscheinlich schon während oder unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648), was sich mit der allgemeinen Entwicklung in der Region decken würde: Zunächst zwei Schutzjuden erhielten mit ihren Familien die Wohnerlaubnis. Beide Haushalte lebten vom Handel mit Gewürzen, Stoffen und Kurzwaren. In dem zu Rothenfels gehörenden (ab 1822 als Kommune selbstständigen) Dorf Bergrothenfels werden nach 1720 die Familien Wolff, Schlommel, Behrlein, Itzig und Nathan genannt, dann die aus der Stadt umgesiedelten Berl, Perlein, Männlein (Freudenberger), Hirsch (Herrmann), Isack (Heil), schließlich Hamburger und Kahn. Die neuzeitliche Judengemeinde von Rothenfels und Bergrothenfels hatte keinen eigenen Friedhof. Ihre Toten brachte sie auf den um 1600 gegründeten großen Verbandsfriedhof nach Laudenbach bei Karlstadt am Main, den sich bis zu 14 Kultusgemeinden der Region teilen. Eine Synagoge in Form eines Betraums gab es bis 1775 im ausgebauten Dach vom Haus des Familie Moyses Lazarus (heute Neubau Hauptstr. 14). Erstmals 1655 bezahlten die ersten aktenkundigen Rothenfelser Judenfamilien gemeinsam einen Lehrer für ihre Kinder. 

Die sporadischen Erwähnungen durch das 18. Jahrhundert hindurch lässt auf eine mehr oder minder durchgängig besetzte Lehrstelle schließen. Wie bei kleinen Landgemeinden üblich, amtierte der Religionslehrer auch als Vorsänger. Ab 1676 versuchten Bürgermeister und Rat, die Zahl der in Rothenfels zugelassenen Schutzjuden-Familien auf zwei zu reduzieren. In den Anträgen an die Würzburger Regierung flossen wirtschaftliche und religiöse Argumente zusammen und mündeten in einen rigorosen Antisemitismus. Mehrere Ausweisungsversuche gelangen (1736, 1749); die aus der Stadt Vertriebenen und ihrer Häuser Enteigneten durften sich in Bergrothenfels und im benachbarten Amtsort Karbach niederlassen. In Rothenfels lebten so vom 17. bis 19. Jahrhundert in wechselnder Anzahl zwei bis fünf, in Bergrothenfels zwischen drei und sechs Familien. Am 4. Januar 1750 beschloss der Stadtrat in Anwesenheit des fürstbischöflichen Oberamtmanns, dass den "Betteljuden" zur Vermeidung ansteckender Krankheiten die Überfahrt mit der Mainfähre verboten, und die zwei jüdischen Familien sie auch nicht in der Stadt beherbergen dürften. In Rothenfels kam es mehrfach zu Aufsehen erregenden Konversionen: Am 7. September 1719 wurde in der Stadtpfarrkirche "unter großem Zulaufe des Volkes" eine 24jährige Jüdin aus Reichenberg getauft. Ihre prominenten Taufpaten waren der fürstbischöfliche Oberamtmann Philipp Emmerich Philibert von Hettersdorf (1711-1749) und seine Frau Charlotta Katharina Brigitta, geborene von Guttenberg; von ihnen bekam die junge Frau ihre neuen Vornamen. An ihre Konversion erinnert bis heute ein Bildstock aus rotem Sandstein. Bereits am 8. Januar 1720 heiratete sie den Büttnermeister Johann Michael Weitze, und das dürfte auch der Grund für ihre Konversion gewesen sein. Am 11. September 1781 starb sie hochbetagt als Pfründnerin im Rothenfelser Juliusspital. Ein halbes Jahrhundert später, am 10. März 1771 ließen sich ebenfalls in der Stadtpfarrkirche zwei junge Juden taufen. Sie waren Brüder aus Homburg am Main, 22 und 20 Jahre alt. Sie bekamen neue Taufnamen, nämlich die ihrer Paten, des Centgrafen Franz Ludwig Lippert und des Stadtschreibers Franz Nikolaus Fleischmann, und den Zunamen Christenfels, hergeleitet von der Stadt Rothenfels. Bald darauf gingen sie nach Frankfurt unter die "kaiserlichen Kriegsvölker".

1813 kam Rothenfels an das Königreich Bayern. Bei der Vergabe der Judenmatrikeln 1817 erfassten die Beamten in (Stadt-)Rothenfels nur einen Haushalt, nämlich den damals 64jährigen Nathan Isack [sic] Heil. Er ernährte sich, seine Frau, seine vier Söhne und vier Töchter vom Vieh- und Warenhandel. In Burgrothenfels lebten die Familie Hirsch und die Witwe Freudenberger. Mit der einsetzenden Schulpflicht besuchten die jüdischen Kinder die christlichen Elementarschulen. Der Religionsunterricht fand weiterhin in Privathäusern oder dem Betraum statt. Bei der staatlichen Kontrolle aller Ritualbäder wurde die Mikwe in Rothenfels nicht beanstandet – allerdings ist ihr Standort nicht mehr bekannt.

1833 lebten im Patrimonialgericht Rothenfels (Stadt Rothenfels, Bergrothenfels, Greußenheim und Karbach) insgesamt 182 Jüdinnen und Juden in 38 Familien. In diesem Jahr legte Gemeindesprecher Nathan Freudenberger (1784-1868) ein bemerkenswertes Papier mit Forderungen zur Judenemanzipation vor. Es setze aber auch der langsame Niedergang der ohnehin kleinen Kehillah Rothenfels/Bergrothenfels. 1840 emigrieren drei junge, ledige Frauen von Bergrothenfels nach Nordamerika, darunter die Jüdin Rosina Hamburger. Mit dem Wegfall der Wohnorts- und Berufsbeschränkungen 1861 zogen weitere in die wachsenden Großstädte. Die Entwicklung zeigt sich auch an den Brüder David und Abraham Heil. Sie hatten, sobald die bayerische Politik den Juden eine freie Berufsausübung ermöglichte, in Bergrothenfels zwei Bauernhöfe und viel Land dazu erworben. Zum Erstaunen und bald auch mit Respekt ihrer Umgebung zeigten sie, dass sie als "Ökonomen" erfolgreich waren. Ihre Nachkommen wiederum hatten kein Interesse mehr an der Landwirtschaft in dem wirtschaftlich bescheidenen, kleinen Ort und wanderten ab. Die Eröffnung der Eisenbahnlinie zwischen Lohr und Wertheim im Jahr 1881 änderte nichts mehr an der Situation. Die Schriftquellen geben keinen Aufschluss über eine formelle Abmeldung als Korporation oder eine Auflösung der Synagoge und den Verbleib des Interieurs. Das Ende begann mit dem fast gleichzeitigen Tod der führenden Familienoberhäupter zwischen 1868 und 1877. Als letzter in Bergrothenfels verbliebener Jude zog 1896 Nathan Kahn (1832-1913) nach Lohr a.Main. Seine Tochter Frieda Kahn (1872-1930), nach Aufenthalten in Philadelphia und Lohr als einzige nach Bergrothenfels zurückgekehrt, konvertierte 1901 und heiratete den katholischen Steinhauer Andreas Benno Völker. "Jetzt ist kein einziger Jude hier mehr ansässig", notierte der katholische Pfarrer von Rothenfels um 1900 in einem Nachsatz zur Pfarrchronik.


Persönlicher Dank geht an Dr. Winfried Mogge (Berlin) für seine freundliche Unterstützung.

(Patrick Charell)

Bevölkerung 1875

Literatur

  • Germania Judaica. Bd.1: Von den ältesten Zeiten bis 1238, Berlin 1917 u. 1934, Nachdr. Tübingen 1963, S. 311
  • Winfried Mogge, "Wir hingegen in gedachten städtlein gebohren und gezogen seyn...". Auf den Spuren der Juden von Rothenfels am Main. Würzburg 2015 (= Beiträge zur Geschichte von Rothenfels am Main 1).
  • Winfried Mogge: Spuren einer Minderheit. Das Beispiel Rothenfels: Juden mussten stets um ihren Platz in der Gesellschaft bangen. In: Spessart. Monatszeitschrift für die Kulturlandschaft Spessart, Jg. 111, Januar 2017, S. 16-21.
  • Dirk Rosenstock (Bearb.): Die Unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle. Würzburg 2008 (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg 19), S. 191f.
  • K. statistisches Bureau: Ergebnisse der Volkszählung im Königreiche Bayern am 1. Dezember 1875 [...]. München 1877 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 36). S. 203.