Jüdisches Leben
in Bayern

Röllbach Gemeinde

Von 1317 bis 1483 war Röllbach eine Vogtei des Deutschen Ordens, der von dort aus 34 Orte und vier Höfe verwaltete. Am 27. Mai 1484 erwarb der Mainzer Kurfürst und Erzbischof Berthold von Henneberg (reg. 1484-1504) die Kommende Prozelten, zu der auch Röllbach gehörte. Sein Wappen thront seit 1503 über dem Portal der Pfarrkirche. Auch wenn die Ursprünge der kleinen jüdischen Gemeinde in Röllbach im Dunklen liegen, erscheint die Ansiedelung von Schutzjuden unter dem Deutschen Orden als eher unwahrscheinlich. Auch unter dem Krummstab lebte es sich für Juden nicht unbedingt leichter, denn die offizielle Judenpolitik wechselte je nach der persönlichen Einstellung des Erzbischofs. Mindestens seit dem 18. Jahrhundert lebten dauerhaft Familien jüdischen Glaubens im Ort, über ihre Gemeinde ist jedoch nur sehr wenig bekannt.

Bei der Erstellung der Matrikellisten 1817 wurden in Röllbach insgesamt sechs Matrikelstellen verzeichnet. Diese teilten sich drei Familienverbände: Die zwei Brüder Affrom Nathan und Marx Nathan Oppenheimer (Schacherhandel), die drei Brüder Feist Rosenstock (verschiedener Handel), Samuel Rosenstock (verschiedener Handel) und Bär Rosenstock (Viehhandel), sowie Leser Freudenberger ("Schmuser" d.h. Handelsvermittler). Die Rosenstocks hatten 1811 zunächst den Familiennamen Rothschild angenommen, den sie jedoch 1817 aufgrund seiner Prominenz wieder ablegen mussten. An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge, eine Religionsschule und ein rituelles Bad, alles vereint unter einem Dach. Dieses Gemeindezentrum war in einem einfachen Reihenhaus untergebracht (Gartenstraße 4). Die Kehillah gehörte zum Distriktrabbinat Aschaffenburg und bestattete ihre Toten auf dem Verbundfriedhof in Reistenhausen. Zur Besorgung der religiösen Aufgaben dürfte im Verlauf des 19. Jahrhunderts zumindest zeitweise ein eigener Lehrer vorhanden gewesen sein, der zugleich als Vorbeter und Schochet (Schächter) gewirkt hat. Die Kinder besuchten neben dem Religionsunterricht im Gemeindehaus die reguläre Elementarschule. 1875 lebten 24 Menschen jüdischen Glaubens in Röllbach, bei einer Gesamtbevölkerung von 991 (2,7 Prozent).

Um 1924 wurden noch 16 jüdische Gemeindeglieder in drei Familien gezählt. Sie machten nur 1,3% der rund 1.200 Einwohnern aus. Das letzte schulpflichtige Kind bekam seinen Religionsunterricht durch den Lehrer Leopold Lehmann aus Eschau. Im Lauf der 1920er Jahre konnte kein Minjan mehr zusammenkommen. Nachdem die Synagoge und die Religionsschule mehrere Jahre ungenutzt geblieben waren, verkaufte Vorsteher Josef Reiss das Gebäude an die Kommune.

Von den in Röllbach geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen:

Sara Fernheimer geb. Rosenstock (1877), Emanuel Fried (1881), Sigmund Fried (1877), Wilhelm Oppenheimer (1882), August (Gustel) Rapp geb. Rosenstock (1896), Selma Reiss geb. Oppenheimer (1886), Johanna Rindsberger geb. Rosenstock (1886), Hugo Rosenstock (1897), Eva Schiff geb. Fried (1875), Dora Stein (1913), Rosa Stein geb. Fried (1879), Meta Strauß geb. Oppenheimer (1891), Regine Worms geb. Oppenheimer (1886).   


(Patrick Charell)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. 2. Aufl. München 1992 (= Bayerische Landeszentrale für politische Bildung A85), S. 117.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 238.
  • K. statistisches Bureau: Ergebnisse der Volkszählung im Königreiche Bayern am 1. Dezember 1875 [...]. München 1877 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 36), S. 209.