Jüdisches Leben
in Bayern

Rödelsee Gemeinde

Ende des 14. Jahrhunderts wird mit Rav Gerschom ben Jehuda erstmals ein Jude aus Rödelsee namentlich erwähnt: Er schrieb einen Teil der Vokalzeichen in einer von 1390 bis 1396 entstandenen, heute in der Londoner British Library verwahrten Tora-Handschrift. In der Mitte des 16. Jahrhunderts versuchte der Würzburger Fürstbischofs Friedrich von Wirsberg (reg. 1558-1573) auch aus jenen Territorien die Juden ausweisen zu lassen, in denen er nur einen Teil der Grundherrschaft innehatte. In Rödelsee scheiterte dies an Wilhelm Moritz von Hessberg zu Unterlaimbach und Rödelsee, der zusammen mit dem Fürstbischof, dem Grafen von Castell und dem Zisterzienserkloster Ebrach die Dorfherrschaft ausübte.

Zu den wichtigsten Persönlichkeiten der jüdischen Gemeinde gehörte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Mann namens Beifuß, dem sein Schutzherr wichtige diplomatische Missionen übertrug: 1567 nahm er zusammen mit dem Fuldaer Rabbiner Rubin als Vertreter der Landjudenschaften im Reichskreis Franken am Wiener Kaiserhof eine erneute Bestätigung der Judenprivilegien entgegen. Vier Jahre später vertrat er Ernst von Crailsheim und die fränkische Judenschaft am Kaiserhof in Wien und Pressburg.  

Da im benachbarten Würzburgischen Iphofen keine Juden mehr leben durften, ließen sich jüdische Kaufleute gegen Ende des 16. Jahrhunderts bevorzugt in Rödelsee nieder. Zu der ökonomischen Attraktivität des Dorfs kam als positiver Standortfaktor die Möglichkeit zum Talmudstudium. Laut dem Mit-Dorfherrn Graf Heinrich von Castell lebten 1579 über 200 Juden in Rödelsee, die zum Teil auch Weinbau betrieben, da die Crailsheimer im selben Jahr für Juden bestimmte Häuser mit Besitzrechten an Weinbergen errichteten. Der verstärkte jüdische Zuzug führte in den 1580er Jahren zu einem bis 1602 dauernden, mit unbekanntem Ausgang endenden Prozess, mit dem Castell die Ausweisung der Juden aus Rödelsee erreichen wollten. Kurz nach 1584 verboten die Grafen von Castell und die Zisterzienserabtei Ebrach ihren jeweiligen Untertanen im Ort, ohne vorherige Erlaubnis mit den Juden in Rödelsee Handel zu treiben. 

Einige Jahre später bekam Beifuß den Machtwillen des judenfeindlichen Würzburger Fürstbischofs Julius Echter von Mespelbrunn (1573-1617) zu spüren: 1591 ließ der Gegenreformator die Tochter des "Diplomaten"“ – anstatt der eigentlich beschuldigten Ehefrau von Beifuß – und gleichzeitig die Frau des Rödelseer Rabbiners verhaften, weil sie angeblich unerlaubte Kreditgeschäfte in den zum Hochstift Würzburg gehörenden Orten Iphofen und Großlangheim getätigt haben sollten. 

Da die Auseinandersetzungen der Dorfherren über die jüdische Präsenz in Rödelsee um 1600 die gemeinsame Dorfgerichtsbarkeit blockiert hatte, stimmten die Herren von Crailsheim mit Vertrag von 1615 der Ausweisung ihrer Schutzjuden zu. In der Folgezeit verließen zahlreiche Familien Rödelsee. Die Blütezeit der jüdischen Gemeinde war damit vorüber, ohne dass dies jedoch das Ende der jüdischen Gemeinde bedeutet hätte. Trotz der Ausweisungen lebten 1623 zwei würzburgische Schutzjuden im Ort: Abraham und sein Sohn Wolf. 1650 erwarb das Hochstift die – offensichtlich lukrativen – Rechte am jüdischen Friedhof in Rödelsee und damit auch das jährlich anfallende Schutzgeld von 15 Reichstalern und den Totenleibzoll.

Knapp 50 Jahre später, 1699, lebten in Rödelsee ebenfalls zwei hochstiftische Schutzjuden, der Totengräber David und Marx, die allerdings wegen des für den Friedhof bereits entrichteten Schutzgelds kein Schutzgeld zu entrichten hatten. Vier Familien mit insgesamt 15 Personen gehörten zu den Crailsheimischen Schutzjuden, während Josef – ein bemerkenswerter, in der Region nur noch in Mainstockheim bezeugter Ausnahmefall – das Schutzgeld direkt an die Dorfgemeinde entrichtete. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wuchs die jüdische Gemeinde in Rödelsee stark an. 1740 existierten im Dorf 26 jüdische Haushalte, von denen 21 Schutzgeld an die Herren von Crailsheim, zwei an die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach und drei an die Dorfgemeinde zahlten. Die großzügige Ansiedlungspolitik der Freiherren von Crailsheim provozierte sechs Jahre später eine Eingabe des katholischen Pfarrers Rosenecker. Der Ortsgeistliche beschwerte sich 1746 bei der geistlichen Regierung in Würzburg darüber, dass dank der großzügigen Aufnahmepolitik der Freiherren von Crailsheim rund 200 Juden in Rödelsee lebten.

Nach dem Ende des Hochstifts Würzburg lebten um 1810, laut einem Bericht des Landgerichts Marktsteft an die Schulkommission des Großherzogtums Würzburg, 20 schulpflichtige jüdische Kinder im Ort. Sie wurden von einem Melamed in Religion und im Schreiben und Lesen in hebräischer und deutscher Sprache unterrichtet. Der Unterricht fand allerdings nicht in einem eigenen Schulhaus, sondern in einem kleinen Zimmer der angemieteten Lehrerwohnung statt. Im Jahr 1812 beanstandete das Marktstefter Gerichtsphysikat den Zustand der Rödelseer Mikwe, da diese nicht beheizbar sei. 16 Jahre später erreichte der Kitzinger Gerichtsarzt, dass in die Mikwe ein Kessel eingebaut wurde, der einen Teil des Tauchwassers erhitzte.

Als 25 jüdische Familien mit 107 Personen in Rödelsee lebten, entschied sich die eher arme Kultusgemeinde 1817 dazu, aus Kostengründen ihre Kinder auf die (katholische) Volksschule im Ort zu schicken. Den Religionsunterricht erteilte jedoch weiterhin ein jüdischer Lehrer. Nach dem ersten namentlich genannten, aus Kleineibstadt stammenden Religionslehrer, Vorsänger und Schächter David Mayer Kissinger ist 1835 Moses Löwenberg als Religionslehrer und Vorsänger nachweisbar. 1870 trat sein Nachfolger Abraham Frank den Dienst als Religionslehrer und Vorsänger in Rödelsee an, wo er bis 1910 wirken sollte. Beide Lehrer sorgten für Kontinuität in einem weitgehend konfliktfreien Gemeindeleben. 

Als 1861 der bayerische Matrikelparagraph aufgehoben wurde, setzte auch bei den in Rödelsee lebenden Juden eine Landflucht ein, die zu einem Schrumpfen der Gemeinde führte. Viele Familien wanderten nach Kitzingen ab. Schließlich besuchten 1897 nur drei jüdische Kinder – Lazarus Bernheimer und die Brüder Moritz und Ignatz Oppenheim die Volksschule in Rödelsee. Zu dieser Zeit kam kein Minjan mehr zustande.

Am 14. August 1901 feierte die Rödelseeer Bestattungsbruderschaft mit einem Jubiläumstreffen und einem Festessen ihr 200-jähriges Bestehen. Da in Rödelsee und Großlangheim fünf Jahre später nicht mehr die Voraussetzungen für den Weiterbestand als eigenständige jüdische Gemeinden gegeben waren, verfügte die Regierung von Unterfranken 1906 die Vereinigung der beiden Gemeinden. Zum Sitz der Kultusgemeinde wurde Großlangheim bestimmt. 2008 wurden vier Stolpersteine für die 1943 deportierten und in Auschwitz ermordeten Hermann, Sophie und Lutz Löwenstein und die 1942 nach Theresienstadt deportierte Cilly Oppenheim, die dort am 29. September desselben Jahres ermordet wurde, am Standort der ehemaligen Synagoge verlegt.


(Stefan W. Römmelt)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Hans Schlumberger / Hans-Christof Haas: Großlangheim mit Rödelsee. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.2. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 987-1019.
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken, in: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken. München 2012, S. 95-113.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 227.