Jüdisches Leben
in Bayern

Pappenheim Gemeinde

Wahrscheinlich gab es bereits im 13. Jahrhundert eine jüdische Ansiedelung in Pappenheim. Die nachweisbare Geschichte beginnt jedoch am 22. Juni 1330 mit der Bestätigung eines schon vorher ausgeübten Judenschutzes, das Kaiser Ludwig IV. (reg. 1314-1347) seinem Reichserbmarschall Rudolf von Pappenheim übereignete. Daraufhin bildete sich im Ort die erste Kultusgemeinde mit einer Synagoge und einem eigenem Friedhof. Die Pappenheimer übten als Reichserbmarschälle den Schutz und die rechtliche Obrigkeit über „Fremde“ und Juden während der Reichstage aus. Außerdem unterstanden ihnen von 1447 bis 1647 auch die Juden im nahen Treuchtlingen und von 1571/74 bis 1668 jene in Markt Berolzheim.

Bereits um 1480 war die erste Gemeinde aus bislang unbekannten Gründen wieder verschwunden und der Friedhof aufgelöst. Von einer gewaltsamen Vertreibung im Gebiet der Pappenheimer ist zwar nicht bekannt, aber angesichts zeitgleicher Ausschaffungsedikte in anderen fränkischen Territorien kann diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden. Fragmente von Grabsteinen sollen sich noch lange im örtlichen Augustinerkloster und am barocken Taharahaus erhalten haben, sind aber heute verschollen. Das jüdische Gotteshaus musste dem erweiterten Neubau der Marienkirche weichen (heute evangelische Stadtpfarrkirche an der Graf-Carl-Straße 7).

Nur drei jüdische Familien waren während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) im Pappenheimer Burgfrieden geduldet. Anschließend stieg ihre Zahl auf sieben Familien mit insgesamt etwa 30 bis 40 Personen an, was bei der Bevölkerung zu Protesten führte. Ein gräflicher Rezess vom 31. Juli 1692 legte die Höchstzahl von vier Schutzjuden mit ihren Familien fest. Zunächst waren es die Häuser der Hoffaktoren Jacob Amson (1670-1709) und Hirsch Oppenheimer (✡ 1709), die beide zur wohlhabenden Oberschicht zählten und Stadt wie Hof mit Krediten versorgten. Außerdem nennen die Quellen einen Samuel ben Perle sowie den Schulmeister und Totengräber Peßach ben Josua. Drei betagten Juden gestand man dazu noch ein lebenslanges Wohnrecht zu, alle anderen jedoch mussten den Ort bis zum 29. September verlassen.

Es lässt sich nicht mehr überprüfen, ob das Rabbinat Pappenheim bereits um 1600 als Hauptort der Landschaft Altmühl eine übergeordnete Rolle für die Juden der Region gespielt hat. Im 17. und 18. Jahrhundert jedenfalls hatten die Pappenheimer Juden als Schützlinge der Reichserbmarschälle und sogenannte "Reichtagsjuden" zu Regensburg einen Sonderstatus.Rabbiner sind in Pappenheim seit dem frühen 17. Jahrhundert bis Ende des 18. Jahrhunderts lückenlos belegt, nur zwischen 1795 und 1807 blieb das Amt vakant. Eine lokale Besonderheit war das Asylrecht, welches Kaiser Karl IV. (reg. 1346-1378) den Marschällen verliehen hatte: Gegen ein „Geleitgeld“ konnten Juden aus allen Gebieten des Reiches ein Asyl beantragen, das bis zu 24 Jahre dauern konnte. Sie mussten lediglich nachweisen, dass die Gründe nicht selbstverschuldet waren. Die meisten Antragssteller waren nach heutigen Begriffen Wirtschaftsflüchtlinge, die aus dem „privilegirten Orte“ heraus ihre finanziellen Angelegenheiten in Ruhe regeln konnten. Die Kultusgemeinde besaß neben einem Betsaal und einer Kellermikwe auch ein „Judengasthaus“ – eine Herberge für Bedürftige und durchreisende Betteljuden an der Landstraße nach Treuchtlingen gegenüber dem jüdischen Friedhof (heute Bürgermeister-Rukwid-Straße). Als Stiftung eines Meir Secharia ben Jehuda bestand er bereits ein oder zwei Jahrzehnte vor seiner ersten Erwähnung im Jahr 1594. In dieser Begräbnisstätte wurden bis 1773 auch Verstorbene aus Treuchtlingen, Ellingen, Markt Berolzheim, Dittenheim, Weimersheim und aus Regensburg beerdigt.

Die Obergrenze von vier Familien wurde dauerhaft nicht eingehalten; rund um die zentral gelegene „Judengasse“ nahe dem Marktplatz (heute Deisinger Straße) wuchs die Gemeinde unter dem Schutz der Pappenheimer, gemehrt von jüdischen Flüchtlingen aus Pfalz-Neuburg (1743), und gegen Ende des 18. Jahrhunderts durch einen weiteren Zuzug aus dem Umland. Mit der Einrichtung des neuen Treuchtlinger Friedhof verlor Pappenheim seine Bedeutung als Verbandsfriedhof: Im 19. Jahrhundert wurden neben den Pappenheimer Juden selbst nur noch Personen aus Eichstätt beigesetzt. 1858 ersetzte ein moderner Neubau das alte barocke Taharahaus, welches auf der anderen Straßenseite dem Hang gegenüberstand. Zwischen 1650 und 1806 traten sieben Pappenheimer Juden zum Christentum über, die Reichserbmarschälle übernahmen die Taufpatenschaft ihrer Schützlinge.

Mit dem Ende des Alten Reiches im Jahr 1806 wurde die Grundherrschaft der Pappenheimer durch das Königreich Bayern mediatisiert. Die jüdische Gemeinde bestand zu dieser Zeit aus insgesamt 188 Personen in 39 Haushalten, die sich längst nicht mehr nur in der Judengasse drängten: Jüdische Familien lebten am Marktplatz und vor allem in der Herrngasse (heute Graf-Carl-Straße), die mit dem Synagogenneubau des 19. Jahrhunderts zum zweiten Siedlungsschwerpunkt der Kultusgemeinde wurde. Die meisten Hausväter arbeiteten noch im Handel; früh sind Pappenheimer Juden aber auch in Handwerksberufen nachgewiesen, aus denen sie vor dem Bayerischen Judenedikt noch ausgeschlossen waren. Bedürftige Gemeindemitglieder scheint es nur wenige gegeben zu haben, andererseits mussten einige Männer mehrere Berufe gleichzeitig ausüben, um über die Runden zu kommen. Als Laubhütte wurde im Haus Klosterstraße 14 (ehem. Münzamt) ein nachträglicher Fachwerkeinbau identifiziert, den wohl der jüdische Handelsmann Isaak Moses Neumann im Jahr 1813 einbauen ließ.

Pappenheim galt ab 1825 als Distriktsrabbinat mit Ellingen als einziger Filiale. Als letzter Rabbiner wirkte 36 Jahre lang Haymann Joseph Emden (1754-1848). Nach ihm blieb das Amt zunächst vakant, bis sich Pappenheim 1852 an Treuchtlingen anschloss. 1829 richtete die Kultusgemeinde im alten Betsaal (Deisingerstraße 19) eine eigene Elementarschule ein. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde direkt gegenüber dem alten Friedhof eine neue Begräbnisstätte angelegt, auf dem jedoch nur sechzig Personen bestattet wurden. Mit dem neuen Recht auf freie Wohnorts- und Berufswahl erfasste die große Auswanderungswelle ab 1861 auch Pappenheim: Die Kultusgemeinde schrumpfte bis zur Jahrhundertwende auf 22 Personen, darunter drei Kinder im schulpflichtigen Alter. Die jüdische Schule hatte bereits 1867 wieder schließen müssen, sie besuchten daher die städtische Schule und bekamen ab 1891 vom Treuchtlinger Lehrer ihren Religionsunterricht.

Im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 lebten nur noch sieben jüdische Personen in Pappenheim. Bereits 1934/35 schnitt man bei einer Verbreiterung der Landstraße einen Teil des alten Friedhofes ab, jedoch sollen die Gebeine sorgfältig gesammelt und mitsamt den Grabsteinen in den neuen Teil des Friedhofs verlegt worden sein. Nach dem Wegzug der letzten beiden jüdischen Familien Gutmann und Schimmel meldete der NS-Bürgermeister am 1. Juli 1936 den Ort als „judenfrei“.

Im November 1938 wurden die beiden historischen Begräbnisstätten geschändet, die Steine umgeworfen und größtenteils als Baumaterial verwendet. Der alte Friedhof am Hang wurde 1940 zum Bau dreier Baracken im südlichen Teil abgetragen. Die Synagoge blieb hingegen verschont, weil sie sich bereits im städtischen Besitz befand.

Nach gegenwärtigen Forschungsstand sind 15 aus Pappenheim stammende Jüdinnen und Juden in der NS-Diktatur ums Leben gekommen, das Schicksal weiterer 13 ist unbekannt.

Die Baracken auf dem Friedhof wurden nach Kriegsende wieder entfernt, das zwischenzeitlich bewohnte Taharahaus 1956 abgetragen. Auf dem verkleinerten Areal errichtete die Bayerische Staatsregierung 1950 einen Gedenkstein.

Vom September 1988 stammt eine Gedenktafel am ehemaligen Gotteshaus; 1995 wurde ein weiteres Schild am Gebäude angebracht, dass auf seine Baugeschichte hinweist. Ein Toraschild aus Pappenheim (eine Augsburger Silberarbeit von 1736/37) bewahrt das Israel Museum in Jerusalem auf; im Treuchtlinger Volkskundemuseum wurde in den 1990er Jahren ein Machsor wiederentdeckt und 2008 in Pappenheim präsentiert. 2008/09 dokumentierten Ruth und Aahron Bruck aus Jerusalem die erhaltenen Steine und stellten ihre Ergebnisse auf den Jüdischen Tagen vor, die der Geschichtsverein Pappenheim & Ortsteile e.V. vom 12. - 19. Juli 2009 organisierte. Die Jüdischen Tage fanden erneut am 17./18. Juli 2012 unter dem Motto „Wenn Steine sprechen - Die Geschichte der Pappenheimer Juden“ statt.


(Patrick Charell)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Angela Hager / Cornelia Berger-Dittscheid / Hans-Christof Haas: Pappenheim. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 2: Mittelfranken. Erarbeitet von Barbara Eberhardt, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Angela Hager unter Mitarbeit von Frank Purrmann und Axel Töllner mit einem Beitrag von Kartin Keßler. Lindenberg im Allgäu 2010, S. 522-534.
  • Nathanja Hüttenmeister: Alltägliches Miteinander oder getrennte Gemeinden. Das Leben im Dorf am Beispiel der pappenheimischen Herrschaften. In: Rolf Kießling, Peter Rauscher, Stefan Rohrbacher, Barbara Staudinger (Hg.): Räume und Wege Jüdische Geschichte im Alten Reich 1300-1800. Berlin 2007 (= Colloquia Augustana 25), S. 107-120.
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken. In: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken, München 2012, S. 95-113.
  • Manfred Hörner: Bemmel, ein Geldverleiher und Viehhändler aus dem schwäbisch- fränkischen Grenzgebiet. In: Manfred Treml / Wolf Weigand (Hg.): Geschichte und Kultur der Juden in Bayern: Lebensläufe. München 1988 (= Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 18), S. 31-36.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt am Main 1937, S. 199-205.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 205.