Kleinheubach lag an der Kreuzung zweier wichtiger Fernhandelsstraßen, die von Frankfurt ausgehend über Nürnberg nach Prag oder über Augsburg nach Italien führten. Es gibt jedoch aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit keinen konkreten Hinweis auf jüdisches Leben im Ort. Erst ab den 1670er Jahren werden in den Bürgermeisterrechnungen erstmals Schutzjuden erwähnt. Für das Jahr 1695 sind vier jüdische Haushalte belegt, die steuerpflichtig waren. Spätestens seit dem frühen 18. Jahrhundert darf man von einer jüdischen Gemeinde ausgehen, die gemeinsam Gottesdienste feierte.
Im Jahr 1721 sind sieben, 1750 bereits zehn jüdische Familien nachgewiesen. Der zuvor im Besitz der Grafen von Erbach befindliche Ort wurde 1721 von Fürst Dominik Marquard zu Löwenstein-Wertheim erworben. Der neue Besitzer ließ sich an Stelle der Georgenburg von namhaften Architekten – beteiligt waren v.a. Johann Dientzenhofer und Louis Rémy de la Fosse – eine dreiflügelige Residenz, Schloss Löwenstein, errichten. Fürst Dominik und seine Nachkommen nutzten ausgiebig sein Recht, Juden anzusiedeln, um von ihnen Schutzgelder und Steuern einzutreiben. Daher wuchs die jüdische Gemeinde bis zum Ende des 18. Jahrhundert auf über 20 Haushalte an. Einem Bericht aus dem Jahr 1754 zufolge war mit dem erworbenen Schutzbrief nicht nur das Recht auf Niederlassung und freie Handelstätigkeit verbunden, sondern er erlaubte auch eine gewissen Selbstständigkeit bei der Regelung innerjüdischer Angelegenheiten.
Für die Landjudenschaft der Fürsten Löwenstein-Wertheim war ein eigener Landesrabbiner angestellt. Um 1726 gründeten die Schutzjuden aus Kleinheubach mit den Freiherrlich Fechenbachischen Schutzjuden aus dem benachbarten, mainabwärts gelegenen Laudenbach eine Synagogen-Gemeinschaft. Beide Gemeinden schlossen sich 1730 auch zu einem Friedhofsverein zusammen. Die Gemeinde erteilte ihnen zur selben Zeit das Recht, in der Gemarkung "am Schnoll", die etwa einen Kilometer westlich von Kleinheubach liegt, einen ummauerten Begräbnisplatz zu errichten und dort gegen Gebühr Beerdigungen vorzunehmen. Auch die jüdischen Einwohner der umliegenden Orte durften hier ihre Toten zur letzten Ruhe betten. Erweiterungen dieses Friedhofs erfolgten 1764, 1835 und 1889.
1803 gehörten der jüdischen Gemeinde Kleinheubach 23 Familien an. Ihre Zahl erhöhte sich bis 1835 auf 25 Haushalte mit 143 Personen, nahm im Laufe der folgenden Jahrzehnte wieder ab und erreichte 1881 einen Höchststand von 151 Mitgliedern.
Nachdem der Ort 1806 dem Großherzogtum Baden eingegliedert worden war, wurde für die jüdischen Knaben die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Ab 1816, als das Amt Heubach an das Königreich Bayern kam, wurde auch für die Mädchen der Schulbesuch obligatorisch. Die Kinder besuchten seitdem die christliche Volksschule und erhielten weiterhin jüdischen Religionsunterricht. 1830 gründete die Kultusgemeinde eine eigene jüdische Elementarschule, die ein Jahr später ihren Betrieb aufnahm. Das Schulzimmer lag im Anbau an der Nordwestseite der 1808 erbauten Synagoge. Da die ebenfalls dort befindliche Lehrerwohnung zu klein bemessen war, musste der angestellte Pädagoge auf Kosten der Judenschaft in eine private Mietwohnung ziehen. Nach einer Begehung durch die königlich bayerische Lokalschulinspektion im Jahr 1876 war auch das Platzangebot im Schulraum als völlig unzureichend befunden worden. Es stellte sich heraus, dass nur ein Teil der rund 30 Jugendlichen in Bänken sitzen konnten; alle anderen mussten während des Unterrichts stehen. 1878/79 hat man den Schulsaal dann provisorisch durch die Einbeziehung angrenzender Räume erweitert. Die IKG Kleinheubach gehörte zum Distriktsrabbinat Aschaffenburg.
Das Ritualbad der Judenschaft befand sich bei der Überprüfung durch den Herrschaftsrichter im Jahr 1825 im Keller der Wohnung des Vorsängers. Da es nicht mehr den hygienischen Vorschriften entsprach und erhebliche Mängel aufwies, wurde seine weitere Nutzung untersagt. Nach der erfolgten Renovierung und dem Einbau eines Heizkessels konnte es 1826 neu eröffnet werden. Bei einer Überprüfung der Einrichtung durch den örtlichen Gerichtsarzt 1837 wurde erneut ein gesundheitsgefährdender Zustand festgestellt, so dass die Mikwe wieder geschlossen werden musste. Nach zähen Verhandlungen entschloss man sich zum Bau einer neuen Mikwe. Das kleine Gebäude auf annähernd quadratischem Grundriss von rund fünf Meter Länge, Bruchsteinwänden und Fachwerkgiebel entstand 1838 auf dem Grundstück Flurnummer 620 und 621 jenseits der Bachgasse (heute Fischgässchen). Ein Feuer, das 1856 darin ausbrach, konnte schnell wieder gelöscht werden. Danach musste der Kamin umgebaut und das Befeuern des Holzofens künftig stärker überwacht werden. Die jährlichen Abgaben, die die jüdische Gemeinde Kleinheubach der Adelsfamilie Löwenstein-Wertheim zu entrichten hatte, fielen erst mit der Abschaffung der besonderen Judensteuer im Jahr 1850.
Um die Jahrhundertwende lebten rund 95 Jüdinnen und Juden im Ort. Um endlich geordnete Schulverhältnisse herzustellen, entschloss sich die Kultusgemeinde 1906 zum Kauf des Wohnhauses Flurnummer 202 ½ (heute: Poststraße 13), das in der Nähe des Bahnhofs lag und über fünf heizbare Räume, weitere Zimmer, zwei Küchen, einen Keller mit Waschküche und einen Garten verfügte. Das Haus diente als neue Lehrerwohnung; im Garten wurde trotz schwerer finanzieller Belastung der Neubau der Schule durchgeführt. Sie konnte 1912 in Betrieb gehen. Doch die Mitgliederzahl der Gemeinde verringerte sich zusehends. 1918 besuchten nur noch drei Kinder den Unterricht. Zum 30. November 1922 ordnete die Regierung die Schließung der israelischen Volksschule an. Um 1924 wurden noch 45 jüdische Gemeindeglieder unter dem Vorstand von Samuel Wetzler gezählt (3,0 Prozent von insgesamt 1.494 Einwohner). Zur jüdischen Gemeinde in Kleinheubach gehörte auch die Familie Ullmann, die damals auf der anderen Mainseite im benachbarten Großheubach lebte. 1932, ein Jahr bevor das NS-Regime an die Macht kam, waren noch 35 Jüdinnen und Juden in Kleinheubach ansässig.
Nach der NS-Machtübernahme 1933 bestand eine der ersten Amtshandlungen der NS-Parteimitglieder im Ort in der Verhaftung des Viehhändlers Ernst Sichel, der jüdisches Mitglied der KPD war. Er wurde in das neu gegründete Konzentrationslager Dachau eingeliefert, kam erst zwei Jahre später wieder frei, wurde aber auch in der Folgezeit mehrmals fälschlich beschuldigt und verhaftet. 1938 gelang ihm die Ausreise nach Kolumbien. Angesichts der allgemein zunehmenden Demütigungen, tätlichen Angriffe und der sozialen Ausgrenzung schrumpfte die Kultusgemeinde bis zum Oktober 1938 auf 18 Personen.
Während des Novemberpogroms 1938 zog am Nachmittag des 10. November ein wütender Mob zuerst zur Synagoge und zerstörte deren Inneneinrichtung und Kultgegenstände. Dann überfielen einzelne Gruppen jüdische Häuser und Geschäfte im Ort. Sie drangen in die Wohnungen und Verkaufsräume ein, plünderten die Wertgegenstände, zerschlugen die Einrichtung, warfen Waren und Haushaltsutensilien auf die Straßen und machten sie unbrauchbar. Betroffen waren u.a. das Schuhgeschäft der Geschwister Sichel, die Viehhandlung der Gebrüder Sichel und die Manufakturwarenhandlung der Geschwister Freudenstein in der Baugasse. Am selben Abend und in der Nacht wurden die 16 anwesenden Jüdinnen und Juden nach Miltenberg in das Gerichtsgefängnis eingeliefert. Ein Großteil von ihnen kam zwei Tage später wieder frei. Die Kultusgemeinde war 1939 gezwungen, das Schulhaus in der Poststraße und die Synagoge zu Spottpreisen zu verkaufen. Das jüdische Ritualbad hatte der Gemeindevorstand bereits 1935 an einen Privatmann veräußert, der es als Gartenhaus nutzte. Der große jüdische Friedhof der Marktgemeinde wurde 1941 von der Hitlerjugend und dem Jungvolk für ein Geländespiel missbraucht. Die letzten vier Jüdinnen und Juden, die damals noch in Kleinheubach lebten, wurden 1942 in die Vernichtungslager im Osten deportiert und dort ermordet.
Alle Einrichtungen der einstigen jüdischen Gemeinde von Kleinheubach – die ehemalige Synagoge, Schule, Mikwe und die Begräbnisstätte – befinden sich noch heute im Ort. Auf dem großen jüdischen Friedhof, der eine Fläche von rund 3.000 qm aufweist, wurden 1959/60 die Mauer und der Eingang renoviert, sowie lockere Grabsteine wieder befestigt. Das Ritualbad hat man ab 1989 renoviert und nach Fertigstellung in die Denkmalliste aufgenommen. Ein dort aufgestelltes Mahnmal trägt die Inschrift: "Den Opfern des Nationalsozialismus und aller Gewaltherrschaft". Eine Gedenktafel an der Westfassade des einstigen jüdischen Sakralbaus, der in den 1990er Jahren saniert wurde und seitdem ebenfalls denkmalgeschützt ist, erinnert an die Geschichte der Kultusgemeinde. Die Kommune beteiligt sich am Projekt DenkOrt Deportationen mit zwei Gepäckstücken (Deckenrollen): Eines erweitert das zentrale Mahnmal auf dem Würzburger Bahnhofsplatz, das Gegenstück wird vor Ort an die deportierten Opfer der Shoah erinnern.
(Christine Riedl-Valder)
Bilder
Bevölkerung 1910
Literatur
- Axel Töllner / Cornelia Berger-Dittscheid: Kleinheubach. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 404-423.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 234.