Jüdisches Leben
in Bayern

Heßdorf Gemeinde

Jüdisches Leben ist in Heßdorf seit der Zeit des Dreißigjährigen Krieges nachweisbar. 1633 wurde auf dem israelitischen Friedhof in Laudenbach eine Jüdin namens Sara bestattet, die aus dem Ort stammte. Einem Verzeichnis aus dem Amt Karlstadt zufolge, gab es 1655 und 1699 in Heßdorf vier jüdische Haushalte und in Höllrich zunächst eine, 1699 dann zwei Familien. Sie waren den Freiherren von Thüngen untertan. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts vergrößerte sich die Gemeinde auf rund zehn Familien in Heßdorf und rund 6 Familien in Höllrich.

1814 fiel Heßdorf an das Königreich Bayern. Fast 40 Prozent der Bürger (170 von 432 Einwohnern) waren damals jüdischer Herkunft. Damit besaß der Ort die größte israelitische Kultusgemeinde im Raume Gemünden. In den folgenden Jahren stieg deren Mitgliederzahl noch weiter an und zählte 1825 fast 200 Personen. In Höllrich erreichte die jüdische Kultusgemeinde im Jahr 1839 mit acht Familien und 47 Personen ihren Höchststand. Die Toten der Gemeinde wurden auf den jüdischen Friedhöfen in Laudenbach oder Pfaffenhausen beigesetzt.

Nach der Vollendung einer neuen Synagoge 1821 stellte die Kultusgemeinde ab 1822 staatlich geprüfte jüdische Religionslehrer und Vorsänger ein. Die jüdischen Kinder besuchten den Elementarunterricht anfangs in der christlichen Schule im Ort. 1825 hat man dann auf dem westlich gelegenen Grundstück neben der neuen Synagoge eine israelitische Elementarschule eröffnet (alte Hausnr. 45 und 46, später: Fußgasse 6). Es handelt sich um einen zweigeschossigen Massivbau mit Halbwalmdach über längsrechteckigem Grundriss. Im Untergeschoss war ein Ritualbad eingebaut, das auch von der IKG Höllrich genutzt wurde. Im Erdgeschoss befanden sich ein großer Unterrichtsraum sowie eine Wohnung mit drei Zimmern, im Obergeschoss noch eine weitere Wohnung und Einzelräume. Dank einer Stiftung des 1821 verstorbenen Isaak Oppenheimer konnten auch Kinder und Jugendliche aus verarmten Familien die Religionslehre besuchen. Zwei weitere fromme Schenkungen, das Stern‘sche Legat und das Vermächtnis des 1873 verstorbenen Löb Forchheimer, dienten der Unterstützung bedürftiger Juden im Ort.

Nachdem 1861 der Matrikelparagraph abgeschafft worden war, erfasste die allgemeine Abwanderungswelle auch Höllrich mit ganzer Wucht: 1888 wohnte nur noch eine Familie im Ort. 1896 genehmigte die Regierung von Unterfranken die Vereinigung der beiden Kultusgemeinden Höllrich und Heßdorf. 1910 lebten auch in Heßdorf noch 88 Jüdinnen und Juden; nur etwa ein Viertel von ihnen war steuerpflichtig, der Großteil nicht begütert. Die Kultusgemeinde musste in den Folgejahren mehrmals staatliche Zuschüsse beantragen, um die nötigsten Ausgaben bestreiten zu können. Die Zahl der Gemeindemitglieder nahm in der Folgezeit weiter stark ab. Die jüdische Elementarschule wurde 1927 aufgelöst und später als Wohnhaus weiter genutzt.

Bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zählte die jüdische Gemeinde Heßdorf/Höllrich noch 48 Mitglieder. Über ihr Schicksal in der NS-Zeit gibt es nur vereinzelte Nachrichten. Der Heßdorfer Jude Sali Stern betrieb bis zur Auswanderung mit seiner Familie 1936 eine Mazzenbäckerei, die einen großen jüdischen Kundenkreis in der Region mit ungesäuertem Brot nach biblisch-talmudischer Vorschrift versorgte. Am Nachmittag des 10. November 1938 drang eine SA-Einheit, die auch schon die jüdischen Besitzungen in Gemünden und Adelsberg verwüstet hatte, in das Dorf ein. Viele der christlichen Einwohner sahen zu, wie diese Horde die Häuser der jüdischen Familien aufbrach, den Hausrat auf die Straßen warf und die gesamte Einrichtung zerschlug. Auch die Synagoge wurde nicht verschont und im Innern völlig zerstört. Am Morgen danach wurden die jüdischen Mitbürger zu Aufräumungsarbeiten gezwungen. Nach dem Novemberpogrom löste sich die Heßdorfer Gemeinde auf. 1939 lebten noch fünf Israeliten im Dorf. Im Februar und April 1942 wurden die letzten vier jüdischen Bewohner Heßdorfs deportiert.

Das Gedenkbuch des Bundesarchiv Koblenz verzeichnet 27 Jüdinnen und Juden aus Heßdorf, die von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet worden sind. Das einstige jüdische Schulhaus blieb erhalten und dient heute Wohnzwecken. Eine Gedenktafel am Feuerwehrhaus (Ecke Höllricher Straße/Brunngasse) erinnert an die einstige jüdische Gemeinde des Dorfes.


(Christine Riedl-Valder)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Hans Schlumberger / Hans-Christof Haas: Heßdorf mit Höllrich. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 179-191.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 214.