Jüdisches Leben
in Bayern

Euerbach Gemeinde

Eine jüdische Gemeinde in Euerbach wird erstmals 1657 im "Euerbacher Gült- und Zins- und Schatzungsbuch" erwähnt. Dort war festgehalten, dass die im Dorf lebenden Juden wie die jüdischen Gemeinden in Niederwerrn, Obbach und Westheim an der Saale jährliche Abgaben in Höhe von fünf Gulden an die adelige Ortsherrschaft zu entrichten hatten. Das reichsritterliche Dorf gehörte der Adelsfamilie von Münster. Dorfherr Adam Ulrich von Steinau bestätigte am 31. Juli 1762 den Verkauf des nördlich von Euerbach gelegenen Friedhofs für 10 Gulden an die jüdischen Gemeinden in Euerbach, Obbach, Niederwerrn und Westheim an der Saale. Der Dorfherr räumte den Juden auch das Recht ein, einen eigenen Totengräber zu unterhalten, der in Euerbach leben konnte, ohne Schutzgeld zahlen zu müssen.

Wie bereits 1657 fiel auch weiterhin jährlich für jede Gemeinde "ewiger Erbzins" in Höhe von fünf Gulden an. Außerdem mussten die Juden für jedes Begräbnis Gebühren entrichten, die nach dem Alter der Verstorbenen gestaffelt waren: Während für ein Kind, das bei seinem Tod weniger als vier Wochen alt war, keine Gebühr anfiel, fielen für alle anderen Kinder und Jugendlichen sechs Batzen Begräbnisgebühren an. Für die Bestattung einer "alten Person" waren zwölf Batzen zu zahlen. Im Regelfall war der Euerbacher Religionslehrer und Kantor auch für die Friedhofsverwaltung zuständig. Die jüdische Gemeinde gehörte zunächst zum Ritterschaftlichen Oberrabbinatsbezirk Würzburg, anschließend seit 1840/41 zum Rabbinatsbezirk Niederwerrn, bis 1864 der Rabbinatssitz nach Schweinfurt verlegt wurde. 

Bei der Erstellung der Matrikellisten 1817 vor dem Baron von Münster'schen Patrimonialgericht Euersbach wurden die hier lebenden 13 jüdischen Familien vier Matrikelstellen zugewiesen: Löw Moses Schloßmann (geb. 1791, Hausierhandel), Seligmann Burgunder (Warenhandel), Maier Seligmann Burgunder (Schlächter und Viehhändler), Benjamin Seligmann Burgunder (Schlächter und Viehhändler), Faust Salomon Mork (Altkleiderhandel), Jakob Salomon Mork (Altkleiderhandel), Simon Benedikt Sternberger (Warenhändler), Moses Hirsch Hamburger (Lumpenhändler), Abraham Seligmann Burgunder (geb. 1784, Viehhändler), Salomon Oppenheimer (Warenhandel), Raphael Seligmann Thugut (Lumpenhändler), Abraham Michel Stern (ohne Angabe zum Erwerb), Simson Joseph Strausser (Metzger). Ohne Matrikelstelle eingetragen wurde der damalige "Judenschullehrer" und Vorsänger Jakob Levi Bielheimer (1785-1838).

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts gab es einen deutlichen Rückgang der Gemeindemitglieder. Um 1800 lebten 55 jüdische Einwohner am Ort, 1816 68 (14,7 Prozent von insgesamt 463 Einwohner), 1835 93 (von 450), 1867 28 (6,1 von 458), 1880 29 (5,2 von 560), 1890 26 (5,3 von 492), 1900 8 (1,8 von 437), 1910 5 (1,1 von 436). Seit 1813 wirkte der in Kleineibstadt geborene Jakob Bielheimer als "Begräbnißpfleger", dessen Bezahlung der Begräbnisverband übernahm. Für seine Tätigkeit als Religionslehrer und Kantor kam die jüdische Kultusgemeinde in Euerbach auf. 1820 unterrichtete Bielheimer, dessen "sittlich guten Lebenswandel" das Landgericht lobte, 16 Schüler. Neun Jahre später legte er 1829 auch das Examen als Religionslehrer ab. Der Religionsunterricht fand in der 1840 erstmals erwähnten, aber wohl schon Jahrzehnte zuvor existierenden jüdischen Schule statt, einem zweigeschossigen Bau mit Satteldach in der Nähe der katholischen Kirche (Kirchgasse 16). 1835 wies die Dorfverwaltung darauf hin, dass die Euerbacher Juden bezüglich der Armenpflege gleichberechtigt seien, aber doppelt so hohe Abgaben wie die christlichen Dorfbewohner entrichten müssten.

Dass das Zusammenleben zwischen Christen und Juden in Euerbach während des 19. Jahrhunderts nicht immer konfliktfrei verlief, belegt eine Begebenheit aus dem Jahr 1852: Laut einem Bericht des damaligen Religionslehrers und Vorsängers Joseph Levi, der sich 1840 als Schächter qualifizierte, habe sich ein christlicher Bauer am 12. Mai 1852 gegenüber einem jüdischen Leichenzug unangemessen verhalten. Nach dem Tod des Euerbacher Juden Moses Hamburger sei ein Bauer aus dem Dorf mit seinem Pferdefuhrwerk sehr schnell auf den Leichenzug zugefahren. Nachdem die Sargträger zur Seite gesprungen wären und beinahe den Sarg fallen gelassen hätten, sei der Bauer von Teilnehmern des Leichenzugs zur Rede gestellt worden. Der Bauer habe aber sein Fehlverhalten nicht eingesehen, sondern sei lachend davongefahren.

1861 erwarb der für den Euerbacher Friedhof zuständige Begräbnisverband, der wie schon rund 200 Jahre zuvor aus den jüdischen Gemeinden Euerbach, Geldersheim, Niederwerrn und Obbach bestand, ein neben der Synagoge gelegenes Grundstück, um dort eine "Todtenwagenhalle" zu errichten. An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde neben der Synagoge eine jüdische Schule (Schulhaus, heutiges Wohnhaus Kirchgasse 16), eine Mikwe, einen Friedhof und neben dem Synagogengebäude ein kleines Abstellhaus für den Leichenwagen. Das Abstellhaus ist im Bayerischen Denkmal-Atlas eingetragen.

Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war im 19. Jahrhundert zeitweise ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Er hatte auch die Aufgabe der Verwaltung des Euerbacher Friedhofes zu übernehmen. Sitz des Lehrers, der auch die Kinder von Geldersheim zu unterrichten hatte, war in Euerbach. 1861 setzte sich das Jahresgehalt von Joseph Levi in Höhe von 150 Gulden aus 63 Gulden für seine Tätigkeit als Religionslehrer und Vorsänger, 33 Gulden für das Schächten und 54 für die Verwaltung des Friedhofs zusammen.1869 kam es wegen der Ausschreibung der Religionslehrer-, Vorsänger-, Schächter- und Friedhofsverwalterstelle zu einem Konflikt zwischen den Euerbacher und Geldersheimer Juden, die sich im selben Jahr zu einer Gemeinde zusammengeschlossen hatten: Am 20. Oktober erschien in der Zeitschrift "Der Israelit" eine vom Euerbacher Kultusvorstand Juda Schloss veranlasste Ausschreibung für die Besetzung der offenen Stelle mit "bedeutenden Nebeneinkünfte(n)". Rund 14 Tage später wies der Geldersheimer Gemeindevorstand Jakob Weichselbaum in einer am 3. November 1869 ebenfalls in "Der Israelit" erschienenen Anzeige darauf hin, dass die Ausschreibung "einseitig" und "ungesetzlich verfrüht" erfolgt sei: Die Kultusgemeinde Geldersheim-Euerbach habe an die Kreisregierung das Gesuch um Errichtung einer eigenen Schullehrerstelle und gegebenenfalls auch um Verlegung des Dienstsitzes von Euerbach nach Geldersheim gerichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt habe die Regierung allerdings noch keine Entscheidung getroffen. Zu den wenigen Euerbacher Juden, über deren Biographie Näheres bekannt ist, gehört das Ehepaar Isaak und Fanny Rosenstock. Nachdem der Viehhändler und Metzger 1868 geheiratet hatte, lebte er mit seiner Frau im Haus neben der Synagoge, bevor er zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Obbach umzog, um dort bei dem gemeinsamen Sohn Adolf zu wohnen. Dessen Bruder Jakob hatte nach der Hochzeit mit der aus Schwanfeld stammenden Paula Heimann im Jahr 1911 ebenfalls das Heimatdorf verlassen und war nach Schweinfurt gezogen.

Seit 1901 wurde nur noch das Doppelamt des Euerbacher Friedhofsverwalters und Schächters ausgeschrieben, der keinen Religionsunterricht erteilen musste. Als Gehalt für die beiden Tätigkeiten waren jeweils 200 Mark vorgesehen, die auch als möglicher Nebenverdienst angegeben wurden. In Frage kamen laut der am 25. April in "Der Israelit" veröffentlichten Ausschreibung des Niederwerrner Kultusvorstands Grünebaum nur "deutsche Reichsangehörige".

Nachdem auch die mit Euerbach vereinigte jüdische Gemeinde Geldersheim stark geschrumpft war, wurde die Israelitische Kultusgemeinde Geldersheim-Euerbach am 22. Mai 1901 aufgelöst. Während die Geldersheimer Juden sich der jüdischen Gemeinde Niederwerrn anschlossen, gehörten die Euerbacher Juden fortan zur jüdischen Gemeinde Obbach. Je eine Hälfte des Eigentums der Euerbacher Gemeinde übernahmen die Obbacher und Niederwerrner Gemeinde.

1933 und auch 1935 lebten noch zwei jüdische Personen am Ort. Von den vier jüdischen Frauen, die Anfang 1942 noch in Euerbach lebten, wurde eine am 22. April über Würzburg in das Vernichtungslager Izbica/Krasniczyn bei Lublin (Polen) gebracht; die übrigen drei kamen am 10. September in das Getto Theresienstadt. Von den in Euerbach geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen: Caecilia Blank (1903), Jette Blank (1860), Regina Blank (1865), Sabine Blank (1868), Moritz (Moses) Hamburger (1875, wohnhaft in München).  

2014 besuchte laut einem in der "Main-Post" publizierten Artikel der US-Amerikaner Mark Dornhelm Euerbach. Dort hatte seine Mutter Emmy, geborene Rosenstock, ihre Kindheit verbracht, bevor sie in die USA emigrierte und dort Salomon Dornhelm geheiratet hatte. Das ehem. Schulhaus und die Synagoge sind im Ort erhalten.


(Stefan W. Römmelt)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Gerhard Gronauer / Johannes Sander: Obbach mit Euerbach. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.2. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1444-1465.
  • Dirk Rosenstock: Die unterfränkischen Judenmatrikel von 1817. Würzburg 2008, S. 246.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 241.