Eschau gehörte lange Zeit zum Besitz der Grafen von Erbach-Erbach. Da das Hausarchiv dieser Adelsfamilie im Staatsarchiv Darmstadt aufbewahrt wurde und dort während des Zweiten Weltkriegs weitgehend verbrannte, gibt es kaum Nachrichten über das jüdische Leben in diesem Ort vor 1800. Einer archivalischen Quelle zufolge erteilte das geistliche Kommissariat Aschaffenburg im Jahr 1727 einem jungen Juden aus Eschau Glaubensunterricht, da er sich taufen lassen wollte. Daher darf man davon ausgehen, dass spätestens seit dieser Zeit jüdische Familien im Ort lebten. Sie standen unter dem Schutz der Grafen von Erbach-Erbach und mussten ihnen Abgaben leisten.
Die Bedingungen für die Ansiedlung von Juden in dieser Region waren sehr gut, denn hier konkurrierten drei Herrschaften auf engem Raum miteinander: Eschau, das im Besitz der evangelischen Grafenfamilie Erbach-Erbach war, und das benachbarte katholische Sommerau, das den Freiherren von Fechenbach und dem Kurfürstentum Mainz unterstand. Die jüdischen Kaufleute, die die wichtigen Handelswegen im Spessart nutzten, arbeiteten im 18. Jahrhundert vor allem im Viehhandel sehr erfolgreich. Ihre Toten beerdigten sie auf dem jüdischen Friedhof in Reistenhausen. Sie erreichten ihn über den sog. "Judenpfad", der um Mönchberg herumführte, denn das Durchqueren des Ortes war für die jüdischen Leichenzüge verboten.
1807 wurde die Eschauer Judenschaft in die Landjudenschaft des Fürstentums Aschaffenburg und das Aschaffenburger Rabbinat eingegliedert und musste künftig einen Beitrag zur Entlohnung des Oberrabbiners zahlen. Im Königreich Bayern gehörte die IKG zum Distriktsrabbinat Aschaffenburg. Die jüdische Gemeinde umfasste damals neun Familien mit 53 Personen. Ab 1817 sahen die matrikellisten für den Ort die Ansiedlung von maximal acht jüdischen Haushalten vor. Die kleine Gemeinde kaufte 1820 am Mühlbach in der Nähe der Oberen Mühle ein kleines, 17 qm großes Grundstück (Plan-Nr. 34) und errichtete darauf ein Holzhaus mit einer Mikwe, die von der nahe gelegenen "Brunngärten-Quelle" ihr Wasser erhielt. 1827 erwarb die Kultusgemeinde in der Ortsmitte ein "Wohn- und Schulhaus mit Synagoge und Hofrieth" (Hausnr. 119; heute Mathenberg 4), das laut einer Notiz aber bereits zuvor, seit 1818, als jüdisches Gotteshaus gedient hatte.
In der ersten Hälfte der 1830er Jahren erreichte die Kultusgemeinde Eschau ihre höchsten Mitgliederzahlen mit rund 17 Familien und bis zu 96 Personen. Ab 1832 gab es im Ort eine jüdische Religionsschule, die gemeinsam mit der Kultusgemeinde von Sommerau betrieben und von 24 Kinder besucht wurde. Drei Jahre später hat man diese Schule in eine Elementarschule umgewandelt, so dass die jüdischen Kinder seit diesem Zeitpunkt nicht mehr am Unterricht in der christlichen Schule teilnahmen. Bis 1853 nahmen auch besuchten auch die Jugendlichen aus Röllbach diese israelitische Volksschule.
1848 gehörten 15 Familien (rund 70 Personen) zur Eschauer Kultusgemeinde. Ihre Mitgliederzahl sank bis zur Jahrhundertwende auf rund 30 Jüdinnen und Juden. 1857 musste die Elementarschule wieder aufgelöst und auf eine Religionsschule reduziert werden, da die jüdischen Gemeinden von Eschau und Sommerau das dafür erforderliche Lehrergehalt nicht mehr aufbringen konnten. Im letzten Drittel des 19. Jh. besuchten auch die Jugendlichen aus Röllbach und Hobbach hier den Religionsunterricht. Ab 1884 wirkte über 50 Jahre lang Leopold Lehmann (*1862 Spachbrücken + 1950 Haifa) als Lehrer, Kantor und Schächter im Ort. Er wohnte in Hausnr. 120 (heute: Matzenberg 5) in der Nähe der Synagoge und emigrierte 1937 zu seinen Kindern nach Palästina. Um die Jahrhundertwende wanderten viele Gemeindemitglieder in die Städte ab. Deshalb war auch Eschau in der Folgezeit gezwungen, die anfallenden Ausgaben mit Hilfe von Kollekten für leistungsschwache Kultusgemeinden zu finanzieren. Ab 1910 belief sich die Mitgliederzahl der Gemeinde nur noch auf rund 20 Personen.
1933 lebten noch 19 Jüdinnen und Juden in Eschau. Auf Grund der zunehmenden Repressalien, Drohungen und Boykottmaßnahmen gegen die jüdischen Geschäfte verließen bereits 1934 zehn der jüdischen Einwohner den Ort. Im März 1935 stellten der NSDAP-Ortsgruppenleiter und der HJ-Gefolgschaftsführer am Rathaus und am Bahnhof Holztafeln mit der antisemitischen Aufschrift „Eschau hat Juden abzugeben“ auf. Im selben Jahr kam es zu einer Reihe von Sachbeschädigungen und Diebstählen an jüdischem Eigentum. Auch in die Synagoge und in das Ritualbad wurde eingebrochen. Unter diesem zunehmenden Verfolgungsdruck verließen bis 1938 mit Ausnahme von einer Person alle Israeliten den Ort. Schon zuvor, zu Beginn des Jahres 1937, war die Kultusgemeinde aufgelöst worden. Am 12. November 1938 wurde die noch im Ort verbliebene, 80jährige Jüdin von den Nationalsozialisten verhaftet und in das Landgerichtsgefängnis nach Aschaffenburg verbracht. Sie wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet.
2014 hat man am Alten Rathaus von Eschau eine Gedenktafel mit den Namen der aus der Marktgemeinde ermordeten Jüdinnen und Juden angebracht. Eschau beteiligt sich mit zwei Koffern am Projekt DenkOrt Deportationen in Würzburg. Das lokale Gepäckstück erinnert an die deportierten Jüdinnen und Juden von Eschau und Sommerau. Der zweite Koffer befindet sich in Würzburg und bildet mit den Gepäckstücken anderer Kommunen das zentrale Mahnmal auf dem Würzburger Bahnhofsplatz.
(Christine Riedl-Valder)
Bevölkerung 1910
Literatur
- Axel Töllner / Berger-Dittscheid, Cornelia: Eschau und Sommerau, in: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 383-394.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 238.