Jüdisches Leben
in Bayern

München 6, Reichenbachstraße (1931-2006) Synagoge

Im Jahr 1884 zog der jüdische Unternehmer Gustav Lippschütz (zuvor Direktor der Bayerischen Aktien-Bierbrauerei) von Aschaffenburg nach München, wo er die Gärtnerbrauerei übernahm. Doch bereits ein Jahr später musste Lippschütz in Konkurs gehen und floh nach Amerika. Letztendlich ging das Wirtshaus mitsamt der Brauanlage in den Besitz der Schwabinger Brauerei über. Nachdem die Zahl osteuropäischer Juden um die Jahrhundertwende deutlich gestiegen war und Konflikte mit der Israelitischen Kultusgemeinde nicht ausgeblieben waren, richteten die wichtigsten Betvereine "Linath Hazedeck" und "Agudas Achim" 1914 einen provisorischen Betsaal im Rückgebäude der ehemaligen Braugaststätte ein (Reichenbachstraße 9, später 27). 

Erst nach 1918 erlangten die osteuropäischen Juden die volle Anerkennung und das Wahlrecht in der IKG München. Nach langen Diskussionen entschied sich die Israelitische Kultusgemeinde, das Bauprojekt der osteuropäischen Juden zu unterstützen. Als Bauplatz wurde der Hinterhof auf dem Anwesen der Reichenbachstraße ausgewählt, den die Vereine mitsamt den bereits vorhandenen Gebäuden von der Brauerei abkauften.

Der Münchner Architekt Gustav Meyerstein legte 1930 den "Vereinigten Vereinen E.V. Lineth Hazedek und Agudas Achim" einen Bauplan vor, der sich am Stil der Neuen Sachlichkeit orientierte. Die gesamte bisherige Hofüberbauung sollte dem kompletten Neubau eines Betsaals mit Vereinshaus weichen. Als Vorbild diente die 1928 bis 1930 von Fritz Landauer errichteten Synagoge in Plauen (Sachsen).

Wie die schlicht gehaltene Fassade zur Straßenseite war auch der von dem Zusammenspiel von Fläche und Linie, Licht und Schatten bestimmte, und von einer Flachdecke mit einem Oberlicht aus Glasplatten abgeschlossene Betsaal einfach gehalten. Eine rechteckige, mit gelbem Marmor verkleidete Nische zeichnet den an der östlichen Schmalseite gelegenen Thorschrein aus. Meyerstein entwarf auch das aus drei Blöcken bestehende und von zwei Mittelgängen unterbrochene Gestühl, das auf den sakralen Charakter des Raums verweist. Zur Entstehungszeit sorgten das für Wandverkleidungen, Anstriche, Glasfenster und Lampen mit jüdischen Symbolen verwandte Material, die ausgewählten Farben und das hieraus resultierende Lichtspiel für eine spirituelle Wirkung des an sich schlichten und nüchtern wirkenden Raums.

Am 5. September 1931 wurde die 160 000 Mark teure Synagoge unter Beteiligung aller Richtungen der IKG München eingeweiht. Während der Feier betonte Oberlandesgerichtsrat Dr. Alfred Neumayer, der damalige Erste Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, dass die neue Synagoge ein Symbol für die Integration der osteuropäischen Juden in der jüdischen Gemeinde darstelle. 

Am frühen Morgen des 10. November 1938 legten SA-Männer um 2.35 Uhr in der Synagoge Feuer. Während das Innere des Gotteshauses völlig ausbrannte, blieb die Bausubstanz erhalten, da die Feuerwehr das Feuer umgehend löschte, um ein Übergreifen der Flammen auf die benachbarten Häuser zu verhindern. Ab März 1939 verwaltete die Münchner Allgemeine Treuhand AG die ehemalige Synagoge in der Reichenbachstraße und vermietete das Gebäude an einen Unterhachinger Spenglermeister, der das Gebäude als Werkstatt nutzte. Rund ein halbes Jahr später ließ die Geheime Staatspolizei dort eine "Jüdische Anlernwerkstätte" einrichten, in der bis Ende 1941 auswanderungsbereite Juden ein Handwerk erlernen konnten. 

Zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die ehemalige Synagoge der osteuropäischen Juden am 20. Mai 1947 als Gotteshaus der Israelitischen Kultusgemeinde eingeweiht. Am 9. November 2006 wurden die Thorarollen aus der Synagoge feierlich in die neue Hauptsynagoge am St. Jakobs-Platz überführt. Eine Sanierung des historischen Baudenkmals ist geplant. Die Initiative hierzu geht von dem von Dr. Rachel Salamander und Ron Jakubowicz gegründeten Verein "Synagoge Reichenbachstraße e. V." aus. 


(Stefan W. Römmelt)

Adresse / Wegbeschreibung

Reichenbachstraße 27, 80469 München

Rückgebäude, nur zu bestimmten Terminen zugänglich.

Literatur

  • Angela Hager / Frank Purrmann: München. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm uns Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. I: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern. Erarbeitet von Barbara Eberhardt und Angela Hager unter Mitarbeit von Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Frank Purrmann. Lindenberg im Allgäu 2007, S. 360-385.
  • Michael Brenner: Jüdisches München. München 2006.
  • Landeshauptstadt München (Hg.) / Benedikt Weyrer: München 1933-1949. Stadtrundgänge zur politischen Geschichte. München 1996, S. 173f.
  • Wolfram Selig (Hg.): Synagogen und jüdische Friedhöfe in München. München 1988.
  • Sammelmappe Synagoge in der Reichenbachstraße 27: U.a. Baupläne (Grundriss, Aufriss) von Gustav Meyerstein, dat. 1930. StadtAM, FS-STB-0894-01 M.