Die jüdische Gemeinde in Prichsenstadt gehört zu den ältesten in Unterfranken. Ihre Anfänge gehen nachweislich bis in das 15. Jahrhundert zurück. Bereits im Stadtrecht, das Kaiser Karl IV. (reg. 1346-1378) Prichsenstadt auf Bitten seines Sohnes Wenzel im Jahr 1367 bewilligte, war vorgesehen, dass die Juden dieselben Lasten wie die restlichen Stadtbürger tragen sollten. Sicher nachweisbar sind jüdische Bewohner erst 1413, als der Nürnberger Burggraf Johann III. von Hohenzollern (1369-1420) Prichsenstadt in einem Vertrag mit Erkinger von Seinsheim auslöste. Darin wurde geregelt, dass Juden die Stadt wie die anderen Einwohner frei verlassen konnten, nachdem sie dies der städtischen Obrigkeit mitgeteilt hatten.
Kurze Zeit danach, im Februar 1414, regelte ein weiterer Vertrag, mit dem Johann III. Prichsenstadt an Otto von Vestenberg verpfändete, ebenfalls die Behandlung der dortigen Juden durch die neue Obrigkeit. Die Prichsenstädter Juden, die dem Amtmann unterstanden, mussten keine besonderen Abgaben leisten und hatten auch keine außerordentlichen Schutzgeldzahlungen an den neuen Ortsherrn zu leisten. Rund 50 Jahre später tauchen Prichsenstädter Juden 1462 in einem Konflikt zwischen dem Würzburger Fürstbischof Johann III. von Grumbach (reg. 1455-1466) und Markgraf Albrecht von Brandenburg auf: Der Markgraf verpflichtete sich vertraglich, die vom Bischof gefangen genommenen Prichsenstädter Juden für 600 Gulden auszulösen. Auf eine jüdische Siedlungskontinuität deutet eine Erklärung hin, mit der der örtliche jüdische Geldhändler 1489 bestätigten, dass sie keine finanziellen Ansprüche mehr an den Würzburger Fürstbischof Rudolf von Scherenberg, die Markgrafen Friedrich und Sigmund von Brandenburg und an deren sämtliche Untertanen stellten. Vermutlich lebten bereits seit 1462 acht jüdische Familien dauerhaft in der Stadt, da dieselbe Zahl auch 1489 genannt wird.
In den Jahren 1511, 1529, 1530, 1532, 1537 und 1539 stellten die Markgrafen von Brandenburg Schutzbriefe für einzelne Juden aus, die zum Teil auch in einem Prichsenstädter Salbuch von 1534 als Kreditgeber auftauchen. Im weiteren Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts schweigen die Quellen zur jüdischen Präsenz in Prichsenstadt weitgehend. Erst 1680 ist wieder von einem Juden in einem Patent die Rede, das Markgraf Johann Friedrich von Brandenburg /reg. 1667-1686) für den Schutzjuden Maier ausstellte. Die Urkunde forderte auch die Beamten des Markgrafen auf, Maier beim Eintreiben seiner Kredite behilflich zu sein.
Ende des 17. Jahrhunderts listete eine Güterbeschreibung im Jahr 1699 nur drei Juden auf, welche über Grundbesitz in Prichsenstadt verfügten, und 1714 vermerkte das Landjudenschaftsregister nurmehr zwei steuerpflichtige jüdische Familienoberhäupter. Zwanzig Jahre später war die Zahl der Juden, die in Prichsenstadt über Häuser, aber nicht über Ackerland verfügten, auf vier gestiegen: Die Prichsenstädter Juden waren gemäß der althergebrachten Bedingungen noch 1775 den christlichen Ortsbewohnern zwar gleichgestellt, durften aber keine Felder erwerben.
Im 19. Jahrhundert waren die finanziellen Mittel der Prichsenstädter Gemeinde, zu der 1801 elf Familien mit 42 Personen gehörten, anfangs sehr beschränkt. Die Zahl der Gemeindeglieder blieb in den folgenden Jahrzehnten weitgehend konstant. Die gemeinde gehörte zum Distriktsrabbinat Schweinfurt, die Verstorbenen wurden in Gerolzhofen beigesetzt.
Zu Problemen führte der gemeinsame Schulunterricht mit Kirchschönbach. Da die jüdische Gemeinde in Prichsenstadt aus finanziellen Gründen keinen eigenen Religionslehrer unterhalten konnten, bestätigte die Kreisregierung 1832 den Kompromiss, dass Prichsenstadt mit Kirchschönbach den Religionslehrer teilen sollte, der jeweils drei Tage in Prichsenstadt und drei Tage in Kirchschönbach unterrichten sollte. Nach dem Tod des Religionslehrers Löw Reichmann im Jahr 1854 wurde der Altenschönbacher Religionslehrer Samuel Kahn provisorisch mit dem Religionsunterricht für die Kinder beider Gemeinden betraut, da Nathan Reichmann, der Sohn des verstorbenen Religionslehrers keinen selbständigen Religionsunterricht erteilen könne. Zu einer Neuregelung gelangte man 1861, als sich Kirchschönbach und Prichsenstadt einigten, gemeinsam einen Religionslehrer anzustellen. Nach nicht einmal zehn Jahren kam es bereits 1870 zum Konflikt zwischen beiden Gemeinden, da das kleinere und finanziell weniger leistungsstarke Kirchschönbach die Aufteilung der Kosten für den gemeinsamen Religionslehrer als ungerecht empfand. Auf den Widerstand der Prichsenstädter jüdischen Gemeinde stieß auch 1873 der Wunsch der jüdischen Kirchschönbacher Gemeinde, mit Altenschönbach vereinigt zu werden. Schließlich entschied das Kultusministerium und erzwang diese Fusion mit staatlicher Autorität.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der in Prichsenstadt lebenden Juden auf 68 Personen und erreichte damit ihren Höchststand. Wirtschaftlich waren die Juden, die vor allem Viehhandel betrieben, in den 1880er und 1890er Jahren sehr erfolgreich, da die fünf höchstbesteuerten Prichsenstädter der Steuerlisten von 1887 und 1895 allesamt jüdischen Glaubens waren. 1899 erwähnte ein Bericht des Bezirksbaumeisters 24 Juden und 16 Jüdinnen, die die Synagoge besuchten. Zu dieser Zeit besuchten acht Kinder den jüdischen Religionsunterricht. Die jüdische Bevölkerung beteiligte sich am kommunalen Vereinsleben und war beispielsweise im Turnverein, dem Rauchclub und dem Radfahrerverein vertreten.
Auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Prichsenstädter Juden, von denen drei 1907 zu den zahlungskräftigsten Steuerzahlern der Gemeinde gehörten, in die Gesellschaft weitgehend integriert: Drei jüdische Soldaten aus Prichsenstadt fielen im 1. Weltkrieg, und zwei Juden starben 1919 und 1920 an den Spätfolgen ihrer Kriegsverletzungen. Im Dezember 1914 hatte die jüdische Gemeinde mehr als 200 Mark dem Roten Kreuz gespendet. Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurden bei den Kommunalwahlen 1919 zwei Juden in den insgesamt zehn Räte umfassenden Prichsenstädter Stadtrat gewählt. 1933 lebten noch 53 Jüdinnen und Juden in Prichsenstadt. Da die Zahl der Juden unter anderem wegen der zunehmenden Auswanderungen zurückging, entschlossen sich die Kultusgemeinden in Prichsenstadt, Großlangheim, Kleinlangheim und Altenschönbach im Jahr 1935, den Religionsunterricht aus Kostengründen zusammenzulegen. Als neuer Religionslehrer wurde Alfred Grünebaum mit Dienstsitz in Prichsenstadt von allen Vorständen gemeinsam angestellt.
Im Jahr 1938 war die Zahl der ortsansässigen Juden durch die ständigen Diskriminierungen und Boykotte auf 35 Personen gesunken. Im Novemberpogrom wurde am 10. November 1938 die Wohnung des Lehrers Alfred Grünebaum von SS-Männern sowie zahlreichen jungen Leuten aus dem Ort gestürmt und demoliert. Vier jüdische Männer und zwei jüdische Frauen aus Prichsenstadt wurden verhaftet und in das Amtsgerichtsgefängnis Gerolzhofen gebracht. Zwei Prichsenstädter Juden kamen von dort in das Konzentrationslager Dachau und wurden erst Mitte Januar 1939 wieder entlassen. Ende des Jahres lebten nur noch 27 Juden in Prichsenstadt, von denen mehrere 1941 in die USA auswanderten. 1942 wurden sieben der letzten zehn Prichsenstädter Juden nach Krasniczyn und drei nach Theresienstadt deportiert. Die Shoah überlebte keiner der Deportierten.
Nach 1945 kehrte nur Otto Hahn, ein KZ-Überlebender, für kurze Zeit nach Prichsenstadt zurück und wanderte dann in die USA aus. In dem Prozess, der 1948/1050 wegen des November-Pogroms von 1938 stattfand, wurde der Hauptangeklagte, Bürgermeister und NSDAP-Ortsgruppenleiter Sauer, zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Die Kommune beteiligt sich am Projekt DenkOrt Deportationen mit zwei Gepäckstücken: Eines erweitert das zentrale Mahnmal auf dem Würzburger Bahnhofsplatz, das Gegenstück erinnert vor Ort an die deportierten Opfer der Shoah.
(Stefan W. Römmelt)
Bevölkerung 1910
Literatur
- Johannes Sander / Hans Schlumberger: Prichsenstadt mit Kirchschönbach. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.2. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1259-1281.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 217.