Möglicherweise haben sich jüdische Flüchtlinge aus Nürnberg nach 1298 unter dem Schutz der Schlüsselfelder Grafen in Pretzfeld niedergelassen. Ein "Suezzlein von Pretzfeld" bürgte 1326 und 1327 für neu zugezogene Juden in Nürnberg und zog wahrscheinlich bis 1338 selbst zurück in die Reichsstadt. Er starb dort noch vor 1349 in den Pest-Pogromen. Eine Mikwe im Gebäude Schloßberg 5, die im Bayerischen Denkmal-Atlas aufgenommen ist, wird in die Mitte des 14. Jahrhunderts datiert.
Unter dem Schutz der Schlüsselfelder, später den Reichsrittern von Stiebar wohnten im 15. und 16. Jahrhundert kontinuierlich jüdische Familien in Pretzfeld. Um 1608 sind dreizehn Familien belegt. Aufgrund der Wirren des Dreißigjährigen Kriegs, als der protestantischen Familie Stiebar kurzzeitig die Grundherrschaft entzogen wurde, reduzierte sich ihre Zahl. Erst um 1700 zählte man wieder dreizehn jüdische Haushalte. Beide Seiten profitierten von ihrer Anwesenheit, da die jüdischen Einwohner nennenswerte Kredite für den Wiederaufbau des verwahrlosten Schlosses gewährten und die Herrschaft ihren Schutzjuden im Gegenzug den Grund für Synagoge, Schule und Friedhof zur Verfügung stellten.
Die jüdischen Familien lebten im 18. und 19. Jahrhundert hauptsächlich von Klein- und Hausierhandel. Ab 1736 war ihnen auch der Viehhandelt erlaubt. Die Familien wohnten zum Teil nebeneinander in kleinen, zweistöckigen Tropfhäusern mit keinem bzw. einem kleinen Gartengrundstück in der Judengasse. Im Jahr 1813 bestand die jüdische Gemeinde Pretzfeld aus 17 Schutzstellen mit 65 Angehörigen in elf Häusern. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts erreichte sie bereits ihre höchste Zahl: 1824 zählte sie 87 Mitglieder, also zwischen neu und zehn Prozent der gesamten Ortsbevölkerung.
Bis zu dieser Zeit hatten die Kinder zusammen mit den jüdischen Schulkindern aus Hagenbach die christliche Elementarschule im Ort besucht. Weil 1827 aber 26 jüdische Schulkinder in Pretzfeld gezählt wurden, verlangte die Regierung den Bau einer eigenen Schule. Im Gebäude neben der Synagoge richtete die gemeinde gehorsam ein Schulzimmer und eine Lehrerwohnung ein. Jedoch bemängelte die staatliche Schulinspektion im Jahr 1833 die Verhältnisse als äußerst mangelhaft: Das Schulzimmer sei kalt, feucht, ungesund und schlecht geheizt, so dass der Lehrer den Unterricht in seinem Wohnzimmer halten müsse.
1850 gab es je einen jüdischen Metzger, Eisen- und Lederhändler, Seilermeister und Seifensieder.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ging die Zahl der jüdischen Einwohner von Pretzfeld durch die Auswanderungsbewegung nach Amerika kontinuierlich zurück, gerade die Jugend verließ die Heimat und suchte jenseits des Atlantik eine bessere Zukunft. Mit der Abschaffung des Judenedikts von 1813, als allen bayerischen Juden ab 1861 endlich die volle Freiheit in der Arbeits- und Wohnortswahl gewährt wurde, verschärfte sich diese Entwicklung. Bereits 1866 kam kein Minjan mehr zustande, und mit einem Behördenbeschluss wurde die Aufhebung der Gemeinde beschlossen. 1910 lebte offiziell kein Jude in der Kommune.
Unabhängig von dieser Entwicklung hatte jedoch der letzte Grundherr, Reichsgraf August von Seinsheim (1789-1869) sein schönes Pretzfelder Schloss an den Nürnberger Kaufmann Joseph Kohn verkauft. Dessen Tochter Lina Herz richtete 1894 eine großzügig dotierte Stiftung für ein Wohnhaus mit Garten ein, um darin eine Kleinkinderbewahranstalt und eine Winterschule für Mädchen einzurichten. Für ihre Verdienste verlieh ihr der Markt Pretzfeld im Jahr 1894 die Ehrenbürgerschaft. Das Gebäude der ehemaligen Kinderbewahranstalt wurde in den Bayerischen Denkmal-Atlas aufgenommen. Lina Herz lebte bis zu ihrem Tod 1936 im Schloss. Ihr Enkel und Erbe Fritz Hermann wanderte 1937 nach England aus. Obwohl Hermann evangelischen Glaubens war, wurde Schloss Pretzfeld von den Nationalsozialisten als jüdischer Besitz eingestuft und während des Novemberpogroms 1938 geplündert.
Von den in Pretzfeld geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen: Julius Heller (1861, später in Nürnberg wohnhaft), Lehmann Heller (1868, später in Nürnberg wohnhaft), Meier (Maier) Heller (1869, 1919 bis 1936 Lehrer in Leutershausen, zuletzt in Fulda wohnhaft), Wilhelmine Pfefferblüth geb. Lindner (1870, später in München wohnhaft).
(Patrick Charell)
Bilder
Bevölkerung 1875
Literatur
- Gesellschaft für Familienforschung in Franken / Staatliche Archive Bayerns (Hg.): Staatsarchiv Bamberg - Die 'Judenmatrikel' 1824-1861 für Oberfranken. Nürnberg 2017. Ggfs. digital (Reihe A: Digitalisierte Quellen, 2 = Staatliche Archive Bayerns, Digitale Medien 4).
- Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. 2. Aufl. München 1992 (= Bayerische Landeszentrale für politische Bildung A85), S. 232f.
- Klaus Guth: Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800–1942), ein historisch-topographisches Handbuch. Bamberg 1988 (Landjudentum in Oberfranken. Geschichte und Volkskultur 1), S. 270-281.
- Germania Judaica II,2 S. 663-664; III,2 S. 1153-1154.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 146.
- K. statistisches Bureau: Ergebnisse der Volkszählung im Königreiche Bayern am 1. Dezember 1875 [...]. München 1877 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 36), S. 132.