Jüdisches Leben
in Bayern

Pocking Gemeinde

In Pocking gab es bis Ende des Zweiten Weltkriegs kein jüdisches Gemeindeleben. Mit der neu gewonnenen Freizügigkeit waren ab 1861 stets nur vereinzelt jüdische Personen in die Stadt gezogen. Erst 1945 richtete die US-Militärverwaltung gemeinsam mit der UNRRA hier eine Auffangstation für heimatlose jüdische Displaced Persons ein, die aus den befreiten Lagern im Osten kamen und nun im Land der Täter gestrandet waren. In Pocking wurde zunächst im Stadtgebiet eine DP-Gemeinde gegründet, deren Mitglieder in Privathäusern wohnten, und ab Januar 1946 ein vergleichsweise sehr großes DP-Lager (engl. Camp) im Ortsteil Waldstadt. Beide DP-Einrichtungen bestanden bis 1949.

Zur Unterbringung der DPs in Pocking wurde Wohnraum von zumeist politisch belasteten Privatpersonen beschlagnahmt. Die DP-Gemeinde verwaltete sich unter dem gewählten Vorsitz von Rabbiner Leopold Meisels, Max Schmerler und Josef Hoffert größtenteils selbst. Der Verwaltungssitz und das soziale Zentrum mitsamt einem Betsaal befand sich in einem Wohnhaus (Tettenweiser Straße 6), das inzwischen einem Parkplatz weichen musste. Ansonsten nutzen die Gemeindemitglieder alle Einrichtungen für Sport, Bildung und Gesundheit, die im DP-Lager Waldstadt zur Verfügung standen. In Pocking selbst lebten im Dezember 1945 bereits 195 Jüdinnen und Juden, was aber auch den Höchststand bildete. Ihre Zahl sank bis März 1946 und pendelte in den kommenden Jahren bei etwas über 100 und 120 Personen. Nach Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 wanderten die DPs verstärkt aus und suchten in "Erez Israel" eine neue Heimat, andere gingen nach Amerika oder auch Asien. Die Gemeinde löste sich im laufe des Jahres 1949 auf, nachdem sie zuletzt im März nur noch 69 Mitglieder gezählt hatte.

Auf dem Gelände eines Außenlagers des KZs Flossenbürg im Ortsteil Waldstadt entstand ein großes Barackenlager für jüdische Displaced Persons. Als der Platz nicht mehr ausreichte, entstand ein Nebenlager am Flugplatz Kirchham. Wie die Gemeinde in der Stadt Pocking wurde auch auch das Lager von den Bewohnern in weiten Teilen selbstständig und wählte sich ein Komitee unter dem Vorsitz von Chaim Goldstein und Moisze Garfinkel. Für die innere Sicherheit des großen Areals sorgte eine eigene Lagerpolizei. Es gab zwei Sport- bzw. Fußballvereine (Hagibor Pocking und Hapoel Pocking). Ein "Kulturamt" organisierte die Bildung mit einem Kindergarten, Volksschule, Berufsschule mitsamt Bibliothek. Das Personal wurde von der UNRRA gestellt. Auch die Religion spielte im Vergleich zu anderen DP-Einrichtungen eine vergleichsweise große Rolle, auch wenn sich davon nicht automatisch eine große Frömmigkeit der Bewohner ableiten lässt. Im DP-Lager Pocking gab es eine große Koschere Küche zur Versorgung der Familien, eine Religionsschule (Cheder) und eine talmudische Hochschule (Jeschiwa), die von der orthodoxen US-Organisation "Vaad Hatzala" geleitet wurde. Bei der Öffnung des Lagers im Januar 1946 lebten zunächst 650 Menschen auf dem Areal, doch die Zahl wuchs schnell an, weil DPs aus anderen überfüllten Lagern und Gemeinden umverteilt wurden: Im März 1946 waren es bereits 2100 Jüdinnen und Juden, im Juli 5119, im Oktober 8122! Damit waren aber auch die Kapazitäten erschöpft und der Höchststand erreicht. Ab diesem Zeitpunkt sank die Zahl langsam, aber kontinuierlich. Nach Gründung des Staates Israel im Mai 1948 wanderten auch aus dem Lager die meisten Bewohner aus oder wurden in die nun frei gewordenen Wohnungen in bayerischen DP-Gemeinden umgesiedelt, die mehr Privatsphäre und Komfort boten. Das Lager wurde im laufe des Jahres 1949 aufgelöst.


(Patrick Charell)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. 2. Aufl. München 1992 (= Bayerische Landeszentrale für politische Bildung A85), S. 343.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 52.