Jüdisches Leben
in Bayern

Höchheim Gemeinde

Nach 1648 vergaben die Herren von Bibra Schutzbriefe an Juden, die wohl der Wiederbelebung des im Dreißigjährigen Krieg verödeten Ortes dienen sollten. Aus dem Jahr 1699 sind zwei Listen mit rund 50 in Höchheim ansässigen Schutzjuden überliefert. Ein Verzeichnis aus dem Jahr 1731 erwähnt 18 in Höchheim ansässige arme Juden, die zum Broterwerb das Dorf verlassen mussten. Auch die Behörden des benachbarten Amts Römhild (Herzogtum Sachsen-Meiningen) schätzten die Höchheimer Juden, die sich vor allem vom Handel mit Kühen und Kälbern ernährten, in einem Bericht von 1798 als arm ein. Als ein Jude 1768 die zur katholischen Pfarrei gehörende "Hofreite" in Höchheim erwarb, protestierte der Pfarrer in Mellrichstadt vergeblich.

Die Angaben zur jüdischen Bevölkerung Höchheims zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind widersprüchlich: Während für 1803 19 jüdische Familien genannt werden, die unter dem Schutz der Bibra standen, lebten laut einer Volkszählung aus dem Jahr 1813 zu diesem Zeitpunkt 120 Jüdinnen und Juden in Höchheim und machten etwa ein Drittel der Bevölkerung aus. 1817 trugen sich 22 Haushaltsvorstände in die vom 1813 erlassenen bayerischen Judenedikt vorgeschriebene Judenmatrikel ein. Zu diesem Zeitpunkt lebten 106 Jüdinnen und Juden in Höchheim, die vor allem Tuch-, Klein- und Warenhandel betrieben. Rund 30 Jahre später war die Gemeinde im Jahr 1848 auf 124 Mitglieder angewachsen. Die Toten der Gemeinde wurden in Kleinbardorf beigesetzt. In Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge, eine Religionsschule und ein rituelles Bad. Die jüdische Gemeinde gehörte zum Distriktsrabbinat Burgpreppach.

Die Schule, die im wohl seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts existierenden, eingeschossigen Gemeindehaus lag, war wie auch die Wohnung des Lehrers im Westflügel des Gebäudes untergebracht, in dessen Ostflügel die Synagoge lag. Der Zugang zur Schule erfolgte vom Hof über eine vierstufige Freitreppe und einen zentralen Flur, der ursprünglich das Wohnzimmer des Lehrers und über eine Treppe das Unterrichtszimmer im Dachgeschoss erschloss. 

Da die Höchheimer Kultusgemeinde nur über geringe finanzielle Ressourcen verfügte, gestaltete sich die Besetzung der Religionslehrerstelle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts generell schwierig, da geeignete Kandidaten sich häufig für besser dotierte Stellen entschieden. Dies führte dazu, dass Lehrer aus benachbarten Gemeinden wie (Gau)königshofen den Religionsunterricht in Höchheim übernahmen.

Nach der Aufhebung der Matrikelpflicht 1861 schrumpfte die jüdische Bevölkerung Höchheims stetig, da nun innerhalb Bayerns auch Jude ihren Wohnort frei wählen konnten. Dies galt nicht für einen Umzug ins benachbarte Ausland, was Löser Sommer erfuhr, als er sich 1863 in der Freien Stadt Frankfurt am Main niederlassen wollte und zwei Jahre bis zur Aufnahme in den Frankfurter Bürgerverband warten musste. Zu den erfolgreichen Auswanderern gehörte Louis Kahn, der 1894 in die USA emigrierte und dort mit der Herstellung von Seidengarn zu Wohlstand gekommen war.

Als 1873 die jüdische Gemeinde ein Wohnhaus für den Lehrer errichtete, wurden die Wohnstube des Lehrers und die Holzkammer zu einem geräumigen Klassenzimmer zusammengefasst. Antisemitische Ausschreitungen fanden in Höchheim bereits Ende Februar 1894 statt, als die Fenster einiger jüdischer Häuser mit Steinen eingeworfen wurden. Nach der Aufstellung von Nachtwachen hörten die Ausschreitungen auf.

Spätestens 1906 wurde die Stelle des Religionslehrers in Höchheim nicht mehr besetzt. Den Religionsunterricht hielt stattdessen bis in die 1930er Jahre der Religionslehrer aus Königshofen. Dabei kam es gelegentlich zu kuriosen Situationen: 1910 versetzte Religionslehrer Julius Hermann den zu einer Inspektion angereisten Distriktsschulinspektor Dekan Rusam aus Rothausen mit der Begründung, er sei über den Besuch nicht informiert gewesen. 1907 ergab eine Besichtigung des Schulhauses durch das Bezirksamt einige Baumängel im Synagogen- und Schulhaus, die von der jüdischen Gemeinde zwischen 1908 und 1910 sukzessive beseitigt wurden. Eine schnelle Beseitigung der Baumängel verhinderten die geringen finanziellen Ressourcen der Gemeinde. 1910 gehörte die jüdische Kultusgemeinde zu den leistungsschwachen Gemeinden in Unterfranken und erhielt in diesem Jahr 50 Mark als Zuschuss der Würzburger Kreisregierung, da die Mehrzahl der Gemeindemitglieder als arm eingestuft wurde. In diesem Jahr wohnten noch 12 Familien mit 47 Jüdinnen und Juden in Höchheim, die laut dem evangelischen Pfarrer Heinrich Friedrich friedlich mit den christlichen Dorfbewohnern zusammenlebten.

Während des Ersten Weltkriegs fielen fünf Höchheimer Juden. Dennoch wurde der Kultusvorsteher Elias Friedmann in den Jahren 1915, 1916 und 1917 mehrmals Opfer antisemitischer Übergriffe, ohne dass die Täter zur Rechenschaft gezogen wurden. Zu den in die Dorfgemeinschaft integrierten Höchheimer Juden gehörte der Kolonialwarenhändler Benno Strauß, der 1921 als Schriftführer das Protokoll bei der Gründung des Sportvereins TSV Höchheim erstellt hatte.  

Bereits zu Beginn des „3. Reichs“ erfuhr Strauß das nationalsozialistische Gewaltpotenzial: Nach einer Auseinandersetzung mit Römhilder SA-Leuten während der Höchheimer Kirchweih im Herbst 1933 wurde der Kaufmann von der Polizei verhaftet, da er angeblich ein Maschinengewehr besaß. Da Strauß versicherte, keine Waffen mehr zu besitzen und das NS-Regime nicht kritisiert zu haben, wurde er nach vierwöchiger Schutzhaft freigelassen. Er hatte allerdings verschwiegen, dass er tatsächlich eine umfangreiche Sammlung von Pistolen und kleineren Waffen aller Art besaß.

Im Mai 1939 emigrierte er mit seiner Familie in die USA. Strauß' Emigration in die USA hatte der gebürtige Höchheimer Louis Kahn ermöglicht, der für insgesamt rund 40 bis 50 Ausreisewillige die notwendige Bürgschaft übernahm. Von 1936 bis 1938 unterrichtete der in Königshofen tätige Religionslehrer Justin Bernheimer auch die Höchheimer jüdischen Kinder. Sein Nachfolger Felix Kahn hatte nur noch zwei Schüler: Heinz Martin Strauß und Gunda Friedmann. Am 25. April 1942 wurden neun Höchheimer Jüdinnen und Juden von Würzburg nach Krasniczyn deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Rund ein halbes Jahr später wurde auch Max Rosenthal am 10. September 1942 von Würzburg nach Theresienstadt deportiert, wo er am 14. November 1942 starb. Insgesamt fielen der Shoa 21 in Höchheim geborene Jüdinnen und Juden und 14 Juden, die während der NS-Zeit im Dorf gewohnt hatten, zum Opfer.

1992 besuchte Benno Strauß' Sohn Martin Höchheim. Bei einem Besuch in seinem Elternhaus berichtete ihm die damalige Besitzerin, dass sie bei der Renovierung des Gebäudes auf die von seinem Vater entworfene Dachkonstruktion für die Laubhütte gestoßen war. Im Jahr 2020 beteiligte sich auch die Kommune Höchheim mit je einem Koffer auf dem Würzburger Bahnhofsplatz und in Höchheim am DenkOrt Deportationen Würzburg.


(Stefan W. Römmelt)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Gerhard Gronauer/ Hans-Christof Haas: Höchheim. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.1. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 699-713.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 229.