
Der erste gesicherte Nachweis von Juden in Heiligenstadt stammt aus dem Jahr 1617: In einer Urkunde der Streitberger Grundherrschaft werden fünf abgabenpflichtige Juden im Ort genannt. Die Nachrichten aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind spärlich und schwer überprüfbar. Für 1699 gibt es eine Notiz, dass sich christliche Scheßlitzer und Heiligenstädter Bürger an einem Pogrom gegen die jüdische Gemeinde beteiligt hätten. Nachdem wenige Jahrzehnte später ein christliches Mädchen von unbekannten Tätern ermordet wurde, fürchteten die Heiligenstädter Juden ein erneutes Pogrom und baten ihre Grundherrschaft um Schutz.
Elf wohlhabendere Mitglieder der jüdischen Gemeinde beteiligten sich zu dieser Zeit auch an der Armenpflege und einer Armenschulstiftung, die unter der Aufsicht des protestantischen Pfarrers stand. Im Jahr 1760 ist erstmals von der Existenz einer Synagoge die Rede. Auch der Friedhof dürfte spätestens in dieser Zeit angelegt worden sein.
Erst mit der Matrikelgesetzgebung zu Beginn des 19. Jahrhunderts verdichten sich die Quellen. Die erste Matrikelliste weist 16 Stellen aus. 1811 übte ein Nathan Mayer in Personalunion das Amt des "Röbe, Lehrer und Schächter" aus. Mit knapp 90 jüdischen Gemeindemitglieder blieb die jüdische Einwohnerzahl zwischen 1825 und 1852 ziemlich konstant, sie machte zwischen 15 und 20 Prozent der Gesamteinwohnerzahl des Ortes aus. Die Erwerbszweige der Familien waren der Hausierhandel und der Viehhandel. Die jüdische Gemeinde gehörte zunächst dem Rabbinat Bamberg an, dann zu Hagenbach und Baiersdorf, ab 1894 wieder zum Distriktsrabbinat Bamberg.
Als sich der zuständige Bezirksarzt 1828 mit den "Kellerquellenbädern der Jüdinnen" befasste, fand er in Heiligenstadt fünf Ritualbäder vor. Eine Mikwe befand sich in dem Haus, das als Synagoge genutzt wurde, die vier anderen in weiteren Privathäusern. Der Bericht fiel sehr negativ aus: die Bäder seien schmutzig und unrein und für die Gesundheit der Benutzerinnen schädlich. Es ist nicht bekannt, ob anschließend eine neues modernes Ritualbad gebaut wurde. Im jüdischen Haus Marktplatz 3 befand sich eine Sukkat für das Laubhüttenfest.
Der Schulunterricht wurde im Synagogengebäude abgehalten (Hauptstraße 17). Um 1820 besuchten 22 Kinder den Unterricht. Der Visitationsbericht eines jüdischen Religionslehrers kam 1827 zum Ergebnis, dass vor allem in den Elternhäusern ein orthodoxer Aberglauben und die Ablehnung der eigenen Religionsschule vorherrsche, weshalb den Kindern der tiefere Zugang zur jüdischen Religion verwehrt würde. Der protestantische Pfarrer hingegen sah die Juden in ihrem religiösen Leben als Vorbild für die Christen. Das Verhältnis zur jüdischen Gemeinde muss sehr gut gewesen sein. 1853 rühmte die jüdische Gemeinde in einem Nachruf die Humanität des Pfarrers, was wiederum die Zeitschrift "Der Israelit" zur spitzen Bemerkung veranlasste, Heiligenstadt sei weder heilig noch eine Stadt und das Lob sei wohl etwas zu viel gewesen.
Bis 1863 hatte die Gemeinde einen eigenen staatlich geprüften Lehrer, dessen Aufgaben auch wegen der rückläufigen Zahlen von Aufseß aus wahrgenommen wurden. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts war, bedingt durch Wegzug und Auswanderung, die Frage nach der Auflösung der Kultusgemeinde nicht mehr wegzudiskutieren. Obwohl die Heiligenstädter Juden mit fiktiven Zahlen und unrealistischen Versprechungen den Zusammenschluss mit Aufseß hinauszögern konnte, wurde die Fusion am 15. Februar 1902 amtlich verfügt. Die weitere Abwanderung jüdischer Familien ging weiter und 1910 lebten keine Juden mehr in Heiligenstadt.
Heute erinnert eine Informationstafel am Haus Marktplatz 3 an die jüdische Gemeinde: "Ehemalige Judenhaus. Häuserzeile im 18.-19. Jahrhundert vornehmlich von Juden bewohnt. In diesem Anwesen gab es eine sogenannte Laubhütte für das jüdisch-religiöse Laubhüttenfest, im Nachbarhaus eine Mikwe zum rituellen Baden, die Judenschule befand sich in Hauptstraße 17." Harro Preiss erstellte für die Marktgemeinde einen Rundgang zur jüdischen Geschichte, der auch online verfügbar ist.
(Patrick Charell)
Bilder
Bevölkerung 1875
Literatur
- Gesellschaft für Familienforschung in Franken / Staatliche Archive Bayerns (Hg.): Staatsarchiv Bamberg - Die 'Judenmatrikel' 1824-1861 für Oberfranken. Nürnberg 2017. Ggfs. digital (Reihe A: Digitalisierte Quellen, 2 = Staatliche Archive Bayerns, Digitale Medien 4).
- Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. 2. Aufl. München 1992 (= Bayerische Landeszentrale für politische Bildung A85), S. 221f.
- Klaus Guth: Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800–1942). Ein historischtopographisches Handbuch. Bamberg 1988 (= Landjudentum in Oberfranken. Geschichte und Volkskultur 1), S. 186-194.
- K. statistisches Bureau: Ergebnisse der Volkszählung im Königreiche Bayern am 1. Dezember 1875 [...]. München 1877 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 36), S. 132.