Jüdisches Leben
in Bayern

Feuchtwangen Gemeinde

Die früheste urkundliche Erwähnung eines Feuchtwanger Juden findet sich im Achtbuch des Landgerichts Rothenburg ob der Tauber: Am 10. August 1274 erhob „Michahel Judeus de Fuhtewanch“ Klage, weil er gewaltsam um seinen Besitz gebracht worden war. Für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts sind weitere Juden aus Feuchtwangen belegt, die mit auswärtigen Glaubensbrüdern in geschäftlichen Beziehungen standen. Die Verfolgungswelle der Pestjahre 1348/49 bereitete dem jüdischen Leben auch hier ein jähes Ende. Es dauerte länger als ein halbes Jahrhundert, bis sich wieder Juden in Feuchtwangen ansiedelten.

In der Zwischenzeit hatte Feuchtwangen den Status einer unabhängigen Reichsstadt eingebüßt. Kaiser Karl IV. (reg. 1346/55-1378) verpfändete sie 1376 an die Nürnberger Burggrafen, später Markgrafen von Brandenburg-Ansbach. Aus dieser Verpfändung konnte sich die Stadt nie mehr lösen und blieb bis zum Ende des Alten Reichs eine Hohenzollerische Landstadt. So waren es auch die Markgrafen, die das weitere Schicksal der Feuchtwanger Juden bestimmten: Man duldete sie wieder ab 1414, nur um sie im 16. Jahrhundert durch mehrere Ausschaffungsedikte erneut zu vertreiben.

Dank der weitsichtigen Politik des Markgrafen Georg Friedrich (reg. 1543-1603) wurden wieder Juden in der Stadt aufgenommen. Als erstes kam am 6. März 1599 die Familie Esaias mitsamt ihrem Gesinde nach Feuchtwangen. Dies war der Beginn einer jüdischen Gemeinde, die 340 Jahre bestand hatte und zeitweise ein eigenes Rabbinat bildete. Ihre Toten beerdigten die Feuchtwanger Juden jedoch stets auf dem großen Friedhof in Schopfloch. 1601 ließ sich in der Stadt ein „Löw Jud“ mit seiner Familie taufen. Unter dem neuen Namen Samuel Friedrich Brenz diente er anschließend als Beamter für die Grafen von Oettingen und hetzte 1612 in seiner Schrift „Jüdischer abgestreiffter Schlangen-Balg“ gegen die einstigen Glaubensgenossen. Dieses bösartige Pamphlet war wie ein Menetekel, denn in Feuchtwangen blieben die Juden mehr als anderswo in Franken das Ziel von Übergriffen und Diffamierungen. Im Jahr 1656 etwa beschuldigte man die Feuchtwanger Gemeinde eines rituellen Kindermords, doch zum Glück wurden die Denunzianten sehr schnell überführt. Die Motive waren oft ganz profaner Natur, denn trotz der vielen Einschränkungen entwickelte sich die Feuchtwanger Gemeinde bis 1712 zur wohlhabendsten im ganzen Fürstentum Ansbach, die bei Neidern entsprechende Begehrlichkeiten weckte. Mediatisierung, Preußische Okkupation, Revolutionskriege und die Gründung des Königreichs Bayern gingen am kleinen Städtchen fast spurlos vorüber.

Am 12. August 1833 schloss sich Feuchtwangen dem Distriktsrabbinat Ansbach mit Rabbiner Moses Hochheimer (1755 -1835) an und wechselte 1841 zum neu gegründeten Distrikt Schopfloch, das jedoch ab 1872 ebenfalls von Ansbach aus betreut wurde.

Bis 1837 wuchs die Gemeinde auf 137 Männer, Frauen und Kinder an. Synagoge, Mikwe und viele jüdische Wohnstätten standen entlang der heutigen Herren- und Museumsstraße, die im Volksmund auch „Judengasse“ genannt wurde.

1828 öffnete in einem Privathaus eine eigene israelitische Elementarschule, die jedoch bereits nach kurzer Zeit aus finanziellen Gründen scheiterte. Jüdische Schüler besuchten weiterhin die städtischen Schulen und erhielten ihren Religionsunterricht in einem eigens dafür eingerichteten Schulzimmer der Synagoge. Bei der Einweihungsfeier dieses neuen Gotteshauses am 30. August 1833 feierte die gesamte Stadtbevölkerung mit. Überhaupt normalisierte sich das Zusammenleben, Juden und Christen engagierten sich in zahlreichen Vereinen gemeinsam für ihren Heimatort. Vor allem wohlhabendere jüdische Familien zeichneten sich durch ein besonders soziales Verhalten aus. Nach mündlicher Überlieferung luden sie arme Kinder, gleichgültig welcher Religion sie angehörten, regelmäßig zu reichhaltigen Mahlzeiten an den Familientisch. Christliche Kinder konnten sich ein großzügiges Taschengeld verdienen, indem sie am Schabbat in jüdischen Häusern Licht machten oder kleinere Besorgungen übernahmen. Jüdische Arbeitgeber zahlten faire Löhne, was in Feuchtwangen besonders spürbar wurde, weil sie dort seit ihrer rechtlichen Gleichstellung im Jahr 1861 zunehmend auch in zahlreichen Handwerksberufen arbeiteten.

Dennoch verließen im Zuge der Aus- und Abwanderungswellen des 19. Jahrhunderts auch in Feuchtwangen mehr und mehr junge Menschen ihre Heimat, um sich in Übersee oder wenigstens in den prosperierenden Industriezentren eine eigene Existenz aufzubauen. Die schrumpfende jüdische Gemeinde hatte zunehmend Mühe, ihre religiösen und karikativen Aufgaben zu erfüllen.

1926 wurde die Feuchtwanger Ortsgruppe der SA gegründet. Einige jüdische Männer traten daraufhin dem „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ bei, einer der SPD nahestehenden Miliz zum Schutz der Demokratie. Im Juli 1932 gliederten sich Leutershausen und Colmberg der Kultusgemeinde Feuchtwangen an. Sie alle bekamen die Folgen der NS-Gewaltherrschaft zu spüren. Von den zahlreichen Repressionen und Einschränkungen nach 1933 seien nur zwei Beispiele erwähnt: Im Februar 1934 untersagte der Stadtrat den Juden die Benutzung des kommunalen Leichenwagens und ließ am 20. August 1935 an den Ortseingängen Tafeln mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ aufstellen. Jüdischen Viehhändlern wurde der Zugang zum Feuchtwanger Markt verwehrt. Viele Familien verließen in diesen Jahren ihre Heimat, die ihnen keine Zukunft mehr bot. In den Abendstunden des 20. Dezember 1937 rottete sich eine Menschenmenge zusammen, die vor allem zu Beginn aus Mitgliedern der HJ bestand. Sie belagerte nacheinander alle jüdischen Häuser, bis die Polizei ihre Bewohner in Schutzhaft nehmen musste. Bis zum 2. März 1938 hatten alle Juden die Stadt verlassen. Das Synagogengebäude wurde im Novemberpogrom niedergebrannt, weil der Verband Bayerischer Israelitischer Gemeinden einen Verkauf weit unter Wert verweigerte.

31 Feuchtwanger Jüdinnen und Juden sind bis 1945 nachweislich ums Leben gekommen.

1984 brachte die Stadtverwaltung am Fränkischen Museum Feuchtwangen, dem alten Standort der Synagoge, eine Gedenktafel an. Das Museum zeigte 2021/22 anlässlich des bundesdeutschen Festjahres „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ die Sonderausstellung „800 Jahre jüdisches Leben in Feuchtwangen. Erinnere. Bewahre. Wandle“. Ein ausgestelltes Modell der Synagoge wurde im Therapiezentrum von Schloss Cronheim angefertigt. Die US-amerikanische Politologin Prof. Amy Gutmann (*1949), Präsidentin der University of Pennsylvania, ist die Enkelin des Feuchtwangers Stoff- und Kleidungshändlers Abraham Gutmann. Ihr Vater Kurt Gutmann (1910-1964) war 1934 aus Deutschland geflohen und nach dem Krieg in die USA emigriert. Seit 2022 ist Frau Prof. Gutmann US-Botschafterin in Berlin.


(Patrick Charell)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Angela Hager / Hans-Christof Haas / Cornelia Berger-Dittscheid: Feuchtwangen. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 2: Mittelfranken. Erarbeitet von Barbara Eberhardt, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Angela Hager unter Mitarbeit von Frank Purrmann und Axel Töllner mit einem Beitrag von Katrin Keßler, Lindenberg i. Allgäu 2010, S. 238-248
  • Dietrich Weiß: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde Feuchtwangen 1274-1938. Feuchtwangen 1991 (= Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Heimatgeschichte im Verein für Volkskunst und Volkskunde e.V. und des Stadtarchivs Feuchtwangen 3).
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 181.