Unter den Geldverleihern, die im Hochstift Würzburg 1489 den erzwungenen Verzicht auf ihre Forderungen erklärten, befand sich auch ein Estenfelder Jude. Eine Federzeichnung aus dem Jahr 1533 belegt ein "Jude hauß" im Ort. In Eibelstadt wird 1620 ein Jude aus Estenfeld genannt. Da im 17. Jahrhundert in der Dorf- und Gerichtsordnung von Estenfeld ausdrücklich auch ein Judeneid festgelegt wurde, darf man davon ausgehen, dass jüdische Einwohner damals als feste Größe zur Bürgerschaft gehörten. Im späten 17. Jahrhundert sind vier verarmte jüdische Haushalte nachgewiesen, die sich zum Teil durch Kleinhandel ernährte. Auch später gibt nur vereinzelt Nachrichten über die jüdische Bevölkerung: 1718 gab es sieben jüdische Haushalte im Ort, 1763 noch fünf.
Noch während der Zeit des Großherzogtums Würzburg erbauten die Estenfelder Juden 1807 ein neues Gemeindezentrum mit Synagoge, Schule und Lehrerwohnung auf dem Grundstück an der Unteren Straße (Haus Nr. 125). Estenfeld kam 1814 an das Königreich Bayern. 1816 trat das Toleranzedikt von König Max I. Joseph in Kraft, das für alle Juden einheitliche Rechtsgrundlagen schaffen sollte. Der darin enthaltene Matrikelparagraph führte zur Festlegung der Zahl der jüdischen Haushalte in jedem Ort. Estenfeld erhielt sieben Matrikelstellen; nicht mitgerechnet wurde dabei die Familie des Vorsängers Moses Michael Schatz. Bis 1848 war die Kultusgemeinde auf elf Familien mit rund 60 Mitgliedern angewachsen. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt überwiegend im Vieh- und Warenhandel. Die meisten von ihnen gehörten zur Unterschicht und hatten nur wenig Besitz.
An Einrichtungen verfügte die jüdische Gemeinde von Estenfeld über ihr oben genanntes Gemeindehaus mit Synagoge und Religionsschule, sowie ein rituelles Bad, dessen Standort aber nicht bekannt ist. Für die religiösen Aufgaben innerhalb der Gemeinde war im 19. Jh. zeitweise ein Lehrer angestellt, der auch als Vorbeter und Schochet tätig war. 1808 besuchten neun Kinder den Unterricht. Der Religionslehrer erhielt von der Kultusgemeinde eine kostenfreie Wohnung und ein Gehalt von 50 Reichstalern. Die Toten der Gemeinde wurden auf dem 17 Kilometer entfernten jüdischen Verbandsfriedhof in Schwanfeld beigesetzt. Die Gemeinde gehörte zum Distriktsrabbinat in Würzburg (Gemeinde).
Bis zur Jahrhundertwende nahm die Mitgliederzahl der Kultusgemeinde stark ab. 1897 gehörten ihr noch 38 Personen an; 1925 nur noch 16. Da es zunehmend schwierig wurde, die erforderliche Anzahl an Gottesdienst-Teilnehmer aufzubringen, ging die Estenfelder Gemeinde dazu über, auswärtigen Israeliten das Fahrgeld, eine finanzielle Entschädigung sowie Unterkunft und Verpflegung am Sabbat zu bezahlen.
Bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 lebten noch 16 jüdische Bürger in Estenfeld; im April 1937 waren es noch zwölf. Auch in den ersten Jahren der NS-Herrschaft versuchte die Kultusgemeinde noch mit allen Mitteln durch Zahlungen an auswärtige Israeliten den Minjan für einen gemeinsamen Gottesdienst an den jüdischen Feiertagen zu ermöglichen. Einige Gemeindemitglieder wanderten bis November 1938 nach Palästina aus. Das Novemberpogrom 1938 erlebten in Estenfeld noch acht jüdische Bürger. Ihre Wohnungen wurden gestürmt und verwüstet. Besonders das Ehepaar Löwenthal hatte unter der Zerstörungswut zu leiden. Im Oktober 1939 mussten die noch im Ort lebenden jüdischen Familien Birn und Meyer in das Haus der Löwenthals einziehen. Fast alle von ihnen wurden 1940 und 1942 in Konzentrationslager verschleppt und ermordet.
Am 22. September 2007 wurden in Estenfeld durch den Kölner Künstler Gunter Demnig (*1947) elf Stolpersteine zur Erinnerung an die jüdischen Estenfelder verlegt, die im Holocaust ermordet wurden. Am Erweiterungsbau des Rathauses (Untere Ritterstraße) erinnert eine schlichte Tafel an die ehemalige jüdische Gemeinde in Estenfeld.
(Christine Riedl-Valder)
Bilder
Bevölkerung 1910
Literatur
- Axel Töllner / Hans-Christof Haas: Estenfeld. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 604-612.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 243.