Jüdisches Leben
in Bayern

Erding Gemeinde

Gemäß dem Nürnberger Memorbuch gab es in Erding eine mittelalterliche Kultusgemeinde, die jedoch in den Pogromen 1338 ausgelöscht wurde. Aus dem gleichen Jahr hat sich das Siegel von Efferlein (Abraham ben Nachman) aus Erding erhalten, der seinen seinen Hof zu Rundling an das Landshuter Kloster Seligenthal verkaufte. Wo genau in Erding der jüdische Siedlungsschwerpunkt lag und wo sich ihre Synagoge befand, ist unbekannt. Erst 1364 und dann wieder 1448 sind jüdische Einzelpersonen erwähnt, die von Erding aus in der Region als Geldverleiher arbeiteten. Mit dem Niederlassungsverbot 1551 erlosch das jüdische Leben endgültig im ganzen Herzogtum Bayern. Juden lebten erst im späten 19. und 20. Jahrhundert wieder in Erding, wobei die Stadt als Filiale dem Distriktsrabbinat München angeschlossen blieb.

Nach Aufhebung der einschränkenden Matrikelgesetzgebung zog 1879/80 die Familie Einstein als erste jüdische Familie der Neuzeit nach Erding. Um 1894 folgte die Familie Erlanger, zog aber bereits zwei Jahre später nach Bayreuth. Bis 1907 war die Familie des Oberlandesgerichtsrates Arthur Gutmann und seiner Frau Julie geb. Rosenstern in Erding ansässig. 1903 kam ihre Tochter Margit Gutman zur Welt, die 1923 bis 1927 an der Ludwig-Maximilians-Universität München studierte (Promotion 1928) und von 1928 bis 1932 als Lehrerin an der Karolinenschule in Frankenthal unterrichtete (1933 wegen ihrer jüdischen Herkunft entlassen). 1943 wurde sie von Berlin nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ihre Eltern starben 1942/43 im Ghetto Theresienstadt. Der jüdische Viehhändler Otto Blumenthal war mit einer christlichen Erdingerin verheiratet, sein Geschäftspartner Herbert Levite, Viehhändler Josua Manasse und die jüdischen Familien Hirsch und Reiß lebten im Stadtzentrum von Erding.

Regionale Bekanntheit erlangte Bankier Edgar Ladenburg (1878-1941), der sich als sehr erfolgreicher Autorennfahrer einen Namen machte. Im Jahr 1912 erwarb er Schloss Notzing in Obererding, wo er ab 1914 seinen ständigen Wohnsitz hatte; 1939 wurde er von den Nationalsozialisten enteignet und nahm sich am 13. November 1941 das Leben.

Nach der NS-Machtübernahme hatten Boykottaktionen, behördliche Repressalien und diskriminierende neue Reichsgesetze auch in Erding dazu geführt, dass jüdische Geschäfte schließen mussten oder "arisiert" wurden. Ausdruck der öffentlichen Demütigung war unter anderem ein Themenwagen im Faschingsumzug, der einen grotesk karikierten Juden darstellte.

Von den in Erding geborenen und oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des Bundes-Gedenkbuches): Sofie Buchmann geb. Einstein (geb. 1879 in Erding, wohnhaft in Nürnberg, 1942 nach Deportation umgekommen), Leopold Einstein (geb. 1880 in Erding, wohnhaft in Nürnberg, 1943 im Ghetto Theresienstadt umgekommen), Sara Erlanger geb. Gerstle (1860), Arthur Gutmann (geb. 1870 in Nürnberg, wohnhaft in München, umgekommen nach Deportation 1942 im Ghetto Theresienstadt), Julie Gutmann geb. Rosenstern (geb. 1880 in Stuttgart, wohnhaft in München, umgekommen nach Deportation 1943 im Ghetto Theresienstadt), Margit Gutmann (1903, "Stolperstein" in Frankenthal Ecke Johannes-Mehring-Straße/Karolinenstraße), Amalie Rector geb. Erlanger (geb. 1894 in Erding, wohnhaft in Bayreuth und Frankfurt, umgekommen nach Deportation 1942 in Majdanek oder Sobibor; siehe Gedenkbuch Bayreuth).

Vom Sommer 1945 bis vermutlich 1952 bestand in Erding eine jüdische DP-Gemeinde, für die das US-Militär privaten Wohnraum im Stadtgebiet beschlagnahmte. Bereits im Dezember 1945 lebten etwa 500 jüdische DPs aus Osteuropa in Erding, die größtenteils aus den Nebenlagern des Konzentrationslagers Dachau kamen. Das Verwaltungszentrum der größtenteils selbstständigen, von der UNRRA versorgten DP-Gemeinde lag im "Gasthof Zur Post" (heute Friedrich-Fischer-Straße 6) und dem Bahnhofsrestaurant. Die gewählten Vorsitzenden waren Leib Fischlein und David Perlmutter. Abraham Griesgrim, ein ehemaliger Uhrenhändler aus Polen, verbachte seine Tage vom Frühling bis Herbst im Freibad und spielte dort am Wasser sitzend Karten. Als "Schwimmbadjud" wurde er zu einem populären Original.

Neben einem Betzimmer und einer koscheren Küche gründete das DP-Komitee den Fußballverein "Makabi Erding". Er spielte in der 2. Bayernliga mit Mannschaften wie dem Hapoel Bad Reichenhall oder Makabi Feldmoching (München). Auf Trainings-Kibbuzzim in der Umgebung, zumeist beschlagnahmte Villen und Bauernhöfe von politisch belasteten Privatpersonen oder Institutionen, wurden DPs auf ein Pionierleben in Palästina oder Übersee vorbereitet: In Fürstbach (Taufkirchen/Vils), Franzheim (Oberding), Reithofen (Pastetten), Graß (Walpertskirchen) und in der Stadt Dorfen ("Jüdische Blumengartenschule").

Nach Gründung des Staates Israel im Mai 1948 nahm die Zahl der DPs in Bayern kontinuierlich ab. Die Erdinger DP-Gemeinde reduzierte sich von 287 im Januar 1948 auf nurmehr 88 im Juni 1951. Spätestens im Lauf des Jahres 1952 wurde die Gemeinde endgültig aufgelöst, die wenigen verbliebenen Jüdinnen und Juden fanden in der neu gegründeten IKG München/Oberbayern eine neues geistiges Zentrum.


(Patrick Charell | Sandra Angermaier)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Andreas Lehnertz: Judensiegel im spätmittelalterlichen Reichsgebiet. Beglaubigungstätigkeit und Selbstrepräsentation von Jüdinnen und Juden Bd. 2. Wiesbaden 2020 (=Forschungen zur Geschichte der Juden A30), S. 548-550 [JSo1, Nr. 36 (1338 I 6)].
  • Aktionsbündnis "Dorfen ist bunt" (Hg.) / Monika Schwarzenböck / Doris Minet / Elisabeth und Adalbert Wirtz: Wie kam der Davidstern nach Dorfen? „Dorfen ist bunt“ auf den Spuren jüdischer Displaced Persons*. Dorfen 2015, S. 73f.
  • Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. 2. Aufl. München 1992 (= Bayerische Landeszentrale für politische Bildung A85), S. 307.
  • Germania Judaica, Bd. III: 1350-1519, hg. von Arye Maimon, Teil 1. Tübingen 1987, S. 307.
  • Germania Judaica. Bd. II: 1238 bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, hg. von Zvi Avneri, Teil 2. Tübingen 1968, S. 215.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 11.