Jüdisches Leben
in Bayern

Ellingen Gemeinde

Ellwangen war seit dem 14. Jahrhundert Sitz des Landkomturs des Deutschen Ordens für die Ballei (Ordensprovinz) Franken. Die Deutschritter besaßen das Privileg, in ihren Besitztümern Schutzjuden aufzunehmen. Ellingen blieb bis 1814 der Sitz eines wichtigen Bezirksrabbinats, insbesondere für die Gemeinden in der fränkischen Ballei des Deutschen Ordens. Vermutlich hatten sich erste Familien nach ihrer Vertreibung aus Nürnberg 1499 oder Weißenburg 1519 in Ellingen niedergelassen. Im Jahr 1542 befahl Hochmeister Walther von Cronberg (reg. 1527-1543), frisch gedruckte Exemplare seines zwei Jahre zuvor erlassenen Mandats wider den Wucher zu verteilen. Landkomtur Johann Wilhelm von Zocha auf Wald (reg. 1682-1690) erließ am 18. März 1685 eine "Policey-Ordnung", die Juden den christlichen Mitbürgern rechtlich beinahe gleichstellte.

Mandat des Deutschen Ordens zum Verbot von Wucher ("Urbott") 1540

StAL B287Bü4

Gekürzte Transkription von Patrick Charell M.A.


Wir Walther von Cronberg, Administrator des Hochmeistertums in Preußen und Meister des Deutschen Ordens in deutschen und fremden Gebieten, entbieten allen und jeden unserer und unseres Ordens Untertanen, Angehörigen und Verwandten zunächst unsere Gunst, liebe Getreue. […] Auf dem jüngst zu Augsburg abgehaltenen Reichstag [im Jahr 1530 wurde beschlossen], dass den Juden, so sie Wucher treiben, von niemandem im Heiligen Reich ein Obdach und Aufenthalt gewährt [...] und ihnen vor keinem Gericht bei Fällen der Wucherei geholfen werden soll, was im Folgendem auf dem Reichstag zu Regensburg durch die oben benannte Kaiserliche Majestät und die Reichsstände erneut angeordnet und bestätigt worden ist. Wir haben daher beschlossen, dass die besagten Juden den göttlichen und menschlichen Satzungen und Reichsabschieden ohne Widerstand zu gehorchen haben, sich der verbotenen wucherischen Verträge, Handelschaften und Taten enthalten und mit angemessenen Berufen und ihrer Hände Arbeit ernähren.


Auch dass ihr samt und sonderlich diese löbliche und christliche Ordnung, und eure eigene Wohlfahrt betrachtet und geschlossen bei den besagten Juden weder wucherische Kredite noch Geschäfte ersucht, aufnehmt oder bedient (im Gedenken, dass diese Euch, Eure Frauen und Kinder um Hab und Gut sowie den guten Leumund bringen können). Denn es wird uns berichtet, dass die nagenden Juden viele unter euch nichts desto weniger im Geheimen damit beschweren; und dass ihr ungeachtet dessen mit ihnen Wucherverträge abschließt, für deren Bezahlung ihr hernach in Rottweil und anderswo weiteres Geld leihen müsst. Dieses und anderes unleidige Gewerbe schadet nicht nur den Schuldnern, deren Frauen und Kindern, sondern macht auch unseren und unseres Ordens Amtmännern mühevolle Arbeit und Unkosten. […] So befehlen und gebieten wir euch strengstens mit der Kraft dieses Mandats, dass ihr weder heimlich noch öffentlich, in eigener Person oder durch Mittelsleute [...] von den Juden leiht, mit ihnen zusammenarbeitet, noch sonst wie ein Wuchergeschäft mit ihnen abschließt. Noch Euer Hab und Gut und Eigentum bei ihnen versetzt, verpfändet, verbindet, oder für Schulden verbürgt, oder entsprechende Verträge aufsetzt oder unterschreibt [gebet], fremde Gerichte anruft oder auf eure Rechte [einiger Freyheit] verzichtet. […] Zusätzlich gebieten Wir […] bei den Pflichten und Eiden, mit denen ihr an uns und unseren Orden gebunden seid: Sollte aufkommen, dass einer oder mehrere von euch ungeachtet unseres nutzbringenden Mandats bei Juden Geld geliehen, oder sich sonst wie in einen Wuchervertrag oder ein Wuchergeschäft eingelassen haben, dann sei dieses binnen Monatsfrist ohne Ausrede vor dem Strafgericht unseres Ordens abzuurteilen. [...]


Demnach ersuchen wir hiermit alle und jeden, und besonders die Juden, sich des Wuchers bei der Kreditvergabe und Geschäften mit besagten unseren Untertanen, Angehörigen und Verwandten fürderhin zu enthalten; desgleichen nicht Bürgen oder selbst Schuldner bei ihnen zu werden, noch für sie Verträge oder juristische Schriftstücke aufzusetzen, noch zu siegeln. Sollte sich aber einer oder mehrere, sei es Christ oder Jude, über unseren gnädigen Befehl hinwegsetzen […], soll ihm oder jenen gemäß dem genannten Reichsabschied […] nicht von uns, und nicht von unseren Amtsleuten bei einem Gerichtsprozess zu Recht und seinem Gelde verholfen werden – ungesehen aller und jeder vermeintlicher Sonderrechte der Judenschaft (welche die Kaiserliche Majestät aufgehoben und vernichtet hat). Wenn nun aber demnach einer oder mehrere unserer Untertanen, Angehörigen und Verwandten, vor einem ausländischen Gericht zu Rottweil oder anderswo vorgeladen wird, so mag man es uns oder unseren Amtsleuten überlassen, die Strafbefehle entgegenzunehmen, zu prüfen, einzuziehen und weiterzuleiten. Und hierauf geht an [...] unseres Ordens Landkomturen, Statthalter, Hauskomturen, Amtsleute, Vögte, Schultheißen, Bürgermeister und Richter, unser ernsthaftes Begehr, dass ihr unser Mandat [...] befolgt und den Untertanen Unseres Ordens […] erläutert und anzeigt. Und seid mit allem Ernst und Fleiß daran, dass dem Mandat in allen Punkten Gehorsam folge geleistet und weder dem Inneren Recht, noch dem Reichsrecht zuwidergehandelt wird, und die Übertreter gemäß der Schwere ihrer Vergehen unbarmherzig bestraft werden. Darauf verlassen wir uns gänzlich, es ist auch unser ganz ernster Wille. Gegeben zu Mergentheim, unter unserem Sekretsiegel für Drucksachen. Am Zwanzigsten Tag des Herbstmonats, als man zählt nach der Geburt unseres lieben Herrn Christi Fünfzehnhundert und vierzig Jahre [20. Oktober 1540].


Anmerkung: Hochmeister Walther von Cronberg erfüllte mit dieser "Urbott", das bedeutet ein grundlegender Erlass mit strafrechtlichen Konsequenzen, seine Pflicht als Reichsfürst. Er bezog sich ausdrücklich auf die Beschlüsse der Reichstage in Augsburg 1530 und Regensburg 1532, womit er das Recht der kaiserlichen Kammergebiete im gesamten Ordensgebiet umsetzte. In den Details folgt das Mandat dem Takkanot des Rabbiners Joselmann von Rosheim. Zwischen den Zeilen wird jedoch der Wunsch deutlich, den Schutzjuden des Deutschen Ordens das Leben so schwer wie möglich zu machen.

1697 wurde aus dem Nachlass des Moses Amson die sogenannte "Rothische Wohltätigkeitsstiftung" ins Leben gerufen, um arme jüdische Familien zu unterstützen. Vermutlich um 1730 entstand das Ellinger Memorbuch, eine wichtige Quelle der genealogischen Forschung: Neben verdienten Gemeindemitgliedern und -dienern verzeichnet es Vorbeter, Lehrer und Rabbiner – etwa einen Issachar Josef († 1768), der "ein kärgliches Leben [führte] und […] viel Leid und Beschimpfungen zu ertragen" hatte. Kärglich wohl deshalb, weil die vergleichsweise kleine Gemeinde stets weniger als ein Zehntel der Gesamtbevölkerung ausmachte. Sie besaß auch keinen eigenen Friedhof, sondern bestattete ihre Toten in Pappenheim und vereinzelt in Georgensgmünd. Nach 1777, vor allem ab 1857 diente der näher gelegene Friedhof in Treuchtlingen als bevorzugte Begräbnisstätte. Die jüdischen Kinder besuchten die formal katholische Elementarschule und erhielten Religionsunterricht in der Synagoge (Neue Gasse 14). Beim Pleinfelder Tor steht bis heute das Schächterhaus, wo die Gemeinde eine Fleischbank eingerichtet hatte (Nebengebäude Pleinfelder Straße 32).

1797 wurde Ellingen zunächst preußisch und kam dann 1806 zu Bayern, vier Jahre später folgte die Erhebung zur Stadt. Dafür ging das Bezirksrabbinat verloren, das 1814 nach Ansbach verlegt wurde. Die jüdische Bevölkerung wurde zunächst von dort aus betreut, später vom Rabbinat Treuchtlingen und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder von Ansbach. Nach den Napoleonischen Kriegen war die jüdische Gemeinde größtenteils verarmt und von hohen Abgabenlasten bedrückt. Die wirtschaftliche Lage blieb in den folgenden Jahrzehnten konstant schwierig, daran änderte auch die Aufhebung des Matrikel-Paragrafen im Jahr 1861 nur wenig. Fernab der pulsierenden Hauptstadt blieben in der kleinstädtischen Ellinger Gesellschaft die Jüdinnen und Juden ein zwar unauffälliger, aber alles in allem gut integrierter Teil der Ellinger Gesellschaft.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und zunehmenden wirtschaftlichen wie sozialen Repressionen sahen vor allem die jüdischen Geschäftsleute keine Zukunft mehr im Ort.

Am 27. Oktober 1937 wurde der Gemeindevorstand Benrhard Bermann wegen angeblich abfälliger Äußerungen über zwei Nationalsozialisten verhaftet. Zu Beginn des Jahres 1938 gab es nur noch vier jüdische Betriebe, ein knappes Jahr später waren auch diese abgemeldet. Die meisten Ellinger Juden waren bis Ende 1938 nach Nürnberg, Gailingen oder Karlsruhe gezogen, drei Familien gelang die Emigration in die USA, sechs gingen nach Palästina. Noch vor den Novemberpogromen zwang man die letzten drei jüdischen Haushalte in der Stadt zum Verkauf ihrer Immobilien.

In der Pogromnacht auf den 10. November wurden sie durch ein SS-Kommando aus Weißenburg drangsaliert und endgültig vertrieben. 17 Juden aus Ellingen kamen in der NS-Diktatur ums Leben, die Kultusgemeinde ist heute endgültig erloschen.

Am ehemaligen Synagogengebäude ist seit 1989 als Teil des Barockrundweges Ellingen eine Gedenktafel angebracht. Der Freundeskreis Barockstadt Ellingen e.V. veröffentlichte eine digitale Dokumentation zur Geschichte der Ellinger Juden und organisierte die Ausstellung "Juden in Ellingen 1540-1938", die seit 2015 endgültig im ehemaligen Franziskanerkloster (Stadtarchiv) untergebracht ist. Die beiden Ellinger Synagogen sind Teil des Barockrundwegs Ellingen mit einem online zugänglichen Audioguide.


Persönlicher Dank geht an Hermann Seis, Ellingen, für seine freundliche Unterstützung.

(Patrick Charell)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Bernhard Purin: "Großartige Auswahl in Bierkrüge aller Art". Münchens jüdische Bierkrugveredler. In: Lilian Harlander / Bernhard Purin (Hg.): Bier
    ist der Wein dieses Landes. Jüdische Braugeschichten (AK Jüdisches Museum München). München 2016, S. 122f.
  • Angela Hager / Hans-Christof Haas: Ellingen. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 2: Mittelfranken. Erarbeitet von Barbara Eberhardt, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Angela Hager unter Mitarbeit von Frank Purrmann und Axel Töllner mit einem Beitrag von Katrin Keßler. Lindenberg im Allgäu 2010, S. 180-189.
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken. In: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken. München 2012, S. 95-113.
  • Felice Poupko / Hermann Seis / Stadtarchiv Ellingen (Hg.): Eine jüdische Kindheit in Ellingen. Das Buch "Beacon of Light", die Lebenserinnerung der Ellinger Rabbinertochter Felice Poupko, als deutsches Kind: Felicitas Schuster. Ein speziell auf Ellingen zugeschnittener und übersetzter Auszug aus einer dramatischen Biographie. Ellingen 2010.
  • Hermann Seis / Simone Ott / Evelyn Pfliegel: Freundeskreis Barockstadt Ellingen e.V. (Hg.): Juden in Ellingen 1540 - 1938. Eine Dokumentation auf der Basis der Bestände des Stadtarchivs Ellingen. Ellingen 2008.
  • Theodor Harburger: Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, hg. von den Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem, und dem Jüdischen Museum Franken – Fürth & Schnaittach, Bd. 2. Fürth 1998, S. 173-176.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt/Main 1937, S. 187-198.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 204.