Zeitzeugen berichten

Karoline Künstler Lehrerin, Palästina-Emigrantin


Im hier gezeigten Ausschnitt beschreibt Karoline Künstler die landwirtschaftliche Frauenwirtschaftsschule Wolfratshausen, deren Schulleiterin sie ab 1934 war. In dieser Position versuchte sie, jüdischen Schülerinnen durch die Ausbildung zur Auswanderung aus dem "Dritten Reich" zu verhelfen.

Dieser Clip ist Teil des folgenden Interviews:

Lebensgeschichtliches Zeitzeugeninterview mit Karoline Künstler vom 29.10.1987 in München, über ihre Zeit als Lehrerin und Schulleiterin in Wolfratshausen, ihre Emigration über Frankreich nach Palästina, ihre Rückkehr nach München und ihr Engagement für die christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Biogramm

Karoline Künstler wurde 1904 in Saarbrücken geboren und wuchs zusammen mit ihrer Schwester in einem bürgerlich jüdischen Elternhaus auf. Die Schulzeit schloss sie mit der Mittleren Reife ab, besuchte anschließend die höhere Handelsschule und sammelte dann drei Jahre Berufserfahrung bei der Röschling-Bank. Danach ließ sie sich auf Vorschlag des Schulrats zur Gewerbelehrerin ausbilden und legte ihr Examen in Kassel ab. Vier Jahre war sie in Breslau tätig, übernahm den Aufbau der Frauenwirtschaftsschule der dortigen jüdischen Gemeinde, für die sie die staatliche Anerkennung erhielt. Nachdem sie 1930-1934 Kurse für Arbeitslose gegeben hatte, übernahm sie 1934 die Leitung der landwirtschaftlichen Frauenwirtschaftsschule in Wolfratshausen. Dort erhielten jüdische Mädchen eine Ausbildung, die Voraussetzung für die legitime Emigration nach Palästina war. 1939 wanderte Karoline Künstler selbst nach Palästina aus. Anfang der 1950er-Jahre kehrte sie nach Bayern zurück. Karoline Künstler war verheiratet mit dem aus Straubing stammenden Juristen Dr. Leopold Künstler.

Inhalte

1904 in Saarbrücken geboren, bürgerlich jüdisches Elternhaus, Schwester, Schulzeit, mittlere Reife, höhere Handelsschule, 3 Jahre Bankpraxis: Röschling-Bank, Vorschlag des Schulrats Gewerbelehrerin zu werden, damals neue Ausbildung, Examen in Kassel absolviert, dann vier Jahre in Breslau, Aufbau der Frauenwirtschaftsschule der dortigen jüdischen Gemeinde, staatliche Anerkennung, 1930-1934 Kurse für Arbeitslose, 1934 Tagung jüdischer Institutionen in Berlin, Angebot nach Wolfratshausen, 01.04.1934 Schulleitung in Wolfratshausen übernommen, Schwester: Wirtschaftslehrerin mit bayerischem Examen, hospitierte in Wolfratshausen, landwirtschaftliche Frauenwirtschaftsschule, Schülerinnen aus dem ganzen Reichsgebiet, Versuch Schülerinnen zur Auswanderung zu bringen, gute Beziehungen zur Bevölkerung, Reichspogromnacht 09./10.11.1938: SA stand vor der Schule, Aufforderung, das Haus zu verlassen, Schülerinnen packten Koffer, mit Lieferwagen zum Bahnhof gefahren, kein Geld, zerbrochene Scheiben, Gestapo, vom Isartalbahnhof nach München, in München Empfang durch Gestapo, Erlaubnis, dass die Schülerinnen frühstücken durften, Versuch, mit Oberlandesgerichtsrat Neumeier zu telefonieren, scheiterte, Geld aus der Kasse der jüdischen Kultusgemeinde in der Lindwurmstraße zur Verfügung gestellt, Problem mit unverschlossenen Koffern gelöst, Transport der Schülerinnen organisiert, Schwiegervater und Schwager nach Ankunft von Gestapo abgeholt, Entlassung aus Gestapo-Haft erwirkt, beide wegen angeschlagener Gesundheit ins Krankenhaus eingeliefert, nach Tölz zur zuständigen Gestapo gefahren, Familie des Ehemannes in Straubing, Fraunhoferstraße, Spätbarockhaus, Hopfenhändler, Malzfabrik, Schwiegermutter geborene Gundersheimer, Geschichte des Hauses, Dr. Keim, Haus 1985 verkauft, Ehemann: Jurist, starb 1974, Realschule in Straubing, Abitur in Nürnberg, Studium der Brauereiwissenschaften, Promotion, väterlicher Betrieb, Arbeit über den "Bierlieferungsvertrag zwischen Brauer und Wirt", Brauereijurist, Engelhard-Brauerei in Berlin, Schließung durch die Nationalsozialisten, Rückkehr nach Straubing, Vorlesungen in Weihenstephan, angesehene jüdisch-bayerische Familie, Freund: Dr. Otto Höchtl, Übersiedlung der Familie 1936 nach München, Selz, nach der „Reichskristallnacht“ (Reichspogromnacht) 1938 bei der Gestapo in München, französische Staatsbürgerschaft wegen Mutter, französischer und deutscher Pass, Überraschung über Freundlichkeit des Gestapobeamten, behielt deutschen Pass ein, forderte sie auf, den ersten Zug nach Frankreich zu nehmen, auch später nach Emigration nach Israel Französin geblieben, später keine Möglichkeit mehr für doppelte Staatsbürgerschaft, bayerischer Verdienstorden, noch einige Male in Deutschland gewesen, Versuch, Schwiegervater und Schwager rauszuholen, Schwiegervater starb im KZ Dachau, Schwager starb nach Operation, Ausreise nach Palästina, Ehemann ein Jahr vorher emigriert, Mann arbeitete bei britischer Polizei, Mandatsgebiet, Nachholen der dortigen juristischen Examen, Einkommen des Mannes, Zimmer, Aufbau einer Frauenwirtschaftsschule in Tel Aviv, anfangs schlechte hebräische Sprachkenntnisse, Lehrerin aus Hamburg als Übersetzerin, Bürodame, Aufforderung, nach 2 Jahren in Jerusalem eine weitere Schule aufzubauen, Kinderheim, 1943-1945 3 Tage die Woche in Jerusalem, 3 Tage die Woche in Tel Aviv, zwischenzeitlich legte Ehemann Examina ab, Hadassa, Dr. Jaskiwird, Krankenhausverwaltung, Anstellung auf Lebenszeit, 1948 Palästinakrieg, Krankenhaus auf dem Mount Skobus, Begleitschutz durch Briten, Panzerwagen, Aufbau von 4 Krankenhäusern in Jerusalem, Staat Israel, jemenitische Juden, religiöse Klugheit, Bibel, schnelle Assimilation, Aufbau weiterer Krankenhäuser in Israel, 1951 zurück nach München, Entscheidung nach Bayern zurückzukehren, Mann arbeitete wieder im Brauereiwesen, Bayerische Staatsbibliothek, Mann: Dr. Leopold Künstler, schrieb Buch "Belieferungsvertrag" als Fortsetzung der Doktorarbeit, Urteile von 1938-1951, Dozent in Weihenstephan, Sachverständiger bei Prozessen, Gutachter für das Finanzministerium, Wiedergutmachung, Ministerpräsident Alfons Goppel, 12 Jahre Angestellter des Landesentschädigungsamts, Engagement für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Prof. Fingerle, Tod des Mannes 1974, Weiterführung seiner Arbeit, Prof. Dr. Keim, Cuvilliés-Theater, Kammerspiele, Rathaus, Dr. Höck, Bundesverdienstkreuz durch Kultusminister Prof. Dr. Hans Maier verliehen, nie Hass gehegt, Stellung in Israel, Ben Gurion, Bedeutung der Straubinger Heimat für ihren Mann.

Daten

Art:
Lebensgeschichtliches Interview
Dauer:
1:30 h
Aufnahmedatum:
29.10.1987
Sprache:
deutsch